«Am Bahnhof von Donezk herrschte pure Panik»

Florian Bachmeier hat die Wahlen im Osten der Ukraine dokumentiert. Richtig gefährlich ist es für den Pressefotografen aber auf dem Rückweg geworden: In Donezk erlebte er die Gefechte zwischen ukrainischer Armee und Separatisten aus nächster Nähe. Im Interview erzählt er die Geschichten hinter seinen Bildern.

Prorussische Strassensperre in Karlivka, in der Nähe von Donezk. (Bild: Florian Bachmeier , n-ost)

Florian Bachmeier hat die Wahlen im Osten der Ukraine dokumentiert. Richtig gefährlich ist es für den Pressefotografen aber auf dem Rückweg geworden: In Donezk erlebte er die Gefechte zwischen ukrainischer Armee und Separatisten aus nächster Nähe. Im Interview erzählt er die Geschichten hinter seinen Bildern.

Die Situation in der Ost-Ukraine ist noch immer angespannt. In der Nacht auf Samstag soll es bei Kämpfen wieder Tote und Verletzte gegeben haben. Prorussische Separatisten haben vier Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entführt, der Kontakt zum Schweizer und seinen drei Begleitern aus Estland, Dänemark und der Türkei ist seit Montagabend abgebrochen.

Am Montagabend gab es auch für Florian Bachmeier einen Moment der Panik, sagt der Fotograf. Der 39-Jährige hat für n-ost, ein Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung, die Wahlen im Osten der Ukraine dokumentiert und erlebte auf der Rückreise die Gefechte in Donezk aus nächster Nähe. Wir haben mit ihm über Propaganda, Panik und die Situation vor Ort gesprochen. Ein Gespräch entlang von Bildern. 

Herr Bachmeier, sind Sie froh wieder zurück in Deutschland zu sein?

Florian Bachmeier: Im Moment sind meine Gefühle gemischt: Einerseits bin ich froh, dass ich heil aus Donezk rausgekommen bin. Ich erlebte am Bahnhof von Donezk die Gefechte zwischen Separatisten und ukrainische Armee. Zunächst war nur der Gefechtslärm vom Flughafen her zu hören. Die Leute auf der Strasse brachten sich in dem Moment in Sicherheit, die Läden schlossen. Der Bahnhof schien in sicherer Distanz, doch dann folgten die Gerüchte, dass die Gefechte näher rückten und dann ging alles sehr schnell…



Am 26. Mai ist plötzlich Gefechtlärm zu hören bis zum hin zum zentralen Bahnhof in Donezk. Die Menschen schliessen die Geschäfte und schauen sorgenfoll zum Himmel.

Am 26. Mai ist plötzlich Gefechtlärm zu hören bis zum hin zum zentralen Bahnhof in Donezk. Die Menschen schliessen die Geschäfte und schauen sorgenfoll zum Himmel. (Bild: Florian Bachmeier , n-ost)



Am 26. Mai ist plötzlich Gefechtlärm zu hören bis zum hin zum zentralen Bahnhof in Donezk. Die Menschen schliessen die Geschäfte und schauen sorgenfoll zum Himmel.

(Bild: Florian Bachmeier , n-ost)

…das Gefecht verlagerte sich in die Innenstadt. Der Bahnhof war plötzlich kein sicherer Ort mehr: Granatsplitter trafen zwei Personen, eine Frau und Mann. Ich war noch vor Ort, sah ihre Leichen, bekam mit, wie die Angst ausbrach und die Menschen zu rennen begannen. Es herrschte pure Panik, auch ich hatte Angst. Am Schluss war ich nur froh, dass der Zug losfuhr. Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert. Die Armee hat Boden gut gemacht gegen die Separatisten, wie ich gehört habe, mussten sie sich zurückziehen in die Hochburgen nach Slawjansk und Luhansk. Es gab Gerüchte, dass auf Zivilisten geschossen wird, dass soll nicht mehr der Fall sein. Die Lage ist also wieder so, dass man zumindest ohne mulmiges Gefühl in Donezk arbeiten kann, wie mir meine Informanten mitteilen.



Ein Toter wird in Donezk zum Bahnhofsgebäude gebracht. Laut Aussage von Passanten Opfer von Granatsplittern

Ein Toter wird in Donezk zum Bahnhofsgebäude gebracht. Laut Aussage von Passanten Opfer von Granatsplittern. (Bild: Florian Bachmeier , n-ost)




(Bild: Florian Bachmeier)



Endlich in Sicherheit: Ein Mann im Zug, der gerade den Bahnhof Donezk verlässt.

Endlich in Sicherheit: Ein Mann im Zug, der gerade den Bahnhof Donezk verlässt. (Bild: Florian Bachmeier)

Unterwegs sein, ist zurzeit gerade im Osten der Ukraine wegen den Strassensperren von Separatisten gefährlich. Vier OSZE-Beobachter wurden an einer solchen verschleppt. Wie frei konnten Sie sich bewegen?

Ich war ja in Krasnoarmijsk, einer Stadt im Osten von Donezk, um die Wahlen zu fotografieren. Die Hinfahrt war kein Problem: Einerseits war die Lage am Samstag und Sonntag entspannter, andererseits war unser Fahrer aus der Gegend und ein Begleiter stammt aus dem Dorf. Das machte vieles einfacher, ich hätte es mir schwieriger vorgestellt. Auf dem Rückweg war die Situation angespannter, wir konnten zwar in Karlovka vor Donezk an einer Strassensperre aussteigen und fotografieren. Allerdings liegen die Nerven so blank bei den Separatisten, dass wir uns plötzlich im Visier ihrer Gewehre sahen, weil wir ein paar Meter zu weit gegangen sind. Eine Woche zuvor gab es genau an dem Posten ein Gefecht. Die Situation ist also vor allem unberechenbar: weil man nicht weiss, wem man gegenübersteht und in welcher Verfassung er ist. Teilweise sind die Separatisten übernächtigt, teilweise alkoholisiert. Die Durchsuchungen sind da noch das Unproblematischste.



Prorussische Stra�ensperre in Karlivka, in der N�he von Donezk,

Prorussische Strassensperre in Karlivka, in der Nähe von Donezk. (Bild: Florian Bachmeier , n-ost)



Prorussische Strassensperre in Karlivka, in der Nähe von Donezk.

(Bild: Florian Bachmeier , n-ost)



Prorussische Strassensperre in Karlivka, in der Nähe von Donezk.

(Bild: Florian Bachmeier , n-ost)

Wem vertraut man vor Ort, wenn es um Informationen geht, die Rede ist ja auch von einem Propagandakrieg in der Ukraine?

Das ist tatsächlich schwierig, man hat seine Begleiter und vor Ort versucht man, mit anderen Fotografen zu sprechen, informiert sich gegenseitig. Aber es ist schwierig: Auf die Informationen der russischen Medien kann man sich nicht verlassen und die internationalen hinken hinterher. Also versucht man vor allem, sich aus erster Hand zu informieren. Aber als Fotograf ist es etwas einfacher: Einerseits weil wir weniger Fragen stellen müssen, andererseits, weil wir hauptsächlich visuelle Informationen brauchen. Die Kamera weckt zwar schon auch Misstrauen, aber man muss nicht mit Fragen die Leute bohren. Die Situation hat sich aber auch seit Samstag verschärft: Vor den Wahlen konnten wir problemlos unterwegs sein, die Situation war angespannt – aber die Leute offen.



Eines der wenigen offenen Wahllokale im Osten der Ukraine in Krasnoarmeisk, einem Dorf in der Nähe von Donezk.

Eines der wenigen offenen Wahllokale im Osten der Ukraine in Krasnoarmeisk, einem Dorf in der Nähe von Donezk. (Bild: Florian Bachmeier , n-ost)



Eines der wenigen offenen Wahllokale im Osten der Ukraine in Krasnoarmeisk, einem Dorf in der Nähe von Donezk.

(Bild: Florian Bachmeier , n-ost)



Eines der wenigen offenen Wahllokale im Osten der Ukraine in Krasnoarmeisk, einem Dorf in der Nähe von Donezk.

(Bild: Florian Bachmeier , n-ost)



Eines der wenigen offenen Wahllokale im Osten der Ukraine in Krasnoarmeisk, einem Dorf in der Nähe von Donezk.

(Bild: Florian Bachmeier , n-ost)

Mehrere tausend Menschen protestieren in Donezk auf dem Lenin-Platz gegen die Präsidentschaftswahl.

Mehrere tausend Menschen protestieren in Donezk auf dem Lenin-Platz gegen die Präsidentschaftswahl. (Bild: Florian Bachmeier , n-ost)

Mehrere tausend Menschen protestieren in Donezk auf dem Lenin-Platz gegen die Präsidentschaftswahl.

(Bild: Florian Bachmeier , n-ost)



Mehrere tausend Menschen protestieren in Donezk auf dem Lenin-Platz gegen die Präsidentschaftswahl.

(Bild: Florian Bachmeier , n-ost)

Mehrere tausend Menschen protestieren in Donezk auf dem Lenin-Platz gegen die Präsidentschaftswahl.

(Bild: Florian Bachmeier , n-ost)

Sie haben auch mitten aus den Protesten der prorussisschen Anhänger in Donezk fotografiert. Wenn man sich die Bilder so ansieht, stellt sich einem die Frage, ob Ihnen nicht mulmig zu Mute war?

Die Leute auf dem Platz waren schon teilweise fanatisch. Es waren auch die politischen Führer der Separatisten vor Ort und bewaffnete Milizen, aber sie waren zugänglich. Man konnte mit ihnen sprechen. Ich muss aber anmerken, dass in Donezk viele Leute nicht hinter den Separatisten stehen. Viele wollen nichts von denen wissen, sie wünschen sich nur ein normales Leben zurück. Und so ist es übrigens auch in Kiew. Auf dem Maidan ist die Ernüchterung eingekehrt. Viele wollen die Spuren der Revolution beseitigen.



Die Stimmung auf dem Maidan vor der ukrainischen Präsidentschaftswahl vom 25. Mai 2014.

Die Stimmung auf dem Maidan vor der ukrainischen Präsidentschaftswahl vom 25. Mai 2014. (Bild: Florian Bachmeier)



Die Stimmung auf dem Maidan vor der ukrainischen Präsidentschaftswahl vom 25. Mai 2014.

(Bild: Florian Bachmeier)



Die Stimmung auf dem Maidan vor der ukrainischen Präsidentschaftswahl vom 25. Mai 2014.

(Bild: Florian Bachmeier)

Gibt es denn ein Gefühl der Einheit im Land?

Ja, ausser in den separatistischen Gebieten wie Slawjansk und Luhansk. Die Leute wünschen sich eine Rückkehr zur Normalität, ein Vorwärtskommen nach Europa. Das zeigt auch die Wahl: Die wirklich extremen Parteien haben kaum zwei Prozent der Stimmen geholt. Der Sieg von Petro Poroschenko ist ein Sieg der Vernunft. Die Leute wollen einen Neuanfang, einen in geregelten Zuständen.

_
Florian Bachmeier ist 39 Jahre alt. Er hat erst Fotografie dann zeitgenössische Geschichte studiert. Statt sich auf eines zu beschränken, hat er seine Interessen verbunden und hält mit seinen Fotografien für n-ost seit über zwei Jahren die Zeitgeschichte fest. Sein Interesse gilt dabei vor allem dem Osten Europas. Mehr über ihn auf seiner Website.

Nächster Artikel