Vor 25 Jahren wurde Slobodan Milosevic im Kosovo von über einer Million jubelnden Serben empfangen. Dieses Jahr wurde die Rede des Präsidenten Tomislav Nikolic von Buhrufen und Pfiffen begleitet. Die 2000 Demonstranten warfen Nikolic vor, ein Verräter zu sein, der das Kosovo aufgegeben hat. Für viele Serben im Kosovo liegt die Hoffnung beim Kriegshetzer Vojislav Seselj. Eine Reportage vom Amselfeld.
Tomislav Nikolic ist nicht willkommen auf dem Amselfeld. «Wir stehen für Serbien und Russland, wir brauchen keine EU» und «Tomo, du Verräter, du hast das Kosovo verkauft», skandieren die serbischen Demonstranten in Richtung des serbischen Präsidenten. Unweit der kosovarischen Hauptstadt Pristina steht eine Gruppe Jugendlicher mit serbischen Flaggen und schwarzen T-Shirts am Fusse des Gazimestan-Monuments und wirft der serbischen Regierung vor, sich nicht ausreichend um die Interessen der im Kosovo lebenden Serben zu kümmern.
Zavetnici ist eine Gruppe von Studenten aus Belgrad. «Wir wissen, wie schwierig die Lebensbedingungen für die Serben sind, die das Kosovo aus Liebe zu ihrem Land nicht aufgegeben haben. Sogar eine Fahrt nach Gazimestan ist für einige ein Luxus», sagt Milica Djurdjevic, (24), eine Politikwissenschaftsstudentin aus Belgrad. Als Mitglied von Zavetnici sagt sie: «Jedes Jahr kommen mehr junge Menschen hierher, das gibt uns Hoffnung.»
Die Geste kam gut an, seine Rede nicht: Präsident Tomislav Nikolic bekreuzigt sich für die serbischen Helden des Kosovos. (Bild: Armend Nimani) (Bild: Armend Nimani)
Die Serbinnen und Serben versammeln sich um den Turm, der zu Ehren der «Helden der Schlacht auf dem Amselfeld 1389» errichtet wurde. Der 28. Juni ist für die Serben der wichtigste nationale Feiertag des Jahres. Der serbische Präsident Tomislav Nikolic sagte hier vergangenen Samstag: «Die Schlacht, die hier vor 625 Jahren geschlagen wurde, war eine Entscheidungsschlacht gegen das mächtige Osmanische Reich. Nicht weil wir die Schlacht gewonnen haben und auch nicht weil wir die Schlacht verloren haben. Die Serben mussten für die Schlachten, die sie geführt haben immer einen grossen Preis zahlen. Das ist unser serbisches Schicksal.»
Tomislav Nikolic besuchte auch die serbische Enklave im Kosovo Gracanica, welche das gleichnamige Kloster beherbergt. Die Stimmung hier ist positiver als bei dem Gazimestan-Monument auf dem Amselfeld. Seit dem Untergang Jugoslawiens gehen nationalistische Politik und serbisch-orthodoxe Kirche in Serbien Hand in Hand und sind aufs engste miteinander verbunden. Vielen Serben gilt das Kloster als Wiege ihrer Nation und religiösen Identität.
Der 28. Juni ist ein religiöser Feiertag, Vidovdan. Seine Bedeutung erhielt er aber im panslawischen Nationalismus. (Bild: Armend Nimani) (Bild: Armend Nimani)
Zivojin Rakocevic, Direktor des «Haus der Kultur» in Gracanica, war der Leiter des einmonatigen Programms im Juni zur Feier des diesjährigen 625-jährigen Vidovdan. «Wir Serben leben in einem Ghetto. Trotz dieses Umstandes versuchen wir den Menschen ein klein wenig Hoffnung zu geben, indem wir diese Veranstaltungen organisieren. Dadurch erlangen die Menschen ihre verloren gegangenen Freiheiten wieder und wir schaffen einen Raum in dem sie ihre Identität zurückerobern können», sagt er.
Das Programm der einmonatigen Feierlichkeiten umfasste Konzerte, Poesielesungen, Theateraufführungen, sowie eine Ausstellung im «Haus der Kultur». Bestandteil der Ausstellung waren zwei kontroverse Gemälde. Das erste zeigt Gavrilo Princip, den Attentäter des Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie, und das andere zeigt Slobodan Milosevic 1989 bei seiner Rede auf dem Amselfeld (die englische Übersetzung und die deutsche Übersetzung der vieldiskutierten und umstrittenen Rede).
Beides sind Schlüsselereignisse für das serbische Nationalbewusstsein. Genau 600 Jahre nach der historischen Schlacht zwischen den Truppen des christlichen Fürsten Lazar mit dem osmanischen Heer besuchten über eine Million Serbinnen und Serben das Kosovo und wohnten einem Spektakel bei, das eine wichtige Rolle bei der Renaissance des serbischen Nationalismus spielte.
Nostalgische Erinnerungen an Jugoslawien
Der Belgrader Soziologieprofessor Todor Kuljic betont: «Hier brach Milosevic mit der jugoslawischen Erinnerungskultur und dem Lenin’schen Diktum der kommunistischen Partei Jugoslawiens: Kommunisten bekämpfen den eigenen, Chauvinisten den Nationalismus der anderen.» 25 Jahre später scheinen sich die Umstände in eine andere Richtung bewegt zu haben. Milosevic ist tot, und Jugoslawien gibt es nicht mehr. Der Kosovokrieg, die völkerrechtswidrige Bombardierung Serbiens durch die Nato und die kosovarische Unabhängigkeitserklärung 2008 haben ihren Beitrag geleistet, um die politischen und sozialen Gräben zwischen albanischer Mehrheitsbevölkerung und serbischer Minderheit zu vertiefen.
Einige Bewohner erinnern sich nostalgisch an die Zeiten Jugoslawiens, als Serben und Albaner friedlich miteinander gelebt haben. «Ich habe im Zentrum Pristinas gelebt und fühlte mich sehr viel wohler mit dem Leben, das ich dort geführt habe», sagt Nikola Stosovic (66). «Als Kind lernte ich Albanisch und hatte viele albanische Freunde. Heute lebe ich in den Baracken von Gracanica, eine Spende aus Russland.» Seine Baracke ist fünf Quadratmeter gross und nur eine von vielen in den serbischen Siedlungen an der Peripherie Gracanicas.
Die Probleme, die das Kosovo heute heimsuchen, führt Stosovic auf den serbischen Nationalismus zurück: «1989 befand sich Jugoslawien in einer Krise, und die nationalistischen Kräfte in Serbien übernahmen die Machtpositionen, was viele Serben gut fanden. Sie riskierten das freundliche und nachbarschaftliche Verhältnis zu den Albanern im Kosovo wegen des Versprechens nach grossem Ruhm durch nationalistische Politik.» Stosovic ist etwas nostalgisch, aber er beschwert sich nicht über seine schwierige Situation: «Ich erinnere mich an Zeiten, als mein Leben besser war, und das gibt mir die Kraft weiter zu machen», sagt er nur, warnt aber auch: «Die junge Generation heute sollte aber sehr vorsichtig sein, in welche Richtung sie läuft.»
Es sind in diesem Jahr nicht eine Million Besucher gewesen, aber doch ein paar. (Bild: Armend Nimani) (Bild: Armend Nimani)
Auch Azem Vllasi musste mit der harten Realität im Kosovo fertig werden. Als ehemaliger jugoslawischer Politiker kosovarischer Herkunft wehrte sich Vllasi 1989 gegen die Verfassungsänderungen des Milosevic-Regimes, das den Autonomiestatus des Kosovo de facto aufhob. Dafür wurde er ins Gefängnis geworfen, von wo aus er die Rede von Milosevic im Jahre 1989 beobachtete.
Heute sagt er: «Die serbischen Politiker sollten sich lieber mit konkreten Reformvorhaben befassen und den Problemen in ihrem Land ins Auge sehen, statt jedes mal den Kosovomythos heraufzubeschwören, wenn eine Krise ausbricht.» Vllasi betont, dass dies noch niemandem etwas gebracht hat: «Nikolic 2014 und Milosevic 1989 haben sich auf ein jahrhundertealtes Ereignis bezogen, wenn sie mögliche Gefahren für ihren Machterhalt zu erkennen glaubten. Es hat ihnen nicht geholfen, sondern ihnen nur Niederlagen eingebracht. Und es wird weiterhin Niederlagen einbringen.»