Amtlich toleriertes Lohndumping

Zum dritten Mal stiessen Kontrolleure bei Swiss Indoors auf Billigarbeiter. Kein Grund zur Sorge für die Verantwortlichen.

Wer bei Swiss Indoors aufbaut, bringt oft weder Material noch Werkzeug mit. Doch auf dem Papier sind viele selbstständig. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Zum dritten Mal stiessen Kontrolleure bei Swiss Indoors auf Billigarbeiter. Kein Grund zur Sorge für die Verantwortlichen.

Roger Federer hat sein Finalspiel eben erst verloren, da treten ohne Publikum die eigentlichen Verlierer des Tennisturniers Swiss Indoors auf den Plan. Sie beginnen noch am Sonntagabend mit dem Abbau. Doch diesmal kontrollieren Angestellte der Zentralen Paritätischen Kommission (ZPK), ob sie auch zu Schweizer Mindestlöhnen schuften. Ihr Fazit ist vernichtend: «Die Zahl der Verstösse hat nicht abgenommen. Im Gegenteil: Wir fanden im dritten Jahr hinter­einander Ausländer, die zu Dumpinglöhnen arbeiteten», sagt ZPK-­Geschäftsführer Michel Rohrer.

Schon beim Aufbau des Turniers stiessen die Kontrolleure auf ungarische Arbeiter, die angaben für weniger als zehn Franken die Stunde den Stand des Sponsors Nespresso aufzubauen. Beim Abbau sind es Ukrainer, die ohne Bewilligung für ein paar Franken pro Stunde den Boden abtransportieren, auf dem noch ein paar Stunden zuvor Roger Federer Juan Martin del Potro zum Sieg gratulierte.

«Das Gesetz scheint für Swiss Indoors nicht zu gelten.»

Bei der Kontrolle am Sonntagabend vor Ort war auch Daniel Münger, SP-Landrat und Präsident der ZPK. Er traute seinen Augen nicht: «Ich war schockiert. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass für Swiss Indoors Gesetze gar nicht gelten. Bisher drückten offenbar alle immer beide Augen zu.»

Die ZPK prüft im Auftrag des Staates, der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, ob die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden, also die flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr greifen. Beim Tennisturnier tut sie das sehr zum Missfallen des Baselbieter Volkswirtschaftsdirektors Peter Zwick, wie mehrere Insider übereinstimmend gegenüber der TagesWoche erklärten. Zwick habe der ZPK zu verstehen gegeben, dass er beim Sportanlass, an den das Baselbiet 300 000 Franken aus dem Lotteriefonds zahlt, keine solchen Kontrollen wünsche. Und er habe vor drohenden Schadenersatzklagen gewarnt von Firmen wie Nespresso, die in der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens als angeschuldigte Firma gezeigt wurde.

Regierungsrat Peter Zwick bestreitet diese Aussage und spricht von einem Missverständnis: Es stimme nicht, dass er gesagt habe, die Kontrolleure der ZPK sollten sich bei Swiss Indoors zurückhalten. Vielmehr begrüsse er solche Kontrollen.

Kaum Kontrollen des Kiga

Was auch immer Zwick tatsächlich gesagt hat: Sein Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Kiga) kontrollierte in den letzten zwei Jahrzehnten nie, ob die am Abbau beteiligten Firmen für ihre Angestellten über Ausnahmebewilligungen für Sonntagsarbeit verfügten. Als die ZPK nach Turnierschluss diese Bewilligungen verlangte, trafen die Kontrolleure «auf niemanden, der eine solche Bewilligung hätte vorweisen können», wie ZPK-Geschäftsführer Rohrer erklärt.

Beim Kiga zeigt man sich überrascht: «Nicht bewilligte Sonntags- und Nachtarbeit war bisher bei den Swiss Indoors noch nie ein Thema», erklärt Thomas Keller, Vorsteher des Kiga Baselland. Dass im Vorfeld nur drei am Abbau beteiligte Firmen beim Amt um entsprechende Bewilligungen nachsuchten, machte dort keinen stutzig. Beim Kiga ging man einfach davon aus, dass die­jenigen Firmen ohne kantonale ­Bewilligung über eine Dauerbewilligung vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) verfügten.

Eine abenteuerliche Einschätzung, zumal die ZPK schon bei der letztjährigen Ausgabe des Tennisturniers auf über zwei Dutzend Messebauer stiess – nach Einschätzung der Kontrollinstanz allesamt Scheinselbstständige und damit eigentlich Angestellte. Deren Arbeitgeber müsste sich nicht nur an Gesamtarbeitsverträge und Mindestlöhne halten, sondern bei Sonntagsarbeit auch entsprechende Bewilligungen einholen.

Neun Monate dauerte es, bis die Kontrolleure nach der letztjährigen Ausgabe des Tennisturniers alle Umstände dieses Falls geklärt und Beweise­ gesichert hatten. Dann war der Fall für die Kontrollstelle klar: Mehr als zwei Dutzend Ungarn und Deutsche hatten als Scheinselbstständige zu Dumpinglöhnen von teilweise unter fünf Franken gearbeitet. Zugestanden hätte ihnen ein Stundenlohn von rund 30 Franken.

Wiederholt massive Verstösse

Die Kontrollstelle kam zum Schluss, dass die in der Schweiz geltenden Lohn- und Arbeitsbedingungen bei Swiss Indoors Ausgabe 2011, aber auch schon 2010 auf «massivste Weise nicht eingehalten wurden». Der Generalunternehmer Uniplan, in dessen Auftrag die Messebauer tätig waren, wies die Forderung, mehr als 100 000 Franken Löhne inklusive Kontrollkosten nachzuzahlen, trotzdem zurück. Ob es zu einem Prozess kommt, ist offen.

Gegenüber der TagesWoche erklärt die Firma: «Uniplan Switzerland AG bestreitet, in irgendeiner Weise gesetzliche oder behördliche Bestimmungen verletzt zu haben. Sie toleriert Verletzungen arbeitsrechtlicher Minimalbestimmungen in keiner Weise.» Und Thomas Müller von Swiss Indoors sagt, sowohl im Fall von Uniplan wie auch Nespresso sei Swiss Indoors nicht betroffen. Das Management werde aber abklären, wie man Firmen dazu bringen könne, sich an arbeitsrechtliche Bestimmungen zu halten.

Gewerkschaftssekretär und SP-Landrat Andreas Giger verlangt jetzt, dass der Kanton Baselland handelt: «Es ist unhaltbar, dass Kontrolleure dermassen viele Verstösse registrieren und trotzdem nichts passiert.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.11.12

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