Angriff von links auf das Ständemehr

Die SP macht Ernst mit der Reform des Ständemehrs. Nationalrat Roger Nordmann reicht noch diese Woche eine parlamentarische Initiative ein. Allerdings verzichtet er auf konkrete Vorschläge – die Debatte soll möglichst breit geführt werden.

Mehr Macht für die Grossen. Die SP will das Ständemehr reformieren. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die SP macht Ernst mit der Reform des Ständemehrs. Nationalrat Roger Nordmann reicht noch diese Woche eine parlamentarische Initiative ein. Allerdings verzichtet er auf konkrete Vorschläge – die Debatte soll möglichst breit geführt werden.

Über das Raumplanungsgesetz reden nur noch die Walliser, über die Abzocker-Initiative höchstens noch Thomas Minder (wenn er nicht die Überbevölkerung stoppen will): Der Abstimmungssonntag von vor drei Wochen ist eine gefühlte Ewigkeit her. Überraschende Ausnahme ist dabei die von Mitte-Links verlorene Abstimmung über den Familienartikel. Nicht nur streitet sich der Freisinn seither mit seinen Frauen (mehr dazu hier, hier und hier), die vom Ständemehr gegen das Volksmehr entschiedene Abstimmung ist auch Anlass für einen erneuten Reformversuch der Linken – das doppelte Mehr müsse hinterfragt werden.

Bereits am Sonntagnachmittag nach der Abstimmung kursierten die verschiedensten Ideen. SP-Nationalrat Andi Gross setzte auf eine Stärkung der grössten Kantone und ihrer Städte, sein Parteikollege Roger Nordmann studierte öffentlich an einer Entmachtung der kleinen Kantone herum. Die zwölf kleinsten Kantone hätten nach seinem Modell nur noch eine Stimme, die sechs grössten würden eine zusätzliche erhalten.

Ohne konkrete Vorschläge

Das war die Debatte vor zwei Wochen, befeuert von der verlorenen Abstimmung. Heute ist der Vorschlag aus der SP-Reihe im Ton etwas temperierter. Nach der Fraktionssitzung vom Dienstag hat sich Nordmann entschlossen, per parlamentarischer Initiative eine unformulierte «rééquilibrage du fédéralisme» zu fordern. Diese Reform des Föderalismus kommt ohne konkrete Vorschläge aus. «Wir wollen eine möglichst breite Diskussion ermöglichen», sagt Nordmann. Die Debatte müsse jetzt stattfinden, da sich die Leute dafür interessieren. «Wir sind keine schlechten Verlierer.»

Hinter dem etwas vagen Vorstoss steht auch Andi Gross, der nun auf eine eigene Initiative verzichtet. Er könne sich mit dem ersten und einzigen Satz im Vorstoss von Nordmann identifizieren, sagt Gross auf Anfrage. Nun gehe es darum herauszufinden, ob im Parlament überhaupt Interesse an einer Reform bestehe. «Wie diese Reform dann im Detail geschehen kann und soll ist eine Sache für die zweite Runde.»

Auch Nordmann hat sich von seinen Ideen nicht ganz verabschiedet. Für ihn sind vier Möglichkeiten denkbar:

  1. Sein ursprünglicher Vorschlag einer neuen Gewichtung der Ständestimmen (das Total bliebe bei 47, den kleineren Kantonen würde eine Stimme weggenommen).
  2. Mehr Ständestimmen für die grossen Kantone und Städte à la Andi Gross (das Total würde grösser, den kleinen Kantonen würde aber nichts weggenommen).
  3. Ein qualifiziertes Ständemehr (nur ein Mehr von 15 Ständen kann eine Vorlage zu Fall bringen).
  4. Oder ein qualifiziertes Volksmehr (bei einem Volksmehr von 54 Prozent Ja-Stimmen oder mehr wird das Ständemehr ausser Kraft gesetzt).

Andi Gross wird sich in einer allfälligen Debatte vor allem für Punkt 2 engagieren. Die Erfahrung von früheren Reformversuchen (hier eine Übersicht über die letzten 40 Jahre) zeige, dass jedes Modell, bei dem einem Kanton etwas weggenommen werde, chancenlos bleibe. Der heutige Widerstand gegen eine Reform sei ausschliesslich machtpolitisch motiviert: «Die nationalkonservative Position wird durch eine demographische Verschiebung gestärkt. Deshalb sollten wir das System anpassen und die 1848 gewollten Verhältnisse wieder herstellen. Das würde der Schweiz von 2013/14 helfen.»

Quellen

Eine Übersicht über die Reformvorschläge der letzten 40 Jahre.

Zwei Visualisierungen der heute bestehenden Machtverhältnisse.

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