In Muttenz wird ein grosses Asylzentrum entstehen. Das treibt die Bewohner in Scharen an eine Bürgerinformation. Diese verläuft trotz rechter Störmanöver erfreulich gesittet.
Vor der Fragerunde hatten sie sich gefürchtet. Deshalb definierte Michael Bammatter, Chefbeamter im Stab von CVP-Regierungsrat Anton Lauber, nochmals die Spielregeln: «Das ist keine Gemeindeversammlung, sondern eine Informationsveranstaltung. Es wird keine Abstimmung geben und keinen Antrag. Sondern Fragen, die wir beantworten.» Bammatter wusste: Der Abend wird ein Balanceakt und die Stimmung im Saal darf nicht kippen.
Deshalb sassen sie in Mannschaftsstärke auf der Bühne des vollbesetzten Kongresssaals Mittenza. 700 Muttenzer waren gekommen, um sich über das neue Bundeszentrum für Asylsuchende auf dem Gelände der ehemaligen Deponie Feldreben aufklären zu lassen. Auch, um ihre Sorgen, ihre Ängste und auch Häme zu adressieren. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hatte die stellvertretende Leiterin Barbara Büschi geschickt, der Kanton nebst Lauber noch Kaderleute aus Polizei, Asylwesen und Gesundheit.
Auf zwei Jahre begrenzt
Aus allen Winkeln erklärten und legitimierten sie den Temporärbau, in dem ab Anfang August, so keine Einsprachen eingehen, 500 Asylsuchende ihre ersten Schritte im Asylprozess durchlaufen sollen. Dort werden sie registriert, werden erste Befragungen durchgeführt. Zwei bis drei Wochen sollen sie in Muttenz verbleiben, dann auf die Schweiz verteilt werden. Nach zwei Jahren soll das Zentrum wieder abgebrochen und die Deponie saniert werden.
Lauber, Schatzmeister des klammen Kantons, schälte die finanziellen Vorteile heraus für Kanton und Gemeinde. Baselland kann das verseuchte Grundstück vermieten, und der Kanton muss künftig 500 Flüchtlinge weniger aufnehmen und versorgen. «Asylanten», war die Wortwahl Laubers. Vielleicht, weil er wusste, dass Flüchtling in den Ohren mancher schon wie eine naive Verklärung klingt. Weil der volle Saal auf jede Nuance achtet.
Abwehr einer Plage
Auch muss Muttenz dank dem Bundeszentrum keine zusätzlichen Asylsuchenden aufnehmen. «Muttenz bleibt von einer Erhöhung der Zuteilungen verschont», erklärte Gemeindepräsident Peter Vogt (CVP) zufrieden, als ginge es um die Abwehr einer Plage. «Die Flüchtlinge erhalten keine Sozialhilfe und werden hier nicht eingeschult. Wir müssen sie auch nicht auf dem Einwohneramt registrieren.»
Vogt erklärte, er habe sich für einen begrünten Innenbereich eingesetzt und für einen Spielplatz. Ein Raunen ging durch die Reihen, weshalb Vogt sofort nachschob, das diene dazu, «den Verbleib der Flüchtlinge im Innern der Räume eher zu garantieren.» Eher… hämisches Gelächter im Saal. Später fragte jemand, weshalb die Gemeinde für ihre Bewohner keine so tollen Spielplätze herrichten.
Aber das waren die unvermeidlichen Erruptionen in einem vollbesetzten Saal. Die Veranstaltung verlief gesittet, die meisten Einwohner holten sich die Erklärungen still ab und gingen ebenso still wieder nach Hause. Irgendwo hinten im Raum störten ein paar Kurzgeschorene in Pegida-Fan-Klamotten durch Zwischenrufe den Abend. Bis sie von aufgebrachten Muttenzern angegangen wurden. «Jetzt haltet endlich mal den Rand!», erboste sich ein älterer Mann.
«Ich bin ja Humanistin, aber…»
Sie waren ebenso wenig repräsentativ für die Stimmung im Saal wie die meist recht zornigen Fragenden. Eine Dame äusserte ernsthafte Befürchtungen, der Wert ihrer Immobilie werde wegen des Zentrums sinken. «Ich bin ja Humanistin», führte sie sich ein, «aber keine Toleranzromantikerin.» So war die Frage eher Ausdruck ihrer Haltung. Die Antwort übrigens lieferte der Kantonsarchitekt: Der Wert werde sicher nicht sinken, zumal die Deponie nun auch nicht gerade wertsteigernd gewesen sei.
Ein älterer Mann war besorgt, dass nun Flüchtlinge den tollen Spielplatz im Freidorf stürmen: «Wer bezahlt mir die Schäden?» Eine Frau, die nebenan arbeitet, ängstigte sich vor sexuellen Übergriffen auf dem Parkplatz ihrer Unternehmung. «Da kommen ja viele junge Männer». Eine junge Frau wollte wissen, wie die Polizei reagiere, wenn plötzlich zehn junge Männer am Zaun des nahen Sportplatzes stehen und den Schulmädchen beim Speerwerfen zuschauen: «Das ist ja nicht strafbar, aber auch nicht mit unserer Kultur kompatibel.»
Und ein älterer Mann schliesslich vermutete, die Grösse des Zentrums mache es attraktiv für «hochgefährliche Terroristen, die sich da mit Ihresgleichen kurzschliessen können».
Terroristen meiden Fingerabdrücke
Viele Fragen gelangten an Armin Reichenstein, Sicherheitschef Ost der Kantonspolizei. Reichenstein erklärte, er habe die Deliktzahlen im Umfeld von Asylunterkünften angeschaut und eine rückläufige Entwicklung festgestellt, kaum sei das Zentrum eröffnet (er führt das auf die erhöhte Polizeipräsenz zurück). Er sagte auch, man habe sich vor der Fasnacht grosse Sorgen gemacht bei der Polizei. Und dann sei keine einzige Anzeige eingegangen. Er versicherte, Terroristen würden Registrierungsprozesse gar nicht schätzen.
Schliesslich sagte er:«Wir sind recht erstaunt, wie problemlos der Umgang mit Asylsuchenden im Kanton abläuft. Nicht eine der Befürchtungen ist bislang eingetroffen.»
Reifer Umgang
Die Fragesteller mochte das nicht zu befriedigen. Die meisten Anwesenden vermutlich schon. Auf dem Weg nach draussen unterhielten sich einige darüber, wie sie helfen können, was sie anbieten wollen, wer Deutschstunden geben, wer mit den Flüchtlingskindern spielen könne. Vorher hatte schon die Kirchgemeinde ihre Hilfe angeboten.
Muttenz, diesen Eindruck gibt die Bürgerversammlung, findet zu einem reifen Umgang mit der Flüchtlingskrise und dem eigenen Anteil an deren Bewältigung.