Die Queen besucht Deutschland. Die Menge wird jubeln, fast mehr noch als in England. Auf der Insel versucht eine Minderheit seit Jahren die Monarchin loszuwerden. Eine Reportage von unserem London-Korrespondenten.
Kurz vor drei Uhr herrscht Verwirrung vor der Westminster Abbey. Die Leute recken die Hälse, um besser sehen zu können, dann schauen sie sich mit fragenden Blicken an. War sie das, diese kleingewachsene Gestalt, die eben aus dem Auto gestiegen ist? Eine junge Amerikanerin und ihre Mutter sind sich nicht sicher, doch der Vater winkt ab: «Sie hat eine viel grössere Präsenz, ihr werdet es schon merken, wenn sie da ist.»
Weitere Autos fahren vor und laden hohe Gäste ab. Man muss sie aus der Entfernung betrachten, denn der Platz vor der Kirche ist abgeriegelt. Aber auch aus der Distanz ist zu erkennen: Das ist Kate Middleton, daneben ihr Mann, die Spannung steigt. Zwei prunkvoll bekleidete Männer in blauen, goldbestickten Roben treten aus der Kirche, offensichtlich Geistliche, und kurz darauf fährt der weinrote Bentley vor.
Die Monarchin steigt aus, während ein Diener den Kofferraum öffnet und einen goldenen Stab herausholt. In diesem Moment sind alle Handys in der Luft, Hunderte Fotos werden gemacht, auf denen man nichts sieht – Elizabeth wird vom Auto verdeckt. Eine halbe Minute später ist sie im Inneren der Kirche verschwunden. Die Leute schauen sich wieder an, die Verwirrung ist der Gewissheit gewichen: Das war also die Queen.
Die Überreste des britischen Weltreichs in London
An diesem Montag im März ist das Regierungsviertel Westminster international, auf dem Parliament Square wehen die Flaggen von 53 Ländern aus fünf Kontinenten – Jamaica ist da, Südafrika und Sri Lanka auch, das nördlichste Land ist Kanada. Es ist Commonwealth Day, und die Würdenträger aus den Überresten des britischen Weltreichs sind nach London gekommen, um diese «Familie dynamischer Staaten» zu feiern, wie Generalsekretär Kamalesh Sharma sich ausdrückt. Die Organisation gibt sich schneidig, und die Tatsache, dass sie ihren Ursprung im heutzutage eher verrufenen Empire hat, kümmert niemanden: Elizabeth II. ist zwar die Chefin, aber viel zu sagen hat sie schon lange nicht mehr. Nicht einmal als Staatsoberhaupt müssen sie die Mitgliedstaaten anerkennen.
Wie in allen konstitutionellen Monarchien ist die Macht der britischen Königinnen und Könige im Lauf der Jahrhunderte stark beschnitten worden. Genau wie für die Touristen vor der Westminster Abbey ist die Queen auch für ihre Untertanen mehr eine Prominente als eine Regierungsinstitution: Sie repräsentiert den Staat, leitet ihn aber nicht. Sie hält Reden, die ihr vom Premierminister vorgelegt werden, sie schüttelt Hände und winkt – was soll man schon dagegen haben?
Die Queen hält Reden, die ihr vom Premierminister vorgelegt werden, sie schüttelt Hände und winkt – was soll man schon dagegen haben? (Bild: Matthew Childs)
Entsprechend geniesst die Monarchie grosse Beliebtheit unter den Briten: Weniger als ein Fünftel der Bevölkerung will eine Republik – die Zahl ist seit Jahrzehnten mehr oder weniger konstant. Was will diese Minderheit, und weshalb war sie bislang erfolglos?
Die Suche nach den Gegnern der Queen
Die Suche nach den britischen Republikanern führt in die City, heute der Finanzbezirk Londons und traditionell das kaufmännische Gegengewicht zum Regierungsbezirk Westminster. Cool gegen die Wand gelehnt, in der Hand eine Elektrozigarette, steht Max Shanly vor dem Bishopsgate Institute. «Die meisten Leute sind gegenüber der Queen gleichgültig», sagt der etwas übergewichtige Student, der jünger aussieht als seine 25 Jahre. «Otto Normalverbraucher bringt man vielleicht dazu, all Vierteljahrhundert mal den Union Jack zu schwenken und ‹God Save the Queen› zu singen, aber ich kenne nur sehr wenige Leute, die die Queen wirklich toll finden.»
Durch das Kulturzentrum am östlichen Rand der City weht an diesem Tag der Geist des Antimonarchismus. Es ist der Samstag nach dem Commonwealth Day, und heute wird ein Königsgegner aus einer vergangenen Zeit gefeiert: Vor 400 Jahren wurde John Lilburne geboren, berühmtester Redner der Levellers, einer Gruppe radikaler Demokraten, die im englischen Bürgerkrieg der 1640er-Jahre eine Schlüsselrolle spielten.
«Ich kenne nur sehr wenige Leute, die die Queen wirklich toll finden»: Max Shanly, Republikaner.
Am 30. Januar 1649 wurde König Charles I. vor dem Banqueting House, unweit der Westminster Abbey, von einem geübten Scharfrichter enthauptet. Er war zuvor des Hochverrats schuldig gesprochen worden. Dem vermummten Henker muss etwas mulmig zumute gewesen sein, denn den üblichen Ausruf «Seht her, der Kopf eines Verräters!» liess er bleiben, wohl aus Angst, seine Stimme könnte erkannt werden. Er traute der königsfeindlichen Gemütslage des Volkes anscheinend nicht. Die englische Republik währte dann auch nur zehn Jahre – 1660 war Charles II. auf dem Thron, und seither hat das Land eine Königin oder einen König als Staatsoberhaupt.
Hat das Königshaus überhaupt ein Herz? Die Frage nach dem Tod von Diana
Doch das könne sich schnell ändern, sagt Geschichtsstudent Shanly: Die Gleichgültigkeit gegenüber der Monarchie schlägt zuweilen rasant in Ablehnung um – wie 1997 beispielsweise, als die Queen nach dem Tod Dianas, Prinzessin von Wales, so unbeliebt war wie nie zuvor. «Das ganze Land war felsenfest davon überzeugt, dass die Royals etwas mit dem Tod Dianas zu tun hatten», sagt Shanly.
Die Umfragewerte der Queen stürzten in den Keller, und auch Leute, die nicht an eine Verschwörung glaubten, waren empört über die penetrante Gleichgültigkeit, mit welcher sich der Buckingham Palace in der Affäre verhielt. Ob das House of Windsor ein Herz habe, fragte etwa die konservative und sonst so monarchieversessene Daily Mail. Das politische Establishment erkannte die Gefahr. «Die Politiker traten in Aktion und sagten der Queen, was sie tun müsse, wenn sie nicht abgeschafft werden wollte», sagt Shanly. «Die Queen hörte auf sie und konnte die Krise so überstehen.» Sowieso sei die politische Klasse viel unterwürfiger gegenüber der Monarchie als die breite Bevölkerung.
Laut Steve Freeman hat das einen einfachen Grund: Die Politiker brauchen die Queen für ihren eigenen Machterhalt. Freeman sitzt im Café des Bishopsgate Instituts, mit seiner schwarzumrandeten Brille gleicht er auf den ersten Blick dem Schauspieler Alan Ford, dem Bösewicht aus dem Film Snatch. Der 65-Jährige ist Lektor an der Southbank Universität und Parteimitglied der Republican Socialists. «Die Queen ist eine Ablenkung, aber eine notwendige: Sie lenkt davon ab, wo die Macht tatsächlich liegt, nämlich bei der Krone», sagt Freeman.
«Die Queen ist eine Ablenkung», sagt Steve Freeman, Mitglied der Republican Socialists.
Die Krone ist nicht das gleiche wie die Monarchie: Während die Monarchie aus der Königin besteht, aus den Palästen, der Horseguard Parade und dem ganzen Rummel um die Royal Family, ist die Krone ein konstitutionelles Instrument: Sie steht für den Staat, von ihr leitet sich alle politische und rechtliche Macht im Land ab. «Die Krone ist aus einer kleinen Gruppe von Leuten zusammengesetzt, die im Land tatsächlich Macht besitzen: Der Premierminister ist dabei, dazu Mitglieder seines Kabinetts, hohe Staatsbedienstete und Vertreter der Geheimdienste.»
Die Krone führte das Land in den Irakkrieg
Als Beispiel, wie diese Macht ausgeübt wird, gibt Freeman den Irakkrieg: Die Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, wurde nicht vom Parlament gefällt, sondern vom Premierminister, den Chefs der Nachrichtendienste und des Verteidigungsministeriums, dazu einige andere hohe Amtsträger – kurz: von der Krone. Das Parlament stimmte der Invasion zwar letzten Endes zu, aber die Abstimmung war für Tony Blair nicht rechtlich bindend. Eine Gesetzesvorlage, die die Zustimmung des Parlaments obligatorisch gemacht hätte, war zuvor von der Queen blockiert worden, auf Antrag des Premierministers.
Freeman schaut auf die Uhr. Er muss gleich gehen, die nächste Veranstaltung beginnt in fünf Minuten. Zum Abschied drückt er mir einen Wahlkampfzettel in die Hand, denn Freeman kandidiert für das Unterhaus. Anstelle des Westminster-Systems, so steht auf dem Papier, brauchen die Britinnen und Briten ein «People’s Parliament»: «Ohne wirkliche Demokratie werden wir keine soziale Gerechtigkeit haben.» Den Wählern fehlte anscheinend der Enthusiasmus für eine republikanische Revolution: Bei der Unterhauswahl einige Wochen später erhielt Freeman gerademal 20 der 51’000 abgegebenen Stimmen und kam als letzter in seinem Wahlkreis.
Die wichtigste Lobbygruppe der Monarchie-Gegner
Doch die Republican Socialists sind nicht die einzigen, die auf die Gefahr der Krone hinweisen. Die wichtigste Lobbygruppe zur Abschaffung der Monarchie heisst Republic und versucht schon seit vielen Jahren, das Volk für die Vorzüge eines königsfreien Staates zu gewinnen. Ihr Vorsitzender nimmt seine Aufgabe ernst. Der 40-jährige Graham Smith lächelt kaum, als wir uns zum Mittagessen in der Bahnhofshalle von St Pancras treffen.
Während er in seriöser Manier seinen Salat verzehrt, erläutert er, wie weit der Einfluss der Monarchie tatsächlich geht: «Die Idee der Crown-in-Parliament besagt, dass das Parlament die Macht von der Krone übernommen hat. Tatsächlich hat aber die Krone einen guten Teil dieser Macht behalten, und in vielen Fällen wird sie über den Premierminister ausgeübt. Das gibt ihm eine Verfügungsgewalt, die die wenigsten demokratischen Regierungen der westlichen Welt haben.»
Die Royal Prerogative ist das Machtprivileg der Monarchen, das ihnen theoretisch die Befugnis gibt, bestimmte Entscheidungen in Aussen- und Sicherheitspolitik selbst zu fällen. In der Praxis liegen diese Entscheidungen jedoch seit dem 19. Jahrhundert beim Premierminister, der somit eine Art monarchische Gewalt ausübt. «Unser Parlament könnte genauso gut nicht existieren», sagt Smith. «Die Abgeordneten haben zwar all diese Debatten, aber die Regierung bekommt immer, was sie will. Sie dominiert die Tagesordnung oder kann Gesetzesvorlagen der Opposition mit einem Veto unterbinden.» Ein drastischer Fall, bei dem die Krone von ihren Hoheitsrechten Gebrauch machte, betrifft die ehemalige britische Kolonie der Chagos-Inseln im Indischen Ozean.
Wenn die Krone ein Gerichtsurteil einfach so mal aufhebt
Anfang der 1970er-Jahre deportierte Grossbritannien rund 2000 Einheimische von den Inseln, damit sie den Archipel an die USA verkaufen konnten, denn die Amerikaner wollten dort einen gigantischen Militärstützpunkt aufbauen. Ein sogenannter Order in Council – im Prinzip ein königlicher Erlass – bildete die rechtliche Grundlage für die Deportation. Seit Jahrzehnten kämpfen die Chagossianer für das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat, und im Jahr 2000 hatten sie einen ersten Erfolg: Ein britisches Gericht urteilte, dass die Deportation rechtswidrig war. Doch der Sieg war kurzlebig, denn das Urteil wurde aufgehoben, und zwar durch einen zweiten Order in Council, der später vom House of Lords bestätigt wurde – diese zweite Kammer des Parlaments ist freilich genauso wenig gewählt wie die Queen.
Laut Smith ist der Graben zwischen dieser politischen Realität und der öffentlichen Wahrnehmung der Monarchie weitgehend dafür verantwortlich, dass es keine grössere Debatte um eine republikanische Staatsordnung gibt. Aber wie Max Shanly glaubt er, dass sich der Enthusiasmus der Britinnen und Briten für die Monarchie in Grenzen hält. «Die meisten Leute kümmern sich nicht darum. Es gibt einen Rest an Sympathie für die Queen, weil sie schon so lange auf dem Thron sitzt – sie gehört sozusagen zum Hausrat. Aber sobald die Leute sehen, dass sich die Royals in die Politik einmischen, ändern sie ihre Meinung», sagt Smith. Bereits äussern viele Briten ihren Unmut, weil der Thronfolger, Prinz Charles, die Regierung viel stärker zu beeinflussen sucht als seine Mutter. «Und unsere Aufgabe ist es, diese Stimmung einzufangen und die Leute dazu zu bringen, kritisch über die Monarchie zu denken.»
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Für unsere Leserinnen und Leser ennet der Grenze: Die «Süddeutsche Zeitung» mit einer Übersichtskarte – Wo Sie die Queen sehen können
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