Aufstand im Paradies

Wieder einmal übt sich das Bruderholz in zivilem Ungehorsam. Diesmal gilt es zu verhindern: die Schulreform Harmos. 

Jaguar vor Haus: Willkommen auf dem Bruderholz. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Wieder einmal übt sich das Bruderholz in zivilem Ungehorsam. Diesmal gilt es zu verhindern: die Schulreform Harmos. 

Für die Mitarbeiter des Basler Erziehungsdepartments (ED) wird es wieder so einen Abend geben, den man niemandem wünscht, aber am wenigsten sich selbst. Aber sie müssen jetzt da durch. Das bringt die Beamtenpflicht mit sich.

Am kommenden Dienstag, 27. März, fahren sie zum wiederholten Mal rauf auf den Berg. Elternorientierung im Bruderholzschulhaus. Es wird zur Sache gehen, das steht fest. Die Eltern werden die Beamten stur nennen, selbstherrlich, vielleicht auch herzlos und fundamentalistisch. Doch ihr Vorgesetzer Pierre Felder, Leiter Volksschulen beim ED, hat sich etwas ausgedacht, um die Wut zu dämpfen. Die Eltern sollen das Gefühl haben, mitbestimmen zu können.

Nadine Gautschi verwirft die Hände: «Das ist eine Alibiübung, das ED möchte Entscheidungen zu Klasseneinteilungen auf die Eltern abschieben.» Gautschi ist Elternrätin ebendieses Primarschulhauses und Wortführerin des Widerstands gegen die Umsetzung der grossen Schulreform Harmos auf dem Bruderholz.

Runter vom gelobten Hügel

Seit bald zwei Jahren setzt Gautschis Hausfrauenguerilla dem ED zu. Mit allen rechtsstaatlich zulässigen Mitteln wehren sie sich dagegen, dass ab dem nächsten Schuljahr Kinder aus dem Bruderholzschulhaus in das am Fuss des Hügels gelegene Brunnmattschulhaus verlegt werden – eine Folge von Harmos. Da die Primarschule künftig sechs Jahre lang dauert, hat es im Bruderholzschulhaus nicht mehr genügend Platz. Im Brunnmatt hat es davon reichlich.

Doch obwohl die Schulen nur ein paar Strassenzüge voneinander getrennt sind, scheinen sie anderen Welten zugehörig. «Das Bruderholzschulhaus ist eine Idylle», erzählt eine besorgte Mutter, die nicht mit Namen genannt werden will. Als sie schwanger wurde vor ein paar Jahren, seien sie und ihr Mann raufgezogen. Sie hatten sich das Quartier gut angeschaut, das Schulhaus besonders genau: Einzelne Pavillons wechseln sich mit Spielwiesen ab. Platziert zwischen Schrebergärten, inmitten der letzten Basler Glückseligkeit. Ein unschuldiger Flecken Stadt.

Ganz anders das Brunnmattschulhaus, ein massiger Betonkasten, wo die Bruderholz-Kids nicht mehr unter sich wären, sondern in gemischte Klassen mit Kindern aus dem Ausländerviertel Gundeli kommen: «Ich will meine Kinder nicht den Einflüssen fremder Kulturen entziehen», sagt die Mutter, aber es sei doch noch viel zu früh.

Von Idylle versteht Volksschulleiter Felder nicht allzu viel. Darum können sich andere kümmern, Privatschulen beispielsweise. Felders Metier ist ein anderes: Seine Volksschule ist eine, die sich der undankbaren Aufgabe verschrieben hat, die riesige Chancenungleichheit in der Stadt so weit zu bekämpfen, dass jedes Kind später auf eigenen Füssen stehen kann.

Felders Beamte sollen mit den Eltern nun am 27. März besprechen, ob Klassen im Verbund runter sollen oder nur jene Schüler mit dem kürzesten Schulweg. Aber er weiss auch, dass damit der Kern des Problems nicht getroffen wird. Die Diskussion um zerrissene Klassen oder um das Verkehrsaufkommen am neuen Schulweg hält er für «teilweise vorgeschoben». Dahinter stecke «die Furcht vor fremden kulturellen Vorstellungen, mit denen die Kinder konfrontiert werden könnten». Vielen Eltern auf dem Bruderholz, die aus einem bildungsnahen Milieu stammen, falle es schwer, sich diese Ängste einzugestehen.

Elternratspräsidentin Gautschi hat einen anderen Blick auf die Sache: «Die Mehrheit der Chefbeamten im ED sind politisch links zu finden, unsere Bedürfnisse haben für sie keine Priorität.» Allerdings ist Felders Vorgesetzter Christoph Eymann bei der LDP und auch nicht zugänglicher. Obwohl es anfangs den Anschein machte.

Eymanns Fehlgriff

Am 7. Juni 2011 fuhr Eymann aufs Bruderholz, wie es Basler Regierungsräte gerne tun, wenn sie Neuerungen auf ihre Akzeptanz abklopfen lassen wollen. Eymann stellte den Planungsstand und die Konsequenzen der Bildungsrefom vor. Es wurde laut im Saal. Aufgebrachte Eltern machten ihrem Ärger Luft. Eymann beschwichtigte. «Es ist nichts in Stein gemeisselt», waren seine Worte, die man sich auf dem Bruderholz notierte und dick unterstrich.

Zurück in der eigenen Behörde musste sich dann Eymann von den eigenen Leuten belehren lassen, dass es diesen Spielraum nicht gibt. Seither traut er sich nicht mehr, in den Konflikt einzugreifen. «Es ist nicht so, dass das Bruderholz von Harmos besonders hart getroffen würde», sagt Chefplaner Felder. «Die Situation ist an vielen Orten der Stadt vergleichbar.»
Über Eymanns Wortbruch empört, wurde auf dem Bruderholz der Neutrale Quartierverein (NQVB) eingeschaltet. Präsident dieser Kampfgenossenschaft ist Conrad Jauslin, ein Mann, dem man den Revoluzzer nicht ansieht. Jauslin ist Bauingenieur und wohnt an der Arabienstrasse. Als die Eltern zu ihm kamen, taten Jauslin und sein Vorstand, was sie in den letzten Jahren oft getan haben: Sie setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um Nachteile für ihr Quartier zu verhindern.

Netzwerk von guten Freunden

Der NQVB aktivierte sein weitverzweigtes Netzwerk von guten Freunden. Architekten reichten Ausbaupläne ein für das Bruderholzschulhaus, das unter Denkmalschutz steht und nicht verändert werden darf. Bauplaner suchten Ausweichstandorte, Juristen fahndeten nach Lücken in den Reglementen. Zeitgleich wurde auf der Ebene Regierung versucht, Einfluss zu nehmen. «Das ist einer der Vorzüge der direkten Demokratie», sagt Jauslin, «wir verfügen über Kontakte und nutzen die auch.»

Weil all das nicht fruchtete, reichte der NQVB eine Petition ein. Zugleich platzierte der dem Netzwerk zugehörige FDP-Grossrat Christian Egeler eine Anfrage bei der Regierung. Mit einem letzten Kniff versuchte Egeler, das ED auszutricksen und Guy Morins Präsidialdepartement in die Affäre mitreinzuziehen, indem er die Umsetzung von Harmos mit den Zielen der Stadtentwicklung kollidieren liess. Morin, selber auf dem Bruderholz zuhause, roch den Braten und schob das Geschäft zum gebeutelten Kollegen Eymann.

Sonderwünsche

Die Drückerkolonne vom Wasserturm lief auf. Die Methoden, mit denen in der Vergangenheit noch Kompromisse zu erzwingen waren – als sich das Bruderholz von der Parkraumbewirtschaftung ausnehmen lassen wollte oder bei der Zonenplanrevision –, kamen in der Verwaltung nicht mehr so gut an wie in der Vergangenheit, als sich Baudirektor Hans-Peter Wessels nach einer ausgefochtenen Auseinandersetzung mit einem Briefchen für die «sympathische Hartnäckigkeit» des NQVB bedankte.

Sympathisch hartnäckig geht es auch im Kampf gegen Harmos weiter. Viele Eltern hätten laut NQVB gedroht, wegzuziehen oder ihre Kinder auf eine Privatschule zu schicken. Elternsprachrohr Gautschi sagt, sie könne sich das nicht leisten. Ihr bleibt nur noch etwas übrig: Sie will ihre Kinder, wenn nötig, jeden Tag mit dem Auto ins Brunnmatt fahren. Dies sei zwar nicht verboten, aber bei der Schulleitung äusserst unerwünscht. Der zivile Ungehorsam auf dem Bruderholz, er geht weiter.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23.03.12

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