Aufstieg und Fall

Erleben wir tatsächlich das Ende der Ära Christoph Blocher? Oder sind wir vielleicht zu schnell? Irgendwie ist der Mann immer noch seltsam zuversichtlich.

Nicht kleinzukriegen: Christoph Blocher, der ewige Missionar, nach der Bundesratswahl 2011. (Bild: Keystone)

Erleben wir tatsächlich das Ende der Ära Christoph Blocher?

Das eidgenössische Wahljahr kommt im Frühling auf Touren und endet jeweils mit den Bundesratswahlen im Dezember. Höhepunkt sind die Nationalratswahlen im Oktober. Wie in den vergangenen 20 Jahren dominierte die SVP auch in diesem Jahr die Debatten, aber weniger stark als auch schon.

Die Wählereinbussen der Schweizerischen Volkspartei, die in diesem Oktober resultierten, sind mit 2,3 Prozent zwar gering – wenn aber eine Partei zwei Jahrzehnte lang regelmässig zulegt und neue Höchstwerte anstrebt und prophezeit, dann sind mehr als zwei Prozent Verlust schon fast ein Absturz. Oder gepflegter ausgedrückt: eine Trendwende.

Was nun?

Wird die SVP nun wieder zu einer ganz normalen Partei, die sie schon einmal war, bevor Christoph Blocher die Zügel der Zürcher Kantonalpartei in die Hände nahm und zum Siegeszug in der ganzen Schweiz durchstartete? Stark wird sie weiterhin bleiben, die SVP, doch wenn «Parteiführer Blocher», wie ihn Fraktionschef Caspar Baader auch schon genannt hat, an Einfluss verlieren sollte, dürften Flügelkämpfe zwischen Gemässigten und Hardlinern die Partei weiterhin schwächen.

Dass Blocher die SVP geprägt und gestaltet hat wie kaum je ein anderer Politiker dies in der Schweiz mit irgendeiner Partei getan hat, ist unbestritten. Sein Macht- und Geltungsdrang gepaart mit Intelligenz und Schlauheit zeichnen ihn aus. Und waren entscheidend für den Aufstieg der SVP zur stärksten Partei der Schweiz, der parallel zu Blochers Entwicklung zur umstrittensten politischen Figur des Landes verlief.

Dem Start in die politische Karriere ging die geschäftliche voran. Blocher rühmt sich, ein guter Unternehmer zu sein. Zu seinem Reichtum kam er aber vor allem, indem er es verstand, andere über den Tisch zu ziehen – wie es der «Tages-Anzeiger» Ende Dezember schön nachzeichnete. Blocher sicherte sich so die Millionen, die er einsetzte, um seiner Partei und seiner Politik zur gros­ser Publizität zu verhelfen (etwa mit dem Versand von Propagandamaterial an alle Schweizer Haushalte).

Politisch startete er national mit einer Niederlage, als er 1985 das neue Eherecht an vorderster Front bekämpfte. Aufsehen erregte Blocher drei Jahre später: Er bodigte zur Überraschung vieler Bürgerlicher das AKW Kaiser­augst. Was politisch nur unter grössten Kollateralschäden durchzubringen sei, so seine Ansicht, würde zu teuer. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Man konnte Blochers Ansichten teilen oder nicht, sein unbedingtes Engagement war ihm nicht abzusprechen. Und Originalität auch nicht. Wie ein Lausbub freute er sich, als er im militärischen Rang eines Obersten Anfang der 90er-Jahre sein Regiment auf der Zürcher Sechseläutenwiese abgab. Verbotenerweise hatte er das Ritual im Zentrum Zürichs angesetzt, um die etablierten Kreise zu ärgern. Als die Polizei kam, war das Regiment schon auf und davon.

Die Mission

Die Etablierten ärgern, die «Classe politique» verunglimpfen – das war ihm neben seinem Engagement für konservative Werte sein vorderstes Anliegen. Mit seinem Einsatz gegen den Beitritt der Schweiz in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) wich das Engagement der Mission. Christoph Blocher gewann die wohl umkämpfteste Abstimmung der letzten 50 Jahre knapp, hatte sich dabei nicht nur mit der Mehrheit seiner verhassten «Classe politique» überworfen, sondern auch mit der wirtschaftlichen Elite.

Umso leidenschaftlicher sein Kampf gegen alles Fremde, Unschweizerische, er sah sich als unfehlbarer Hüter der echten Schweizer Werte, eroberte Anhängerinnen und Anhänger in Kantonen und Talschaften, die noch nie ein SVP-Plakat gesehen hatten. Als Bürgerlicher hätte er eigentlich in der SP und bei den Grünen seine Hauptgegner sehen sollen, in der Realität aber schwächte er tatkräftig die anderen bürgerlichen Parteien. Sein Wille, die Schweiz fernzuhalten von fremden Mächten, Richtern und dergleichen, wurde zur Obsession.

Wer blind mit ihm ging, wurde getragen. Wer querdachte, fallen gelassen. Die Partei funktioniere wie eine Bruderschaft, sagt eine Insiderin. Als eine der Ersten hat das die Zürcher SVP-Nationalrätin Lisbeth Fehr erlebt. Am Anfang noch Liebkind von Blocher, geriet sie in Ungnade, als sie europapolitisch eigene Ansichten zu vertreten begann. Sie erhielt 2003 keinen Platz mehr auf der Zürcher Nationalratsliste. Einer der prominentesten Abweichler dürfte der ehemalige Bundesrat Samuel Schmid sein, der sich nicht in Blochers Mission einspannen liess.

Aber die «Bruderschaft» wuchs dennoch. Und wuchs. Sammelte Unterschriften für Initiativen und Referenden, sammelte Anhänger. Die Partei bekam einen «Auftrag» – nämlich den Sonderfall Schweiz zu bewahren – und sie schuf und definierte ein «Gedankengut». Das SVP-Gedankengut. Der Kult um Christoph Blocher schien 2003 zu kulminieren, als seine Partei zum weiteren und vorletzten Mal eine Rekordsumme von Wählerstimmen einfuhr und er in den Bundesrat gewählt wurde. Doch Blocher sollte sich noch steigern. Vor vier Jahren zog die Partei mit «SVP wählen, Blocher stärken» in die Wahlen, gewann sie wieder und verlor sie irgendwie dennoch.

Was danach geschah, wurde schon in ungezählten Varianten erzählt und beschrieben. Das wahre Ausmass der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat im Jahr 2007 lässt sich aber erst heute ermessen, im Dezember des Jahres 2011.

Ein einziges Ziel

Die vergangenen vier Jahre waren durchtränkt von nur einem Gedanken: die Schmach von damals zu rächen. Auch wenn Blocher nach seinem Abgang aus Bern gegen aussen schnell wieder den Anschein erweckte, ganz der Alte zu sein, herumpolterte und schwadronierte, scherzte und stichelte, so hat ihn die Abwahl doch in seinem Tiefsten getroffen. Es war die eigentlich logische Reaktion des «Establishments», den Ausgrenzer in einer konzertierten Aktion selber auszugrenzen; Blocher und mit ihm die ganze SVP hatten mit einer derartigen Reaktion auf ihren Erfolg rechnen müssen. Und dennoch traf es die Führungsriege im Mark. Es ist das Kennzeichen jeder Mission, dass ihre Anhänger mit aller Macht an ihre Botschaft glauben und nicht verstehen können, wenn diese bei Andersdenkenden nicht ankommt. Wenn diese sich dann sogar erdreisten, etwas gegen die verkündete Heilsbotschaft zu unternehmen, dann begreifen die Missionare gar nichts mehr. Die Reaktion darauf ist Ignoranz.

Das ist der Grund, warum sich die SVP im Wahljahr 2011 auf alte Kräfte konzentrierte – und damit glorios scheiterte. Die Wahlen 2011 waren der Versuch der Partei, den Erfolg von 2007 mit den exakt gleichen Mitteln zu kopieren. Die Konzentration auf wenige Führungsfiguren, der «Sturm aufs Stöckli», die Fixierung bei den Bundesratswahlen auf den einen Sitz von Eveline Widmer-Schlumpf: Alles war bei diesen Wahlen auf die Wiederherstellung der alten Ordnung ausgerichtet.

Und alles nahm ein Ende am Abend des 23. Oktobers. In einem der vielen dunklen Gänge des Medienzentrums des Schweizer Fernsehens stieg Christoph Blocher auf ein Podest, umringt von mindestens zwanzig Journalisten, und versuchte, die Niederlage seiner Partei, seine Niederlage, in einen Sieg umzudeuten. Seit diesem 23. Oktober macht Blocher nichts anderes mehr. Der schwache zweite Wahlgang bei den Ständeratswahlen, die Erbschaftsaffäre von Bruno Zuppiger, die wirre Wahlstrategie während den Bundesratswahlen, die lauten und manchmal ausfälligen Interviews des «Chefstrategen» in den Wochen nach der Wahl – alles Signale eines von den Medien und einer SVP-fremden Öffentlichkeit gierig herbeigesehnten Abstiegs des Patriarchen.

Passend dazu war sein aufgeflogenes Engagement bei der BaZ. Es ist kein Problem, wenn ein rechtsgerichteter Politiker eine Zeitung besitzt. Ein Problem ist es, wenn dieser rechtsgerichtete Politiker nicht den Mut hat, das der Öffentlichkeit mitzuteilen. Jene Mitglieder der Bruderschaft, die vier Jahre lang Eveline Widmer-Schlumpf eine Verräterin und Lügnerin geschumpfen haben, verklären heute die Vernebelungstaktik von Blocher bei der BaZ als «notwendiger Schutz der Privatsphäre».

Zu schnell

Aber. Und dieses Aber ist ein gewichtiges. Sind wir vielleicht zu schnell? Sagt die vielbeschriebene Saga des «Endes einer Ära» nicht mehr über den Wunsch der Öffentlichkeit links der SVP aus, die Partei möge in der Bedeutungslosigkeit versinken, als über die wahren Verhältnisse? Die Partei hat zwar nur einen Bundesrat, hat zwar bei den Wahlen verloren, aber sie ist weiterhin die stärkste Kraft im Land. Sie hat die Kraft, mit Referenden und Initiativen Abstimmungen zu gewinnen, sie befindet sich in der «Halb-Opposition» – ihrer liebsten Position – und sie hat einen Blocher an der Spitze, der die Ereignisse der vergangenen Monate seltsam zuversichtlich überstanden hat. Vielleicht ist die meistbeschriebenste Karriere der Schweiz eben doch nicht zu Ende.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30/12/11

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