Keine Verträge, keine Übersicht und keine Verantwortlichen: Wie die BVB die Kontrolle über ihre Auftragsvergaben verloren.
Was der Bericht der Wirtschaftsprüfer ans Tageslicht bringt, hätte so kaum jemand erwartet: Die Basler Verkehrsbetriebe (BVB) haben im vergangenen Jahr jeden zweiten Auftrag über 100’000 Franken unter der Hand vergeben und somit in mindestens 53 Fällen gegen das Beschaffungsgesetz verstossen.
Insgesamt haben die BVB Aufträge in der Höhe von rund 25,3 Millionen Franken ohne vorschriftengemässe Ausschreibung vergeben. In 13 weiteren Fällen war die Dokumentation der Vergaben offenbar so mangelhaft, dass die Prüfer kein Urteil fällen konnten.
Dem Bericht nach waren die Vergaben unter der Hand die krasseste Verfehlung, aber bei weitem nicht die einzigen.
Es handle sich nicht um ein spezifisches Problem der BVB sondern der Branche insgesamt, findet BVB-Verwaltungsratpräsident Blumenthal.
Bei 90 Aufträgen in der Höhe von mehr als 100’000 Franken gab es keinen schriftlichen Vertrag. «Die Qualität der uns abgegebenen Dokumente hat stark variiert», schreiben die Prüfer in ihrem Bericht. Ein weiterer gravierendes Versäumnis: Bei den BVB fehlt eine zentrale Übersicht aller Auftragsvergaben für das vergangene Jahr. Offenbar haben die einzelnen Verantwortlichen mit sehr grosser Autonomie auch über grössere Aufträge entscheiden können, ohne dass darüber Buch geführt worden ist.
Bei 57 Aufträgen erfolgten die Vergaben unter Einhaltung des Beschaffungsgesetzes.
Bei 53 Aufträgen erfolgte die Vergabe ohne Einhaltung des Beschaffungsgesetzes.
Bei 13 Aufträgen konnte die Auftragsvergabe aufgrund der vorliegenden Dokumentation nicht abschliessend beurteilt werden
Bei 8 Aufträgen unterliegen die Vergaben nicht dem Beschaffungsgesetz.
Unternehmensleitung sucht nach Erklärungen
Verwaltungsratspräsident Paul Blumenthal kündigte am Dienstag an, die BVB werden künftig bei der Vergabe von Aufträgen «eine Nulltoleranz einführen» und weitere Massnahmen umsetzen.
Bereits Anfang Jahr hat der Verwaltungsrat Vergaberichtlinien verabschiedet und eine «Legal & Compliance Abteilung» eigesetzt, die sich mit der Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien beschäftigt.
Trotz der erdrückenden Faktenlage, versuchte die Unternehmensleitung den Bericht zu relativieren. Es handle sich nicht um ein spezifisches Problem der BVB sondern der Branche insgesamt, sagte Blumenthal. Ausserdem seien die Aufträge häufig wegen Zeitdrucks unter der Hand vergeben worden, um die Umsetzung von Projekten und den Betrieb nicht zu behindern, etwa bei Materialschäden. Das klingt, als hätten die Verantwortlichen häufig keine andere Möglichkeit gehabt.
Die Wirtschaftsprüfer aber schätzen die Situation rückblickend anders ein. Sie schreiben, die BVB hätten in 17 Fällen einen sogenannten «Ausnahmetatbestand» angegeben. Anhand der Unterlagen liess sich diese Darstellung offenbar nicht bestätigen. Im Bericht steht: «Dies konnte anhand der vorliegenden Informationen nicht nachvollzogen werden.»
Staatsanwaltschaft muss offene Fragen klären
Nach der Veröffentlichung des Berichts bleiben viele Fragen offen. Weshalb alle Kontrollinstanzen von der Geschäftsleitung, über den Verwaltungsrat bis zum Regierungsrat auch in diesem Fall versagt haben. Und ob gewisse Mitarbeiter durch die Vergabe unter der Hand persönlich profitiert haben, etwa durch Gegengeschäfte oder Geschenke. «Für mich gilt die Unschuldsvermutung», sagt Blumenthal im Interview. Er unterstelle keinem Mitarbeiter böse Absichten.
Diese Frage muss letzten Endes die Staatsanwaltschaft klären, die bereits Anfang Jahr eine Voruntersuchung aufgenommen hat. Dabei dürften auch Blumenthal und Michael Bont, der heutige Direktor ad interims, im Fokus der Ermittler stehen. Beide waren bereits im vergangenen Jahr bei der BVB in führenden Positionen. Blumenthal als Verwaltungsratsmitglied und Pont als Leiter Infrastruktur – jener Abteilung, die 2013 am meisten Aufträge vergeben hat. Beide haben die gravierenden Missstände toleriert oder übersehen.
VR-Präsident Blumenthal nimmt im Video-Interview Stellung: