Aus dem Fotoarchiv von Kurt Wyss: Am Abzughahn der Zukunft

Heute ist der Autobahnabschnitt zwischen der Hagnau und Augst die am meisten befahrene Strecke der Schweiz. Vor 62 Jahren startete Regierungsrat Max Kaufmann die Bauarbeiten mit einem Pistolenschuss.

Ein gemischtes Publikum im Hintergrund und ein Polizeikorporal im Vordergrund und der unsichtbare Fotograf, sie alle warten auf den Knall. (Bild: Kurt Wyss)

Heute ist der Autobahnabschnitt zwischen der Hagnau und Augst die am meisten befahrene Strecke der Schweiz. Vor 62 Jahren startete Regierungsrat Max Kaufmann die Bauarbeiten mit einem Pistolenschuss.

Das ist eine der «einmaligen» Situationen, die sich allerdings regelmässig wieder­holen: ein für die Zukunft besonders wichtiger Bau wird in Angriff genommen. Das muss ri­tuell markiert und begangen werden. Meistens von irgendwelchen Oberen, die heute dazu sogar einen Helm anziehen und mit dem Spaten hantieren. Die symbolischen Bändel werden meistens dann erst durchschnitten, wenn der Bau fertig ist.

Diese Szene vom September 1960 ist – innerhalb des seriellen Handels – eine ganz spezielle: Sie drückt die ungestüme Zukunftsfreudigkeit aus, mit der in der Hochkonjunktur zu Beginn der goldenen 1960er-Jahre grosse Gemeinschaftsunternehmen angepackt wurden. Der hier im Einsatz stehende Mann war in den gleichen Jahren auch für die Planung und den Bau des Kantonsspitals Bruderholz, des Kraftwerks Birsfelden, des Technikums beider Basel und für manch anderes zuständig. Auch für den Strassenbau – darum hier der Startschuss in eine mobilere Zukunft.

Der Baselbieter Regierungsrat Max Kaufmann aus Buus, der in seinen jüngeren Jahren die Bezirksschule in Böckten und die Landwirtschaftsschule in Liestal besucht hat und Bauer war und schon 1935 die Bauernpartei im Landrat vertrat, eröffnet jetzt mit einem Revolver (und mit konzentriertem Gesichtsausdruck) die Bauarbeiten am Autobahnabschnitt Birsfelden–Augst.

In der Linken hält Kaufmann wohl das Manuskript der Rede, die er zuvor gehalten hat. Das auf der Tribüne deponierte Mikrofon musste wohl eher die Rede als den Startschuss verstärken. Ein gemischtes Publikum im Hintergrund und ein Polizeikorporal im Vordergrund und der unsichtbare Fotograf, sie alle warten auf den Knall. Zur Feier des Tages hat der sonderbar lächelnde Polizist, obwohl es hier keinen Verkehr zu dirigieren gab, seine weissen Handschuhe und Ärmelstulpen an.

Die Basler Randregion war damals noch schlecht an das schweizerische Verkehrssystem angebunden. 1958 war das Nationalstrassennetz beschlossen worden. Die hier 1960 in Angriff genommenen Bauarbeiten wurden erst neun Jahre später abgeschlossen: Die 9,5 Kilometer lange Strecke Birsfelden–Augst konnte im Dezember 1969 eröffnet werden. Und erst im Dezember 1970 war die Strecke Basel–Bern auf der Autobahn durchgehend befahrbar. Damit verlor der Jura für den Autoverkehr einen Teil der Sperrriegelwirkung, die den Nordwest-Zipfel von der übrigen Schweiz trennte.

Die hier eröffnete Strecke ist heute die meistbefahrene Strasse der Schweiz. Jeden Tag rollen Zehntausende von Wagen über eine Vergangenheit, von der sie nichts wissen. Und seit dem November 1973 lebt auch der hier energisch agierende Schütze nicht mehr.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.08.12

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