Aus dem Fotoarchiv von Kurt Wyss: Das letzte Aufgebot

Vor 40 Jahren schaffte die Schweiz als letztes europäisches Land die Kavallerie ab – die Reiter gaben nicht kampflos auf. Und auch heute noch wird der einstigen Truppengattung gedacht.

Verzweifelte Schlussoffensive: Im März 1970 zogen die schweizerischen Kavalleristen ein letztes Mal an Medienläuten vorbei – sie wurden durch Panzergrenadiere ersetzt. (Bild: Kurt Wyss)

Vor 40 Jahren schaffte die Schweiz als letztes europäisches Land die Kavallerie ab – die Reiter gaben nicht kampflos auf. Und auch heute noch wird der einstigen Truppengattung gedacht.

März 1970: Noch ist die Kavallerie nicht abgeschafft, aber es droht ihr ein baldiges Ende. Darum der beinahe verzweifelte Rekurs an die Öffentlichkeit mit der Mobilisierung nicht nur der Kavallerie, sondern auch der Presse. Dies mit der Botschaft, dass es gute ­Argumente für ihre Erhaltung gebe. Die Kavallerie verteidigte hier nur noch sich selbst und zog als geisterhafte Silhouette an den wartenden Medienleuten vorbei, schwarz vor verschneiter namenloser Siedlung, irgendwo im Mitteland, das inzwischen ganz zur Agglo-Schweiz zu verkommen droht.

In diesen Tagen begehen wir einen Gedenktag: Vor 40 Jahren, 1972, schaffte die Schweiz als letztes euro­päisches Land seine berittene Truppe ab – und machte aus ihnen Panzer­grenadiere. Die Dragoner stiegen aber nicht ohne Weiteres aus dem Sattel. Disziplin und Anarchie lagen bei dieser Elitetruppe ganz nahe beieinander.
Im November 1973 kam es in Bure vor dem Umschulungsdienst zu dramatischen Szenen. Auf dem Sammelplatz kreuzte, von der rebellierenden Truppe mit Jubel begrüsst, eine von zwei Pferden gezogene Panzerattrappe auf, eine den Bundesrat Gnägi repräsentierende Puppe am Geschützrohr aufgeknüpft, Schüsse aus dem Inneren.

Geist muss erhalten bleiben

Auch der politische Widerstand gegen die Liquidation der Kavallerie war enorm. Eine Petition mit über 430 000 Unterschriften hatte, jenseits von Effizienz- und Kostenüberlegungen, den Erhalt dieser noch rund 3000 Mann zählenden Truppe verlangt und den Nationalrat vorübergehend einknicken lassen. Ganz beseitigt ist die Kavallerie heute al­lerdings nicht. Gleichsam durch die histo­rische Hintertüre ist sie wieder zu uns gekommen. Seit 1995 pflegt der Verein SKS Schweizer Kavallerieschwadron 1972 das Andenken an die aufgegebene Truppengattung. Seine ­Mitglieder sammeln Ausrüstungsgegenstände und nehmen als historische Kavallerie-Einheit an militärischen und gesellschaftlichen Anlässen teil.

Am 15. September begingen sie zusammen mit befreundeten Organisationen in Aarau den Gedenktag, der an die Auflösung vor ­vierzig Jahren erinnerte und immerhin 15 000 Menschen mobilisierte. Mit dabei waren auch ­Kavalleristen aus anderen Ländern: aus Schweden, Deutschland und Österreich. Man richtete eine Ausstellung ein, führte ein D­efilee durch, liess einen Korpskommandanten ­reden und weihte ein Pferdedenkmal ein. Und man war sich einig: Die Kavallerie könne abgeschafft bleiben, ihr Geist müsse aber erhalten werden. Auch jetzt waren die Medien wieder dabei. Das Schweizer Fernsehen liess es sich nicht entgehen, die Kavallerie in den Abendnachrichten durch unsere Stuben traben zu lassen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.10.12

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