Avanti Dilettanti!

Die Bewegung von Beppe Grillo schickt 162 Abgeordnete ins Parlament. Die «Grillini» müssen von einem auf den anderen Tag pragmatisch werden.

Italiens Partei der Jungen erobert das Parlament: Davide Barillari, Alessandro Di Battista und Marta Grande (v.l.) von der Fünf-Sterne-Bewegung. (Bild: MASSIMO PERCOSSI / Keystone)

Die Bewegung von Beppe Grillo schickt 162 Abgeordnete ins Parlament. Die «Grillini» müssen von einem auf den anderen Tag pragmatisch werden.

Die «Fünf Sterne»-Bewegung hat sich ein Vier-Sterne-Hotel ausgesucht. Das «Movimento 5 Stelle» hat noch keine eigene Zentrale, also kommt nach dem Sieg bei der Parlamentswahl in Italien alles im noblen Saint-John-Hotel im römischen Stadtteil San Giovanni zusammen: Euphorie, Freude, Chaos und viel Improvisation. Es ist die Mischung, die künftig Italiens Politik prägen wird.

25 Prozent der Italiener haben der Bewegung des Komikers Beppe Grillo ihre Stimme gegeben, keine Partei war stärker. Stets ist von dem bald 65 Jahre alten, übersteuerten Komiker aus Genua die Rede. Protagonisten sind jedoch ab sofort die 162 Kandidaten, die nun ins Parlament einziehen werden und im Senat für das Erreichen der absoluten Mehrheit entscheidend sind.

Viele der plötzlich ins Rampenlicht katapultierten Nobodys schwirren aufgedreht zwischen Fernsehkameras und gezückten Notizblöcken im Untergeschoss des Hotel Saint John herum. Hier hat die Bewegung vorübergehend Quartier bezogen.

Wahlkampf für 77 Euro

Einer der weniger scheuen Kandidaten ist zum Beispiel der smarte Alessandro Di Battista. Der 34-Jährige stellt sich als Schriftsteller vor, will aber künftig «Angestellter der Bürger» sein. Di Battista hat natürlich die Slogans der Bewegung verinnerlicht, nicht nur den Schlachtruf «Tutti a casa!» (Geht alle heim!), der noch am vergangenen Freitag bei der Abschlussveranstaltung Beppe Grillos in Rom über die Piazza San Giovanni hallte. «Wir sind bereit zum Dialog über Ideen», sagt der zukünftige Abgeordnete.

Als er auf der überfüllten Piazza vor ein paar Tagen die Bühne betrat, stockte ihm vor den 800’000 Menschen noch der Atem. «Es ist das erste Mal, dass ich mich nicht als machtlos empfinde», flüsterte er ins Mikrofon. Für seinen Wahlkampf habe er 77 Euro ausgegeben.

«Es ist das erste Mal, dass ich mich nicht als machtlos empfinde.»

Nach dem Wahlsieg klingt Di Battista plötzlich kampfeslustig. «Wenn die Demokratische Partei endlich aufwacht und ein Gesetz gegen den Interessenskonflikt vorlegt, sind wir durchaus bereit, es zu wählen», sagt der Römer.

Die Opposition zu Berlusconi und der Kampf gegen den moralischen Verfall der italienischen Politik könnte ein gemeinsamer Nenner der Bewegung mit dem Mitte-Links-Lager von Pier Luigi Bersani werden, das wird am Tag nach der Wahl schnell deutlich.

Ob die Bewegung und ihr Euro-kritischer Chef auch Vorschläge zur Lösung der Wirtschaftskrise haben, weiss man bislang nicht. Ein übermüdeter Pressesprecher im Hotel sagt, er kenne das ganze Programm jetzt auch nicht auswendig.

Immerhin klingt das penetrante und unsachliche Gebrüll von Beppe Grillo am Morgen nach der Wahl schon weniger rau. «Wir sind das Hindernis für PD und PDL», blufft er erst. Am Nachmittag hat auch ihn die Realität eingeholt: «Wir werden Gesetz für Gesetz prüfen.»

In Online-Abstimmungen gewählt

Auch die «Grillini», die vor Monaten in offenen Online-Abstimmungen gewählt wurden, müssen nun pragmatisch werden. Als stärkster Partei Italiens kommt auf die Fünf-Sterne-Bewegung und ihre Parlamentarier grosse Verantwortung zu. In Kürze steht  nicht nur die Wahl des Staatspräsidenten an, schon bald muss über den Vorsitz der beiden Parlamentskammern entschieden werden und über das Allerheiligste der italienischen Politik: die Kontrollkommission des Staatsfernsehens Rai und der Sicherheitsausschuss, der die Geheimdienste kontrolliert.

Für das Amt des Staatspräsidenten schlug Grillo am Dienstag den Literaturnobelpreisträger Dario Fo vor, einen 86 Jahre alten enthusiastischen Anhänger der Bewegung. Doch was passiert, wenn etwa Onorevole Marta Grande, Nummer zwei auf der Liste Latium, einen Kommissionsvorsitz übernehmen soll?

Als Onorevole, also «Ehrenwerte», werden Abgeordnete in Italien pompös bezeichnet, Grande ist 25 und studiert Internationale Beziehungen. Auch sie behauptet: «Von Blockadepolitik halten wir nichts.» Das Modell, das künftig womöglich auf nationaler Ebene Zukunft hat, wird bereits in Sizilien erprobt. Dort stimmen die Grillo-Abgeordneten den Gesetzen der sozialdemokratisch geführten Regionalregierung zu, die sie für sinnvoll halten. «Wir stehen nicht für Protest, sondern für Vorschläge», behauptet Giancarlo Cancelleri, Sprecher der Bewegung in Sizilien. Der Fraktionsvorsitz im nationalen Parlament soll alle drei Monate wechseln.

Jung, gebildet, weiblich

Der Grossteil der zukünftigen Abgeordneten und Senatoren ist unter 40 Jahre alt, viele davon sind Frauen. Der Prototyp des «Grillino» ist jung, weiblich, gebildet, eher links. So wie Giulia Sarti, 27 Jahre alt, aus Rimini, die ein Jurastudium abgeschlossen hat und im Sommer als Animateurin am Adriastrand arbeitet.

«Im Parlament will ich als erstes Hand an unser ineffizientes Justizsystem legen», sagt sie. Ihr Steckenpferd ist die Justiz, sie fordert ein Antikorruptionsgesetz und den verstärkten Kampf für Legalität. Spannend wird es, wenn die Grillini ihre Versprechung einhalten und die Vorgänge im Parlament über das Netz transparent machen.

Jeder in der Bewegung soll seine Fachkenntnisse einbringen, Juristen, Ärzte, Angestellte, Unternehmer. Alle Kandidaten haben versprochen, drei Viertel ihrer Diäten abzugeben. Auch auf die Erstattung der Wahlkampfkosten verzichtet die Gruppierung. Dieses Geld soll an Kleinunternehmer in Schwierigkeiten gehen, wie bereits in Sizilien. «Die Fünf-Sterne-Bewegung ist nicht nur ein politisches Projekt», sagt Giulia Sarti. «Sie ist auch eine Lebenseinstellung.»

Nächster Artikel