Barfuss in eine andere Welt: Das Tempelfest bringt Farbe auf den Dreispitz

Die Gewerbe-Landschaft auf dem Dreispitz erscheint grau und trist. Doch inmitten der Betonblöcke leuchtet ein kleiner Farbtupfer auf: der Hindu-Tempel Basel. Am Jahresfest verwandelt sich die fade Umgebung in ein schillerndes Farbenfest.

Hundert Personen braucht es, um einen Ther-Wagen zu ziehen.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Gewerbe-Landschaft auf dem Dreispitz erscheint grau und trist. Doch inmitten der Betonblöcke leuchtet ein kleiner Farbtupfer auf: der Hindu-Tempel Basel. Am Jahresfest verwandelt sich die fade Umgebung in ein schillerndes Farbenfest.

Auf dem Dreispitz herrscht Sonntagmorgen-Stimmung: Alles ist ausgestorben und öde. Die Absperrungen, die das Gewerbeareal begrenzen, sind geschlossen, keine Menschenseele ist in Sicht. Doch weit hinten erkenne ich ein paar farbig gekleidete Figuren, die in das industrielle Viertel abbiegen. Ich folge ihnen und stehe kurz darauf vor dem Hindu-Tempel Basel.

Seit 2009 gibt es den Tempel an der Mailandstrasse 30, für den indische Bauexperten eingeladen wurden. Die Hindu-Gemeinde Basel ist seit 1985 aktiv und eröffnete im selben Jahr den ersten hinduistischen Tempel der Schweiz.



Morgens um 10 Uhr trudeln die ersten farbenfrohen Teilnehmer auf dem Gewerbeareal ein.

Morgens um 10 Uhr trudeln die ersten farbenfrohen Teilnehmer auf dem Gewerbeareal ein. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Blumenketten, Saris und Dottis

Auf dem Vorplatz herrscht noch Ruhe vor dem Sturm: Vereinzelt warten ein paar Menschen, drei grosse, farbige Wagen stehen an der Seite. «Die Götter werden noch für den Umzug vorbereitet», sagt man mir an einem Stand, wo Gaben für die Götter verteilt werden. «Gehen Sie ruhig hinein und schauen Sie es sich an!» Beim Schuhstand deponiere ich meine Schuhe – der Tempel darf nur barfuss betreten werden.

Ein paar Schritte weiter befinde ich mich in einer anderen Welt: Vor mir erstreckt sich ein Meer langer, schwarzer Zöpfe mit eingeflochtenen Blumenketten – auf dem Boden sitzen Hunderte von Frauen, alle gekleidet in farbenprächtige Saris, ein traditionelles Gewand aus Indien und Sri Lanka. Die Männer stehen daneben, viele tragen Dottis: lange weisse Gewänder, die das männliche Gegenstück zum Sari sind.



Farbenfroher Haufen: Die Frauen tragen Saris und Blumenketten.

Farbenfroher Haufen: Die Frauen tragen Saris und Blumenketten. (Bild: Hans-Jörg Walter)

In der Mitte wirft ein Priester Blumen über eine von drei Gottesstatuen und singt ein monotones Mantra. Er und ein weiterer Priester wurden anlässlich der Feierlichkeiten extra aus Sri Lanka eingeflogen. Der lokale Priester lebt in einer kleinen Wohnung im oberen Bereich des Tempels.

Schüchtern bleibe ich am Rand stehen. Ich bin mir noch unsicher, wie erwünscht ich hier bin, schliesslich handelt es sich um «Thiruvila», das Jahresfest des Hindu-Tempels, ein Höhepunkt für die Hindu-Gemeinde. Das Wagenfest «Ther-Utsavam» am Sonntag bildet den Höhepunkt der zweiwöchigen Festlichkeiten. Dabei werden drei Götterstatuen um den Tempel getragen und es wird für die Gemeinde gebetet.

Mitten im Gewimmel

Lange bleibe ich nicht in meiner Randposition im Tempeleingang. Vignarajah Kulasingam, der Stiftungspräsident der Hindu-Gemeinde, weist mir schnell einen Platz weiter vorne im Tempel zu. Nun stehe ich mitten im Gewimmel, wo auf die Trommeln geschlagen wird und die Leute regelmässig feierlich die Hände erheben und ein «Arohara» von sich geben.



Viele Männer tragen Dottis – ein traditionelles Gewand für die Männer.

Viele Männer tragen Dottis, ein traditionelles Gewand. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Kurz überkommt mich ein unangenehmer Schauer, wie immer, wenn viele Menschen sich derart ernsthaft einem Ritual hingeben und ich nicht weiss, ob und wie ich mich daran beteiligen soll. Doch der Schauer ist auch mit Freude verbunden, denn die Stimmung ist fröhlich und ich fühle mich willkommen. Glaube wird hier mit lebendigem Feiern gleichgesetzt – und das gefällt mir.

Plötzlich erheben sich alle und die Masse gerät in Bewegung. Ein Ritual zu Ehren der Götter? Nein, es ist eine rein strategische Aktion – die Heiligen drehen mit der Gottesstatue eine Runde und die Leute müssen Platz machen.

«Die Gebete werden in jede Himmelsrichtung ausgeführt», erklärt eine junge Frau neben mir. «Ich bin Sathu», stellt sie sich vor. Sathu ist in der Schweiz aufgewachsen, ihre Eltern kommen aus Sri Lanka. Souverän wechselt sie zwischen Schweizerdeutsch und Tamilisch. So wie viele der anwesenden Jugendlichen beherrscht sie beide Sprachen fliessend. Hier im Tempel stossen schweizerischer Alltag und hinduistisches Fest aufeinander.

So werden Götter transportiert

Nach eineinhalb Stunden habe ich die graue Betonlandschaft ausserhalb des Tempels längst vergessen. Nun soll das Farbenfest die umliegende Tristesse aufheitern – es ist Zeit, die feiernde Gemeinde samt Gottesstatuten nach draussen zu bringen. Auf Sänften werden die Gottheiten mit Schüttelbewegungen durch die Menschenmenge nach draussen transportiert.

«Man sagt, dass die Götter gerne geschüttelt werden. So werden sie auf den Umzug eingestimmt», erklärt Sathu. Draussen warten die Sonnenschirmträger – für jede Gottheit einen.

Nun gilt es, die Gottesstatuen auf die sogenannten Ther-Wagen zu stellen. Sieben Meter hoch sind diese – was eignet sich da besser als ein Gabelstapler? Ein bisschen Pragmatismus in diesem zeremoniellen Ablauf: Die Gottheiten werden hoch gefahren, auf dem festlich dekorierten Wagen platziert und anschliessend von den Zuschauern bejubelt.



Ein Gabelstapler eignet sich gut, um die Gottesstatue auf den Wagen zu hieven.

Ein Gabelstapler eignet sich gut, um die Gottesstatue auf den Wagen zu hieven. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Dem Gewerbeviertel wird Leben eingehaucht

Und dann heisst es Teamwork: Ungefähr hundert Personen pro Wagen packen einen Strick und beginnen mit sichtlicher Anstrengung zu ziehen. Frauen und Männer, alle immer noch barfuss, bringen die Wagen zum Rollen. Der Umzug hat begonnen. Holprig zwar – immer wieder wird angehalten, um Anlauf zu nehmen – und damit die Gläubigen beten können. Die Menschenmenge, bestehend aus rund 3000 Personen, läuft mit, lacht, singt – es herrscht wahrhaftig Feststimmung.

Und so macht der farbige Zug im geschützten Rahmen von Karosseriespenglereien und Haustechnikfilialen seine Runde, ohne das Gewerbeviertel zu verlassen: Bis er ungefähr zwei Stunden später wieder vor dem Tempel ankommt, wo jeder eine sri-lankische Mahlzeit erhält. Der Schuhteppich hat sich mittlerweile bis aufs Trottoir ausgebreitet. Ich hebe mein Fahrrad aus dem Haufen und suche meinen Weg aus dem Dreispitz-Areal.

Da draussen ist alles genauso wie vorher. Aus der Ferne ist das Trommeln und Singen der Feiernden zu hören. Doch sonst deutet nichts auf das frohe Tempelfest hin, das sich hinter den geschlossenen Absperrungen abspielt.

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