Basel will aussteigen – die Schweiz sagt Nein

Die Laufzeit der Schweizer Atomkraftwerke wird nicht befristet. Volk und Stände haben die Atomausstiegsinitiative der Grünen am Sonntag abgelehnt, und zwar deutlicher als erwartet: 54,2 Prozent der Stimmenden sagten Nein.

Das Kernkraftwerk Gösgen SO, fotografiert Ende Oktober 2016: Weiter wie gehabt.

(Bild: Christian Beutler)

Die Laufzeit der Schweizer Atomkraftwerke wird nicht befristet. Volk und Stände haben die Atomausstiegsinitiative der Grünen am Sonntag abgelehnt, und zwar deutlicher als erwartet: 54,2 Prozent der Stimmenden sagten Nein.

Das Wichtigste in aller Kürze:

  • Die Atomausstiegsinitiative der Grünen ist sowohl am Volks- als auch am Ständemehr gescheitert.
  • Nur die Mehrheit der Kantone der Westschweiz sowie Basel-Stadt (60,5 Prozent Ja-Stimmen) haben die Initiative angenommen.
  • Das Resultat ist ein Sieg für die Wirtschaftsverbände.
  • Nun bleibt offen, wann die Schweizer AKWs – darunter das dienstälteste der Welt – abgeschaltet werden.

Insgesamt lehnten rund 1’301’500 Personen die Initiative ab, 1’098’500 Personen legten ein Ja in die Urne. Die Vorlage spaltete die Schweiz teilweise entlang des Röstigrabens.

Vier Westschweizer Kantone stimmten Ja, am deutlichsten der Kanton Genf mit 59 Prozent, gefolgt von den Kantonen Jura und Neuenburg mit rund 57 Prozent und Waadt mit 55 Prozent. Die Kantone Freiburg und Wallis lehnten die Initiative ab, aber relativ knapp.

Beide Basel wollten abschalten

» Die Initiantinnen der Atomausstiegsinitiative sprechen trotz dem Nein von einem wichtigen Resultat. Sie wollen die Situation um Atomkraftwerke scharf beobachten.

In den meisten Deutschschweizer Kantonen war diese dagegen chancenlos. Nur die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft sagten Ja, Basel-Stadt deutlich mit 60,5 Prozent, Basel-Landschaft knapp mit 50,4 Prozent. Am deutlichsten Nein sagte der Kanton Schwyz mit 68 Prozent, gefolgt von Appenzell Innerrhoden mit 66 Prozent und Nidwalden mit 65 Prozent.

Mit dem Nein zur Atomausstiegsinitiative bleibt offen, wann das letzte Schweizer AKW vom Netz geht. Die Atomkraftwerke bleiben nun solange am Netz, wie die Aufsichtsbehörde sie als sicher einstuft, sofern die Betreiber sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen abschalten. Bei einem Ja zur Initiative hätten die AKW Beznau I und II sowie Mühleberg 2017 abgeschaltet werden müssen, Gösgen 2024 und Leibstadt 2029.

Das Volksbegehren, das die Grünen nach der Atomkatastrophe von Fukushima lanciert hatten, stiess in den Umfragen auf viel Sympathie. Für ein Ja reichte es nun aber nicht. Durchgesetzt haben sich damit die bürgerlichen Parteien und Wirtschaftsverbände, die vor Versorgungslücken, Dreckstromimporten und hohen Kosten warnten.

Unbekannte Kosten

Vor allem die Diskussion über die Kosten dürfte den Ausgang der Abstimmung beeinflusst haben. Die AKW-Betreiber wollten Ansprüche geltend machen für nicht amortisierte Investitionen, die sie auf Basis des geltenden Rechts mit unbefristeter Betriebsbewilligung getätigt haben. Der Bundesrat rechnete mit Schadensersatzklagen in dreistelliger Millionenhöhe pro AKW.

Die Betreiber drohten im Abstimmungskampf jedoch mit höheren Summen, Axpo etwa mit Forderungen von über 4 Milliarden Franken für die AKW Beznau und Leibstadt. Die Initianten gaben zu bedenken, dass die Produktion von Atomstrom ein Verlustgeschäft sei. Die Betreiber könnten nicht behaupten, ihnen würden Gewinne entgehen. Mit dem raschen Abschalten der AKW liesse sich vielmehr Geld sparen und das Risiko für den Steuerzahler verkleinern.

Angst vor Blackouts

Eine Rolle gespielt haben mag auch die Angst vor Strommangel und Blackouts. Zwar hätte der Atomstrom durch Importe ersetzt werden können. Laut den Gegnern hätte das aber zu Überlastung der Netzinfrastruktur führen können.

Die Gegner – auch Energieministerin Doris Leuthard – warnten zudem vor Dreckstrom aus Atom- und Kohlekraftwerken, den die Schweiz bei einem Ja zur Initiative importieren müsste. Die Initianten stellten das in Abrede. Aus ihrer Sicht hätte der Atomstrom mit einheimischem und importiertem grünem Strom ersetzt werden können. Bei den Stimmenden blieben aber offenbar Zweifel.

Bau von AKW verbieten

Nach dem Nein zur Atomausstiegsinitiative steht nun die Energiestrategie 2050 im Fokus, über die sich das Stimmvolk voraussichtlich auch noch äussern wird. Die SVP hat das Referendum gegen das erste Massnahmenpaket ergriffen. Wie sich die Wirtschaftsverbände und die FDP positionieren werden, ist offen.

Das Paket beinhaltet den langfristigen Atomausstieg: Im Gesetz wird verankert, dass der Bau neuer Atomkraftwerke verboten ist. Eine Laufzeitbeschränkung hatte das Parlament abgelehnt. Auch wollte es auf Gesetzesebene keine speziellen Regeln für alte AKW erlassen. Solche sind allerdings auf Verordnungsebene geplant.

Mehr Geld für Öko-Strom

Im ersten Massnahmenpaket zur Energiestrategie sind auch Ziele für die Stromproduktion aus neuen erneuerbaren Energien festgelegt. Diese soll von heute rund 3 Terawattstunden bis 2035 auf mindestens 11,4 Terawattstunden steigen. Das wäre etwa halb so viel, wie die Schweizer AKW heute produzieren.

Für die Förderung der erneuerbaren Energien würde mehr Geld zur Verfügung stehen als heute. Der Netzzuschlag, den Stromkonsumenten berappen, soll auf 2,3 Rappen steigen. Eine vierköpfige Familie würde das rund 100 Franken im Jahr kosten, 44 Franken mehr als heute. 0,2 Rappen aus dem Netzzuschlag sind für Subventionen an bestehende Grosswasserkraftwerke reserviert.

Mehr Energieeffizienz

Daneben ist mehr Energieeffizienz angesagt: Der Energieverbrauch pro Person und Jahr soll – gemessen am Stand des Jahres 2000 – bis 2035 um 43 Prozent sinken, der Stromverbrauch um 13 Prozent. Zentrales Instrument bleibt das Gebäudeprogramm, für das mehr Geld eingesetzt werden soll. Die Abstimmung findet frühestens am 21. Mai 2017 statt.

Im Parlament wiederum beginnen bald die Beratungen zur zweiten Etappe der Energiestrategie, dem Klima- und Energielenkungssystem (KELS). Der Bundesrat will die Fördermassnahmen ab 2021 mit Lenkungsabgaben ersetzen. In der Vernehmlassung sind die Pläne auf heftige Kritik gestossen. Sollten sie die parlamentarische Beratung überstehen, wird das Volk auch darüber befinden.

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