Bettenlager für Asylbewerber? Nie, niemals!

Während im aargauischen Bettwil ein ganzes Dorf den Aufstand gegen ein Asylzentrum probt, nimmt Pratteln ein solches diskussionslos in Betrieb.

Gemeindepräsident Wolfgang Schibler wehrt sich gegen das geplante Asylzentrum (Bild: Stefan Bohrer)

Während im aargauischen Bettwil ein ganzes Dorf den Aufstand gegen ein Asylzentrum probt, nimmt Pratteln ein solches diskussionslos in Betrieb.

Was Sache ist, steht schon an der Ortseinfahrt: «140 NIE». Gemeint sind 140 Asylbewerber. So viele wollte der Bund ursprünglich in einer Militäranlage am Dorfrand der Aargauer Gemeinde Bettwil einquartieren. Die gut 550 Einwohnerinnen und Einwohner lassen keinen Zweifel daran, was sie von diesen Plänen des Bundes halten: «Solidarität JA, 140 NEIN», steht auf einem Scheunentor, «Nein» am Gatter einer Weide, «Nie» auf einem fein säuberlich geputzten Güllewagen.

Überall hängen Plakete: Balkon, Holzstapel, Schopf, Garagen, Carports, an der Fassade oberhalb des Dorfladens, bei der Feuerwehr und sogar auf dem Kinderspielplatz. Es scheint, als ob sich die Dorfbewohner am Lindenberg auch fernab vom Durchgangsverkehr gegenseitig Mut machen oder beweisen möchten, dass auch sie nicht abseits stehen.

Bei der Bushaltestelle ein handgeschriebener Aushang: «Der Wind hat mir meine grüne Gartenstuhlab­deckung geklaut. Wer sie gefunden hat, melde sich bitte.» Ein Weltenbummler wirbt für seinen Vortrag im Nachbardorf: «Zu Fuss um die Welt. 511 Tage – 18 000 Kilometer.» Doch jetzt sind Menschen aus solch fernen Ländern plötzlich bedrohlich nah.

Keiner soll im Asylzentrum einziehen

Am Bettwiler Dorfrand in den Barracken einer militärischen Anlage sollen sie wohnen. Ursprünglich wollte der Bund 140 Plätze einrichten, und zwar für ein Jahr. Doch inzwischen haben die Bettwiler in einer Petition gegen die «Massen-Asylunterkunft» rund 10 000 Unterschriften gesammelt. Der Bund revidierte seine Pläne nach unten: Die Rede ist jetzt von rund 80 bis 100 Asylbewerbern für sechs Monate.

Doch damit lassen sich die Dorfbewohner keineswegs besänftigen. Der Gemeindeamman Wolfgang Schibler sagt klipp und klar, mit wie vielen Asylsuchenden im Asylzentrum das Dorf leben könne: «Mit keinem.» Das Dorf beherberge nämlich schon seit Jahren mehr Asylbewerber, als es rein rechnerisch mit seinen gut 550 Einwohnern müsste, nämlich deren vier. Wären Kanton oder Bund auf die Gemeinde zugekommen, hätte man sicher im Rahmen der gegenwärtigen Notlage Hand geboten, ein bis zwei Familien aufzunehmen. Oberhalb des Dorfes mehrere Dutzend junge asylsuchende Männer einzuquartieren, sei aber «Verhältnisblödsinn, menschenunwürdig und zudem nicht rechtens», sagt Schibler.

Streit verlagert sich auf juristische Ebene

Inzwischen ist die Situation so verfahren, dass wohl bald auf juristischer Ebene gestritten wird. «Der Bund darf seine militärische Anlage nicht ohne Bewilligung plötzlich für zivile Zwecke nutzen. Hält er an seinen Plänen für ein Asylzentrum fest, muss ihm dies der Gemeinderat mit einer Verfügung verbieten», sagt der Gemeindeammann. Beharren beide Seiten auf ihrem Standpunkt, muss ein Gericht entscheiden.

Was aber passiert, wenn der Bund in Bettwil das Asylzentrum trotz umstrittener rechtlicher Grundlage eröffnet? «Wenn der Bund Recht brechen sollte, dann kann ich hier oben für gar nichts mehr garantieren», sagt Gemeindeammann Wolfgang Schibler.

Notlösung in Pratteln

Ortswechsel. Pratteln. Die Gemeinde vor den Toren Basels mit rund 15 000 Einwohnern hat mit 37 Prozent den höchsten Ausländeranteil im Kanton Baselland. Trotzdem entschied der Gemeinderat kurz vor Weihnachten einstimmig, per sofort die Zivilschutzanlage «Lachmatt» für Asylsuchende zu öffnen. Vorausgegangen waren Medienberichte über Asylsuchende, die auf der Strasse übernachten mussten, weil es in der Empfangsstelle des Bundes in Basel keinen Platz mehr gab. Während sich in Bettwil ein Komitee gegen das Asylzentrum formierte, gratulierten in Pratteln ein halbes Dutzend Einwohner dem Gemeinderat. Selbst Urs Hess, Fraktionspräsident der SVP im Einwohnerrat, akzeptiert den Entscheid «als befristete Notlösung», damit kein Asylsuchender unter einer Brücke schlafen müsse.

Die Zivilschutzanlage liegt weit weg vom Dorfkern, im Niemandsland zwischen Pratteln und Muttenz. Zudem muss die Gemeinde als Gegengeschäft weniger anerkannte Asylbewerber aufnehmen. Das mag dem Gemeinderat den Entscheid erleichtert haben. Trotzdem: Weshalb ausgerechnet Pratteln mit dem höchsten Ausländeranteil? «Die Angst vor Fremden ist dort am grössten, wo man keine erlebt. In Pratteln sind Ausländer alltäglich und deshalb haben sie auch nichts Bedrohliches. Wir haben einen solch hohen Ausländeranteil, bei uns erschrickt keiner mehr über einen Asylbewerber», sagt Röbi Ziegler, reformierter Pfarrer in Pratteln.

«Den Rest der Schweiz gibt man verloren»

Zudem glaubt der langjährige SP-Politiker, dass auch die politische Einstellung der Bevölkerung eine Rolle spielt. «Pratteln mit seinem grossen links-grünen Wähleranteil ist weltoffener und aufgeschlossener gegenüber Menschen, die anders sind», sagt Ziegler. Und Bettwil? Er könne die Angst um ein Stück heile Welt nachvollziehen, allerdings sei die Bedrohung durch ein Asylzentrum nicht real. «Bettwil erscheint mir wie ein Reduit. Ein Stück heile Welt, das man verteidigt, während man den Rest der Schweiz verloren gibt.»

In Pratteln hingegen versteckt die Gemeinde auf ihrer Website den rekordverdächtigen Ausländeranteil keineswegs, sondern weist ausdrücklich darauf hin, dass hier Menschen aus 92 Nationen leben. In den Räumen der Kirchgemeinde unterrichtete die Gemeinde früher die Asylbewerber in Deutsch oder brachten ihnen Winterkleider. Um die «Integration und Förderung des interkulturellen Austauschs» kümmert sich eine eigene Kommission. Doch auch Pratteln setzt den Asylsuchenden Grenzen: Ende März schliesst die Anlage wieder. Eine Verlängerung ist ausgeschlossen: Ab dann wird im benachbarten Schiessstand wieder scharf geschossen. Und das will niemand potenziellen Flüchtlingen zumuten.

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Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 06/01/12

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