Big Data auf Rädern

Während die Erlöse aus dem Online-Werbegeschäfte stagnieren, gehen Unternehmen dazu über, im Auto zu werben. Die Potenziale sind riesig. Die Risiken aber auch.

Bei Werbung in autonomen Fahrzeugen prallen zwei Problemfelder aufeinander: Zum einen das Recht auf Privatsphäre, zum anderen das Recht auf individuelle Selbstbestimmung. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Während die Erlöse aus dem Online-Werbegeschäfte stagnieren, gehen Unternehmen dazu über, im Auto zu werben. Die Potenziale sind riesig. Die Risiken aber auch.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen eines Tages in einem autonomen Fahrzeug, das Sie per Knopfdruck von A nach B befördert. Auf dem Weg von der Arbeit nach Hause macht es einen kleinen Schlenker und fährt an einer Konditorei vorbei. Plötzlich poppt ein Fenster auf dem Display Ihres Fahrzeugs auf, das Ihnen vorschlägt, vor dem Geschäft zu halten. Vielleicht sind Sie damit einverstanden und drücken «Ja» auf dem Touch-Screen, und das Auto navigiert Sie bequem auf den Kundenparkplatz des Geschäfts.

So verblüffend dieser Vorgang erscheint, so sehr drängt sich die Frage auf, woher aus Roboterauto eigentlich weiss, dass Sie eine Vorliebe für Süssigkeiten haben. Die Antwort liegt auf der Hand: Weil es Ihre Fahrgewohnheiten kennt und mit ihren Online-Accounts von zu Hause verknüpft ist.

Die Telematik zeichnet kontinuierlich auf, wo Sie das autonome Fahrzeug überall hinsteuern. Daraus lassen sich gewisse Muster ableiten. Und vielleicht haben Sie auch auf Facebook die Fanseite der Konditorei geliked und die Website besucht. Diese Informationen könnten dem Bordcomputer zugespielt werden. Das klingt unheimlich. Doch es ist längst Realität. Schon heute gibt es Fahrassistenzsysteme, die etwa die Müdigkeit des Fahrers erkennen und ihm eine Kaffeepause vorschlagen. Bei der Müdigkeitserkennung von Volkswagen heißt es: «Dazu wertet das System ab einer Geschwindigkeit von 65 km/h kontinuierlich das Fahrverhalten aus und zieht Rückschlüsse auf die Fahrtüchtigkeit des Fahrers.»

BMW entwickelt Anzeigen-Programm

Auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas im Januar dieses Jahres stellten Automobilhersteller Geschäftsmodelle vor, wie man im Auto mit Werbung Geld verdienen kann. Sogenannte «in-car-Apps» sollen in internetfähigen Fahrzeugen Werbung lancieren. Apple-Gründer Steve Jobs träumte einst von einem «iCar», einem riesigen Smartphone auf Rädern.

BMW entwickelt derzeit ein Programm, das es Anwendern erlaubt, Anzeigen über das Navigationssystem zu schalten. «Virtueller Marktplatz der Zukunft», lautet der visionäre Titel. Auf der Herstellerseite heißt es: «Ob Sie Ihre Lieblingsmusik immer dabei haben möchten, ob der BMW Concierge Service Ihnen den Weg zum besten Italiener der Stadt an Ihr Fahrzeug senden soll oder ob Ihr BMW in Gefahrensituationen einen automatisierten Notruf absetzt – eine Vielzahl hilfreicher Services steht Ihnen in Echtzeit zur Verfügung.»

Irwin Gotlieb von der weltweit größten Werbefirma GroupM sagte, das Auto avanciere zum «mächtigsten Mobilfunkgerät» Alles wird mit allem vernetzt sein. Das Internet der Dinge, also die Tatsache, dass Objekte mit internetfähigen Sensoren ausgestattet sind und untereinander Daten austauschen, eröffnet der Industrie gigantische Potenziale. Die Daten zirkulieren wie bei einem Durchlauferhitzer über alle Kanäle und Geräte.

Nächste Debatte über Datenschutz erwartet

Die Übernahme des Thermoherstellers Nest durch Google ist nur ein Fingerzeig. Wenn der Technologieriese die Firewall des heimischen Computers überspringt, warum nicht bald auch das Automobil? Google entwickelt ja bereits selbstfahrende Autos und optimiert diese für den Stadtverkehr.

«Wir haben GPS in Ihrem Auto, also wissen wir, was Sie tun», sagte Jim Farley, Vizechef der Kommunikationsabteilung von Ford, Anfang des Jahres auf der CES. Das spricht Bände. Aus den GPS-Daten lassen sich detaillierte Bewegungsprofile des Fahrers erstellen. Das Bild wird ergänzt um Angaben aus sozialen Netzwerken, auf die der intelligente Fahrzeugassistent Zugriff hätte. Experten sagen schon jetzt voraus, dass in-car-Apps die nächste Debatte um Datenschutz auslösen werden. Das autonome Fahrzeug von morgen könnte wissen, dass wir eine Vorliebe für Hotdogs haben und ein Schnäppchenjäger sind.

Das Start-up Kiip aus San Francisco feilt an neuen Formen des «targeted advertising», des zielgerichteten Werbens im Auto. Der Kooperationspartner Mojio bringt im Juni ein Gerät auf den Markt, das an den Diagnoseport des Autos angeschlossen wird und in Echtzeit Fahrzeugdaten an eine App streamt. Kipp will diese Daten dazu nutzen, um dem Fahrer passgenaue Werbung zu unterbreiten. Zu den Kunden von Kiip gehören bereits McDonalds und Amazon.

Aushöhlung der Privatsphäre

Der Wissenschaftler Patrick Lin, der an Stanford University zu Robotern und Cybersecurity forscht, sagt im Gespräch: «Solche Systeme könnten unsere Privatsphäre immer mehr aushöhlen, weil es unsere offline-Aktivitäten mit unserem Online- und Fahrgewohnheiten verknüpft. Das bedeutet, dass ein immer detailliertes Profil der Autorfahrer kreiert wird, mit dem Ziel, ihnen Waren anzubieten. Es ist Big Data auf Rädern, und womöglich kein wohlwollender Chauffeur mit den besten Interessen im Kopf.»

Bei Werbung in autonomen Fahrzeugen prallen zwei Problemfelder aufeinander: Zum einen das Recht auf Privatsphäre, zum anderen das Recht auf individuelle Selbstbestimmung. Bei Werbung in einem vernetzten Auto geht es nicht nur darum, Dinge anzubieten, sondern auch darum, jemanden physikalisch zu der Ware hinzuführen. Es ist, als würde man den Kunden mit einem Einkaufswagen direkt zur Kasse manövrieren. Gewiss, es besteht kein Kaufzwang. Aber es macht einen Unterschied, ob man lediglich die Werbung sieht oder gleich noch das Produkt in greifbarer Nähe dazu. Das autonome Fahrzeug wäre von Dritten bestimmt. Letztlich würden die Interessen des Anzeigenkunden und nicht des Fahrers erheblich sein.

Fahrer wird zum Spielball

Sicherheitsexperte Lin ist der Ansicht, dass die Werbeindustrie in absehbarer Zeit bestimmen kann, welchen Weg das autonome Fahrzeug einschlagen soll. «Es gibt viele verschiedene Routen, mit unterschiedlicher Distanz, Zeit und Verkehrslage. Der Verbraucher würde es nicht mehr merken, wenn der Werbende das Auto – zumindest subtil – steuert.»

Technisch wäre das kein Problem. Der Fahrassistent würde einfach die Koordinaten naheliegender Geschäfte ermitteln, zu denen der Nutzer zum Beispiel in sozialen Netzwerken eine Präferenz geäussert hat und daraufhin die Streckenführung anpassen. Ein paar Hundert Meter vor einem Fast-Food-Restaurant würde schließlich Werbung aufpoppen. «Wollen Sie noch einen Burger essen? Er ist heute im Angebot!». Der Fahrer wird zum Spielball des Werbemarktes.

Aus den technischen Anwendungen erwächst eine Vielzahl rechtlicher und ethischer Probleme. Soll der Computer einem Diabetiker etwa vorschlagen, an einer Eisdiele zu halten? Experte Lin fordert klare Regeln zur Transparenz: «Wie bei den Suchergebnissen von Google sollte jede Form von Anzeige auch als solche gekennzeichnet werden.» Auch im Auto.

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