Die nationale Politik empört sich über den amerikanischen Überwachungsskandal. Und begrüsst ähnliche Schweizer Pläne.
Es gibt gute Überwachung, und es gibt böse Überwachung. Zu diesem Schluss muss kommen, wer die Reaktion der Schweizer Politik auf den «Prism»-Skandal in den USA beobachtet. Nationalrat Luzi Stamm (SVP, AG) möchte dem 29-jährigen Informatiker Edward Snowden, der das Überwachungsprogramm «Prism» enthüllte, nach Hongkong flüchtete und inzwischen abgetaucht ist, gerne Asyl in der Schweiz gewähren.
Unterstützt wird Stamm dabei von Balthasar Glättli (Grüne, ZH). Nationalrätin Natalie Rickli (SVP, ZH) will vom Bundesrat wissen, ob die Regierung schon vor Snowdens Enthüllung vom Überwachungsprogramm der USA wusste. Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission – und viele andere National- und Ständeräte – empören sich über den Vorfall in Genf, wo laut Angaben von Snowden ein Schweizer Banker vom CIA (und mit viel Alkohol) gefügig gemacht wurde.
Mehr Kompetenzen
Um solche Übergriffe (böse Überwachung) in Zukunft zu verunmöglichen, brauche der Nachrichtendienst nun neue Kompetenzen (gute Überwachung), folgerte der «Tages-Anzeiger» vergangene Woche und verwies in diesem Zusammenhang auf die anstehende Revision des Nachrichtendienstgesetzes (NDG).
Ob wir im Internet surfen oder mit dem Handy telefonieren – der Staat hört mit. In der Schweiz plant der Bundesrat nun ein noch umfassenderes Überwachungsgesetz. In unserem Dossier finden Sie alle unsere Texte zum Thema.
Mit diesem Gesetz sollen die Kompetenzen der Schweizer Spione massiv ausgeweitet werden – und mit diesem Gesetz wird zumindest theoretisch eine Überwachung wie in den USA möglich. Bisher konnte der Nachrichtendienst verdächtige Personen nur auf öffentlichen Plätzen überwachen. Neu sollen Internet und Telefon abgehört werden dürfen, und auch private Räume von Verdächtigen sind nicht mehr tabu. Die politische Mehrheit befürwortet das neue Gesetz.
Interessierte Randgruppen
Die Parallelen zwischen «Prism» und dem neuen NDG werden bisher nur von Randgruppen gezogen. Von der Piratenpartei beispielsweise, die eine hohe Affinität zu Fragen der Privatsphäre im Internet hat, oder von «Netzpolitikern» wie dem grünen Nationalrat Balthasar Glättli. Dessen «Gruppe Netzpolitik» hat sich nach Bekanntwerden von «Prism» getroffen und die Situation in der Schweiz beurteilt. «Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der aktuellen US-Überwachungsskandale spricht sich die Arbeitsgruppe Netzpolitik der Grünen Schweiz gegen das NDG aus», teilte die Gruppe danach mit. Glättli traut dem Geheimdienst den «vertrauensvollen Umgang mit unseren Daten» nicht zu.
Eingriff in die Freiheit
Gegen diesen Vorwurf wehrt sich der Nachrichtendienst. Das neue Gesetz habe nichts mit «Prism» zu tun. «Unsere Aufgabe ist es, die Schweizer Bevölkerung und ihre Freiheit zu schützen», sagt Nachrichtendienst-Sprecher Felix Endrich, «eine flächendeckende Überwachung wäre ein viel zu grosser Eingriff in die persönliche Freiheit der Bürger.»
Der Einsatz von speziellen und gezielten Überwachungsmassnahmen sei nur für drei Bereiche vorgesehen: Terrorismus, Spionage und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Explizit ausgenommen von den erweiterten Massnahmen ist der Gewaltextremismus. «Dort wäre der Eingriff in die Grundrechte zu gross», sagt Endrich.
Will der Nachrichtendienst seine neuen Möglichkeiten anwenden, braucht er dafür die Zustimmung vom Chef des Verteidigungsdepartements, dem Sicherheitsausschuss des Bundesrats und dem Bundesverwaltungsgericht. Diese Bewilligungen sollen nicht zu häufig eingeholt werden. «Wir rechnen jährlich mit etwa zehn Fällen», sagt Endrich. Noch bis Ende Juni läuft die Vernehmlassung zum Gesetz, danach wird das Parlament die Vorlage behandeln.
Schon früher wird das neue «Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs» (Büpf) zum Thema, dem wir unsere Titelgeschichte vor einer Woche gewidmet haben. Im Herbst berät der Ständerat das revidierte Gesetz, über das Franz Grüter, CEO des Internetproviders green.ch und Luzerner SVP-Kantonalpräsident, im «Tages-Anzeiger» sagte: «Damit verglichen ist der Fichenskandal vor gut 20 Jahren Pipifax.»
Dagegen bemühen sich die Befürworter des Büpf nun, möglichst viel Abstand zwischen sich und dem Überwachungsskandal in den USA zu schaffen. Er könne schon verstehen, dass gewisse Kreise – «zu unrecht» – Parallelen zwischen den beiden Themen ziehen würden, sagt Patrick Rohner vom Bundesamt für Justiz. Denn auch beim Büpf gehe es unter anderem um die Randdaten des Fernmeldeverkehrs, die die Amerikaner von bestimmten Anbietern erhalten «und welche die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden auch erhalten können, falls die Voraussetzungen dafür erfüllt sind».
Nur auf Anfrage
Aber es gebe eben auch fundamentale Unterschiede: «In der Schweiz können die Strafverfolgungsbehörden die Daten nur im Rahmen einer Strafverfolgung und bei dringendem Tatverdacht gegen eine bestimmte Person beantragen. In den USA erhalten die Behörden diese Daten bereits präventiv, ohne dass eine Straftat passiert ist», sagt Rohner. Das mache einen riesigen Unterschied. Und – ein zweiter grundsätzlicher Unterschied – die Daten würden in der Schweiz nicht wie in den USA vom Provider «spontan» an den Nachrichtendienst geliefert, sondern nur auf Anfrage der Strafverfolgungsbehörden, soweit die Voraussetzungen für eine Überwachung erfüllt sind.
«Bei solchen Systemen kann man – wie in anderen Bereichen – die Gefahr eines Missbrauchs selbstverständlich nicht völlig ausschliessen», sagt Rohner. «Wir haben aber in der Schweiz alles unternommen, um das Missbrauchspotenzial zu minimieren.»
Rohner und auch Endrich werden in den kommenden Monaten wohl noch häufig beteuern, dass sie alles getan haben, um eine möglichst strikte Kontrolle der erhobenen Daten zu gewährleisten. Ihr Job ist seit der Enthüllung im «Guardian» nicht einfacher geworden. Mit «Prism» hoffen die Gegner der beiden Revisionen auf einen grösseren Rückhalt in der Bevölkerung, die im Moment wohl beide neuen Gesetze befürworten würde. «Die Sensibilität für das Thema ist nach dem Skandal sicher grösser geworden», sagt Balthasar Glättli.
In der Fragestunde muss sich der Bundesrat mehreren Fragen der Parlamentarierinnen und Parlamentarier stellen. Es geht um die Überwachungskandal, den Fall «Genf» und weitere Themen, wie die Liste der Fragestunden zeigt.
Quellen
Unsere Bequemlichkeit ist schuld – Beitrag auf dem Social Media Watchblog.
Vernehmlassungsunterlagen zum neuen Nachrichtendienstgesetz.
Petition der Piratenpartei.
Eine kritische Stellungnahme des Branchenverbands Swico.
Informationen zum Büpf auf der Seite des Justizdepartements.
Stellungnahme der Gruppe Netzpolitik der Grünen Schweiz.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.06.13