Die saudischen Bomben treffen ein Land, in dem 10 Millionen Menschen nicht wissen, wo ihre nächste Mahlzeit herkommt. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit zwingt zum Auswandern und erleichtert bewaffneten Gruppen die Rekrutierung.
In Kairo gibt es manche Strassenzüge, wo die vielen Jemeniten in ihren traditionellen Gewändern auffallen. Sie sind in der ägyptischen Metropole, weil Angehörige sich in einem Spital pflegen lassen. Keine reichen Leute. Im Gegenteil. Der ganze Clan legt Geld zusammen.
Das ist eine Facette des ärmsten arabischen Landes, in dem Millionen Menschen nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Trinkwasser und Nahrungsmitteln haben. Eine Folge von jahrelanger Korruption und bewaffneten, internen Konflikten, die auch Hunderttausende zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht haben. Eines der Flüchtlingslager im Norden wurde bereits getroffen. Die Luftschläge der saudisch geführten Koalition könnten vor allem für die Ärmsten zu katastrophalen Folgen führen, warnen Hilfsorganisationen.
70 Prozent Armut im Huthi-Stammland
Wie in jedem Krieg leidet die Zivilbevölkerung am meisten. Es gibt über 100 Tote, davon 62 Kinder und 400 Verletzte. Hunderte Familien sind vor den Bomben aus der Hauptstadt Sanaa aufs Land geflohen. Die Schulen bleiben weiter geschlossen, viele Geschäfte haben dicht gemacht. Die Stromausfälle dauern immer länger und Diesel ist Mangelware.
In den ersten Tagen des Konfliktes hat die UN ihre ausländischen Mitarbeiter evakuiert. Damit besteht die Gefahr, dass das Versorgungsnetz noch löchriger wird. Bereits in den vergangenen Monaten gab es Schwierigkeiten. Humanitäre Organisationen schätzen, dass 15,9 Millionen Jemeniten – oder 61 Prozent der Bevölkerung – auf eine Form von humanitärer Unterstützung angewiesen sind, etwa 8,2 Millionen erhalten regelmässig Hilfe.
Die Armutsrate ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Laut Unicef weiss heute mehr als 40 Prozent der Bevölkerung nicht, wo die nächste Mahlzeit herkommt. Allerdings sind die Unterschiede im Land gross. In der Provinz Saada, dem Kernland der Huthi-Rebellen im Norden des Landes, beträgt die Nahrungsmittelunsicherheit gar 70 Prozent.
Am verletzlichsten sind die Kinder. 4,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind kleinwüchsig, 13 Prozent unterernährt. Der Kampf gegen die Korruption und für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen stand deshalb am Ausgangspunkt der Huthi-Rebellion. Der 2012 nach dem «jemenitischen Frühling» entmachtete Präsident Ali Abdullah Saleh hatte in seinen 33 Regierungsjahren zwischen 32 und 60 Milliarden Dollar auf die Seite geschafft, haben unabhängige UN-Experten bestätigt.
Hoffnungslose Jugend
Neben steigenden Preisen für Grundnahrungsmittel, die zum grossen Teil importiert werden müssen, ist die hohe Arbeitslosigkeit einer der wichtigsten Gründe für die grassierende Armut. Der Jemen ist ein junges Land mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von drei Prozent. 63 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt, mehr als ein Drittel arbeitslos, dafür arbeitet jedes vierte Kind zwischen 5 und 14 Jahren.
Wer eine Arbeit hat, hat dennoch nicht immer genug zum Leben. Viele Jobs sind schlecht bezahlt. Das Gehalt eines Lehrers von 130 Franken im Monat reicht auch in Jemen nicht. Hunderttausende Jemeniten versuchen deshalb, eine Arbeit in einem der Golfländer zu erhalten. Ihre Überweisungen sind für viele Familien überlebenswichtig. Die hohe Arbeitslosigkeit und die Unmöglichkeit eine Familie zu gründen, sind ein fruchtbarer Boden, um die jungen Männer für bewaffnete Gruppierungen zu gewinnen.
Das Armenhaus der arabischen Welt ist in jeder Hinsicht schlecht ausgerüstet, um einen Krieg zu überstehen. Im nationalen Dialog, der 2014 unter den politischen Gruppierungen abgehalten wurde, spielte auch die ökonomische Entwicklung eine zentrale Rolle. Mit der Dezentralisierung in sechs Regionen hätten die Ressourcen gleichmässiger verteilt werden sollen.
Die Ergebnisse wurden aber nie umgesetzt, weil die Huthi-Rebellen sich nicht daran hielten und ihren militärischen Feldzug gegen die Zentralregierung fortsetzten, in dessen Verlauf sie die Hauptstadt einnahmen, die politischen Institutionen ausser Kraft setzten und Präsident Abed Rabbo Hadi Mansour in die Flucht schlugen. Diese Entwicklung wollen die Saudis mit ihrer Militäraktion jetzt rückgängig machen.
Riad stoppt Hilfszahlungen
Die politischen Unruhen seit 2011 haben die Wirtschaft im Jemen um etwa 15 Prozent schrumpfen lassen. Der Staatshaushalt ist weitgehend von den Öleinnahmen abhängig, die wegen sinkender Exporte als Folge der Kämpfe und des Preiszerfalls ohnehin rückläufig sind. Sie betrugen in den ersten 10 Monaten 2014 noch 1,4 Milliarden Dollar, gegenüber 2,4 Milliarden im selben Vorjahreszeitraum. Es wird kaum investiert, der Tourismus ist zusammengebrochen. Jemen ist von Hilfsgeldern abhängig.
Saudi-Arabien habe seit einigen Monaten seine Unterstützung weitgehend eingestellt, berichtet die Weltbank. In den letzten Tagen hat es bereits erste Kämpfe in der Region von Shabwa, einem der Ölfördergebiete gegeben. Die Truppen der saudisch geführten Allianz haben inzwischen alle jemenitischen Häfen blockiert, damit wird auch der Export von Erdöl in Mitleidenschaft gezogen. Tankschiffe weichen nun in andere Häfen der Region aus, etwa nach Dschibuti. Damit könnten die Öleinkünfte noch mehr einbrechen und Jemen vollständig von der Unterstützung ausländischer Geldgeber abhängig werden.