Bonjour Tristesse

Zu welchem Kanton gehört der Berner Jura? Im Vorfeld der Abstimmung reisen wir durch diese Terra Incognita. Die zweite Etappe führt uns an die Quelle der Birs, nach Tavannes – und schliesslich nach Tramelan, wo uns eine gebürtige Jurassierin sagt, worum es doch eigentlich gehe.

Vom Abstimmungskampf ist in den Dörfern erstaunlich wenig zu sehen, wenn man bedenkt, wie emotional die Debatten seit Jahrzehnten geführt werden (Bild: Marc Krebs)

Zu welchem Kanton gehört der Berner Jura? Im Vorfeld der Abstimmung reisen wir durch diese Terra Incognita. Die zweite Etappe führt uns an die Quelle der Birs, nach Tavannes – und schliesslich nach Tramelan, wo uns eine gebürtige Jurassierin sagt, worum es doch eigentlich gehe: Um die Kirchenzugehörigkeit.

Es ist kühl und nass dieser Tage im Berner Jura. Grau auch. Vielleicht hängt das mit der Tristesse zusammen, die uns in Tavannes überkommt. Man sieht dem 3500-Seelen-Dorf an, dass es seine guten Zeiten hinter sich hat: Viele Hausfassaden blättern ab, Schilder verblassen. Wo ist hier die Lebensfreude? In einer Broschüre versteckt: «Tavannes au quotidien, c’est vivre, se divertir et bénéficier d’un cadre de vie agréable pour voir grandir les générations futures.»

Das Vergnügen, das schöne Leben, das Tavannes in seiner neuen Imagekampagne verspricht, versteckt sich gut hinter dem verlotterten Eindruck. Ausserhalb des Dorfes entspringt die Birs, die Gemeinde preist sich auf einer Fahne an der Hauptstrasse als «Quelle der Zukunft» an – die Schaufenster des Hauses dahinter sind leer. Autsch. «Viele Junge, die eine höhere Ausbildung anstreben, verlassen den Ort und kehren nicht mehr zurück», sagt uns ein Passant. Und nicht nur die Jungen gehen. Die Manor hat sich vor zwei Jahren auch aus dem Tal verabschiedet. Zukunft sieht anders aus.

Also rauf in den Norden, ins höher gelegene Tramelan, wo immerhin die Sonne scheint. Auch sonst macht dieses Dorf einen bunteren Eindruck: Die vielen Berner Fahnen tragen dazu bei. Im Bistro L’Escalier erkundigen wir uns, ob es das eigentlich noch gebe, Beizen, in denen projurassische Separatisten ihre Köpfe zusammenstecken. Der Rentner, der an der Mittags-Pression nippt, schüttelt den Kopf. «Zumindest früher waren sie noch im Retro Pub», sagt uns Madame Michelin an der Bar. Das Retro Pub hat bei unserer Durchreise (noch) geschlossen, macht aber von aussen betrachtet keinen selbstbewussten Eindruck. Ist die Jurafrage hier geklärt? «Für uns ist eine andere Abstimmung viel bedeutender: die angestrebte Fusion mit umliegenden Gemeinden wie Tavannes», erfahren wir im Bistro.

Ungünstiger Zeitpunkt

Wir sind erstaunt über den Pragmatismus in Tramelan, nahe an der Kantonsgrenze. Immerhin kam doch einer von hier, der den militanten Bewegten ein seriöses Gesicht verlieh: Roland Béguelin, politischer Geburtshelfer des Kantons Jura. Vor 20 Jahren starb der Sozialdemokrat. Man erinnert sich an ihn, weiss von ihm. Aber: «Diese neuerliche Jura-Abstimmung kommt 20 Jahre zu spät. Oder 20 Jahre zu früh. Je nach Sichtweise», sagt ein Jugendlicher am Bahnhof. 45 Minuten dauerte seine Rückreise aus Biel, wo er das Lycée, das Gymnasium besucht. Ins jurassische Porrentruy hätte er deutlich länger – und keinen Bock auf solche Umwege. Er wird «Non» stimmen.

Auch Madame Michelin ist gegen den Kantonswechsel. «Wir sind doch gut gefahren, verglichen mit jenen Gebieten, die jetzt den Kanton Jura bilden», sagt sie, die in einem kleinen Dorf in der Ajoie, dem heutigen Kanton Jura, aufwuchs. Mit gesenkter Stimme fährt sie fort: «Wissen Sie, bei der ganzen Geschichte geht es doch im Kern gar nicht um Politik, auch nicht um die gleiche Sprache. Sondern um die Religion. Der Jura ist katholisch, Bern protestantisch. Als ich in den 60er-Jahren einen Berner heiratete, war man entsetzt in meinem Heimatdorf.»

Die Juraabstimmung als Camouflage für eine Glaubensfrage, und das im 21. Jahrhundert? So wie in Glasgow oder Nordirland? Interessant. So deutlich hat uns das auf unserer Reise bisher noch niemand gesagt.

Unsere bisherigen (grün) und unsere aktuellen Stopps im Jura.


 

Nächster Artikel