Am Ukraine-Gipfel in Paris reiste Putin bereits am Freitag ab und offenbarte damit weniger Selbstbewusstsein als auch schon. Von einer russischen Niederlage am Verhandlungstisch zu sprechen wäre allerdings falsch, denn mehr als eine Verschiebung der für Ende Oktober angekündigten Wahlen in der Krisenregion haben auch die westlichen Staatschefs nicht erreicht.
Wladimir Putin feiert seine aussenpolitischen Erfolge gern laut. Zuletzt trat er nach seinem Treffen mit Barack Obama in New York allein vor die Presse und verkündete seine neue Bomber-Strategie in Syrien, während sich der irritierte US-Präsident still und leise davonstahl.
Ähnlich war es im Februar nach der berühmten «Nacht von Minsk» gewesen, auch wenn die Protagonisten andere waren. Vor laufenden Kameras berichtete der Kremlchef damals in bester Laune, wie er Bundeskanzlerin Angela Merkel, den französischen Präsidenten Francois Hollande und den ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko müde verhandelt und den Ukraine-Konflikt gleichsam am grünen Tisch gewonnen habe. Widerspruch blieb aus.
Es will deshalb durchaus etwas heissen, dass es diesmal Putin war, der nach dem Ukraine-Gipfel in Paris am Freitag ohne persönliche Erklärung das Weite suchte. Er überliess das Feld Hollande und Merkel, die nach den Vierer-Gesprächen im sogenannten Normandie-Format verkündeten, das erreicht zu haben, «was zu erreichen war». Auch das klang nicht gerade euphorisch, aber eben doch nach einem Erfolg, der sich auf den einfachen Nenner bringen lässt: Putins Ukraine-Offensive ist zunächst einmal zum Erliegen gekommen.
Russischer Verhandlungswillen – besser als nichts
Zu feiern gab es in Paris also nichts für den Kremlchef. Allerdings wäre der Umkehrschluss, ein «verkaterter» Putin könnte in der Ukraine auf dem Rückzug sein, ebenso verfehlt. Die Dinge im Donbass befinden sich in der Schwebe. Seit dem 1. September gilt an der Frontlinie eine Waffenruhe. In Paris bestätigten Putin und Poroschenko zudem ihren guten Willen, die Lage durch den Abzug schwerer Waffen weiter zu deeskalieren.
Abgang Merkels und Hollandes nach der Präsentation der Ergebnisse. Man habe erreicht, «was zu erreichen war». (Bild: ETIENNE LAURENT)
Aus westlicher und erst recht aus Kiewer Sicht ist das, angesichts der Annexion der Krim und der fortdauernden separatistisch-russischen Kontrolle über die Ostukraine, viel zu wenig. Aber es ist eben auch deutlich mehr als nichts.
Noch etwas kommt hinzu, und das ist das wichtigste Ergebnis des ergebnisarmen Pariser Gipfels: Die ursprünglich für Ende Oktober geplanten Wahlen in der Krisenregion wurden verschoben und der Minsker Friedensprozess damit faktisch verlängert.
An der Wahl-Frage drohte und droht noch immer jede Lösung in der Ostukraine zu scheitern. Die prorussischen Separatisten wollen in den Gebieten Donezk und Luhansk unter eigener Regie abstimmen lassen. Dies würde die territoriale Integrität der Ukraine endgültig aushöhlen. Poroschenko erwägt für diesen Fall neue militärische Aktionen.
Putin will Autonomie für den Donbass
Die Regierung in Kiew besteht darauf, nach ukrainischem Recht wählen zu lassen. Putin kann diesen Anspruch nicht einfach vom Tisch wischen, ohne sich zu einem weiteren offenen Bruch des Völkerrechts zu bekennen. Stattdessen verlangt der Kremlchef, Poroschenko müsse in direkten Gesprächen mit den Separatisten eine Autonomie für den Donbass aushandeln. Diesen Anspruch wiederum kann der ukrainische Präsident nicht ignorieren, denn er hat ihm im Februar, in der langen Nacht von Minsk, zugestimmt. Die dafür nötigen Verfassungsänderungen konnte er in Kiew allerdings bislang nicht durchsetzen. Im Dezember will er einen weiteren Versuch unternehmen.
Poroschenko (links), hier auf Tuchfühlung mit Frankreichs Präsident Hollande, hat im Februar Verhandlungen über eine Autonomie für den Donbass zugestimmt. (Bild: MICHEL EULER)
Dies ist der Hintergrund, vor dem sich alle vier Parteien des Normandie-Quartetts offenkundig entschlossen haben, auf Zeit zu spielen. Doch es ist ein brandgefährliches Spiel! Der Einsatz ist der Frieden im Osten Europas. Allzu schnell ist in Vergessenheit geraten, dass den Kämpfen in der Ukraine bereits mindestens 8000 Menschen zum Opfer gefallen sind – von Invaliden, Geflüchteten und Vertriebenen zu schweigen. Tod und Leid würden bei einer erneuten Eskalation noch einmal um ein Vielfaches steigen.
Für Putin, das hat er wiederholt anklingen lassen und durch sein Handeln unter Beweis gestellt, sind die Opfer kaum mehr als Kollateralschäden eines geostrategischen Ringens mit dem Westen. Die Tatsache, dass es Sicherheitspolitiker und Militärs in der EU und vor allem in den USA gibt, die ähnlich denken und handeln, macht Putins Skrupellosigkeit nicht weniger brutal und unmenschlich.