Die Dschihadisten des Islamischen Staats im Irak und Syrien (ISIS) führen im Irak einen erbitterten Kampf gegen Christen und jeden kulturellen Ausdruck, der nicht in ihr extremistisches Weltbild passt – bis hin zu Fussball und Folklore.
An den Häusern der Christen in Mosul ist jetzt ein arabisches «N» aufgemalt. «N» für Nasarani, wie die Christen im Koran bezeichnet werden. 30’000 gab es noch in der Millionenmetropole im Norden des Irak. Die Dschihadisten hatten ihnen ein Ultimatum von zwei Tagen gestellt, um entweder zum Islam überzutreten, die Jizziya – eine Steuer für Nichtmuslime – zu bezahlen oder zu fliehen.
Wer konnte, ist geflohen. Viele in Richtung Kurdengebiete. Ihre Häuser wurden daraufhin von den Dschihadisten des Islamischen Staats im Irak und Syrien (ISIS) konfisziert. Damit ist die christliche Minderheit in Mosul, das auch als «Rom des Orients» bezeichnet wird, praktisch ausgelöscht.
Zum ersten Mal in der Geschichte sei Mosul frei von Christen, erklärte Bashar Kiki, ein Mitglied des Lokalrates, der nach dem Einfall der ISIS-Kämpfer in Mosul Anfang Juni in die 45 Kilometer entfernte Stadt Qushahwali umgezogen ist. Die Region von Mosul ist christliches Kernland. Hier lebten Christen und Muslime über Jahrhunderte friedlich zusammen. Sie waren immer ein Teil der facettenreichen «sozialen Fabrik» des Zweistromlandes. Viele der historisch wertvollen Kirchen wurden von den Jihadisten jetzt geplündert und zerstört.
Systematische Christenvertreibung
Mehr als die Hälfte der einst 800’000 Christen hatten den Irak bereits nach der US-Invasion von 2003 verlassen. Ihre Gotteshäuser waren regelmässig Ziel von Anschlägen gewesen. Sie wurden von der Regierung immer unzureichend geschützt und nie wirklich in die staatliche Neuordnung eingezogen.
Was die ISIS-Extremisten jetzt betreiben, ist eine systematische Vertreibung und Verfolgung aller ethnischen und religiösen Gemeinschaften, die sich nicht ihrer Ideologie unterwerfen. Der UN-Sicherheitsrat hat die Verfolgung der Christen im Irak am Montag einhellig verurteilt und sie als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» bezeichnet.
Von der ISIS-Zerstörungswut sind nicht nur christliche Einrichtungen, sondern auch Schreine von schiitischen Heiligen bedroht. Auch diese werden von den ISIS-Kämpfern in dem von ihnen eroberten Gebiet, das sie zum islamischen Kalifat ausgerufen haben, systematisch dem Erdboden gleichgemacht. Oft wird dazu schweres Gerät wie Bagger eingesetzt, manchmal brutale Muskelkraft mit Vorschlaghämmern. Bilder von solchen Aktionen verbreiten die Jihadisten regelmässig im Netz als Teil ihrer PR-Kampagne.
Kulturerbe im Irak ist gefährdet
In der Stadt Saadiya in der Provinz Diyala hat ISIS in einer Bibliothek Hunderte wertvoller Bücher und Manuskripte zerstört, die nicht in ihr Weltbild passen. Aus den Buchhandlungen muss alles verschwinden, was ihnen missfällt. Auch Bilder von modernen Künstlern werden zerstört und sogar traditionelle Folkloredarbietungen verboten, von denen es gerade in den Ramadan-Tagen früher viele gab.
Einwohner sprechen in Anlehnung an die afghanischen Taliban bereits von Saadiya als dem Kandahar von Diyala. Als Reaktion auf die vielen alarmierenden Berichte über die Zerstörung von Kulturgütern von unschätzbarem historischen Wert, hat die Unesco zusammen mit internationalen Experten begonnen, einen Notfallplan zu erstellen, um das reiche und vielfältige irakische Kulturerbe zu schützen, das zudem durch Kampfhandlungen und Plünderungen gefährdet ist.
Schauplatz Fussballfeld
Auch in den Schulen setzen die ISIS-Dschihadisten mit ihrer rigorosen «Säuberungswelle» an. Sie haben begonnen, die Geschlechtertrennung einzuführen – Mädchen müssen sich verschleiern – und aus dem Stundenplan und den Schulbüchern alle Inhalte zu entfernen, die ihren religiösen Leitlinien widersprechen. Der Irak hatte im regionalen Vergleich ein qualitativ hochstehendes Bildungswesen, das allerdings schon seit der Invasion von 2003 bereits erheblich gelitten hatte.
Der ISIS-Kulturkampf macht auch vor der Alltagskultur nicht halt. Die Gotteskrieger haben sämtliche Sportveranstaltungen verboten, darunter auch Fussball.
Nun werden auch die Fussballplätze zu einem Schauplatz um die Kontrolle im Irak. Demonstrativ haben die Behörden im internationalen Stadion von Bagdad das Finale der Fussballweltmeisterschaft auf grossen Bildschirmen übertragen, und der Fussballverband hat angekündigt, dass er Fussballspiele im ganzen Land ansetzen werde – als Protest gegen ISIS-Attacken auf Zuschauer und Spieler.