Die Landesregierung nimmt einen neuen Anlauf für eine Erleichterung der Einbürgerung. Doch angesichts der Stimmungsmache von rechts wagt er sich nur an eine Minireform.
Gleich mehrere politische Vorstösse zwingen uns zu Überlegungen darüber, nach welchen Bestimmungen das schweizerische Bürger- oder politische Mitbestimmungsrecht verliehen werden soll. Ein ewiges Thema. Unsere Meinung dazu können wir entweder aufgrund unserer allgemeinen Einstellung zur Schweiz und zur Welt und/oder aufgrund unserer praktischen Erfahrung mit davon betroffenen Menschen bilden.
Landesweit war diese Meinung vor elf Jahren gefragt. Damals wurde die erleichterte Einbürgerung für Secondos und eine automatische Einbürgerung für Tertios an der Urne mit 51,6 Prozent bachab geschickt. Die ganze Romandie sowie Basel-Stadt stimmte zu, trotzdem konnte die SVP mit rassistischen Plakaten (schwarze, braune, gelbe Hände, die nach dem roten Pass griffen) einen traurigen Erfolg verbuchen.
Voraussichtlich nächstes Jahr wird uns eine stark verdünnte Vorlage für erleichterte Einbürgerung von Tertios als Verfassungsreform vorgelegt werden. Noch bis zum 19. November läuft das Vernehmlassungsverfahren des Bundesrates zur neuen Bürgerrechtsverordnung. Die Vorschläge folgen dem Trend zur weiteren Restriktion: Sozialhilfeabhängigkeit soll ein Ausschlussgrund sein (einen Kommentar dazu finden Sie hier), allfällige Vorstrafen werden vertieft erhoben, und es wird eine Loyalitätserklärung verlangt.
Zugegeben: Doppelbürger können bei Fussball-Länderspielen Probleme bekommen, weil sie nicht wissen, welcher Mannschaft sie den Sieg wünschen sollen.
Diese Anforderungen zeigen zusammen mit den anderen Bestimmungen, dass man von Einbürgerungswilligen wesentlich mehr verlangt, als viele Schweizer und Schweizerinnen erfüllen. Und sie zeigen, wie Vorbehalte gegenüber der dritten Generation und Integrationsprobleme geschaffen werden, gerade von denjenigen, die stets hohe Integrationsanforderungen stellen. Nicht erstaunlich, dass auch die SVP-Basel-Stadt mit einer Einbürgerungsinitiative, die in der Stossrichtung eine Nichteinbürgerungsinitiative ist, derzeit auf billige Weise Wahlkampf macht.
Plötzlich machen sich SVP-Nationalräte auch «Sorgen» wegen eingebürgerten Schweizern, die ihren früheren Pass behalten haben. Der Generalverdacht auf gespaltene Loyalität richtet sich speziell gegen Doppelbürger, die als Grenzwächter und Diplomaten tätig sind. Es können aber keinerlei konkrete Fälle genannt werden, die solche Vorstösse rechtfertigen, die von gleicher Seite auf nationaler Ebene wie auch in vier Kantonen (darunter Basel-Landschaft) unternommen wurden.
Eines wollen wir zugeben: Doppelbürger können, wenn sie gewissen Fussball-Länderspielen beiwohnen, ein kleineres Problem haben, weil sie nicht so recht wissen, welcher Mannschaft sie den Sieg wünschen sollen.
Neid auf die Vorteile von zwei Pässen
Das Doppelbürgerrecht wurde 1992 eingeführt, um insbesondere bei EU-Bürgern und -Bürgerinnen die Einbürgerungswilligkeit und damit deren Interesse und Engagement für das Residenzland zu erhöhen. Dies folgte der Einsicht, dass auf der aufnehmenden Seite ebenfalls ein Interesse besteht, dass Angehörige der Dauerbevölkerung zugleich Bürger und Bürgerinnen des Landes sind. Man war irritiert und beunruhigt über die grosse Zahl von niedergelassenen Nichtschweizern, die sich hätten einbürgern lassen können, von dieser schönen Möglichkeit aber keinen Gebrauch machten.
Was 23 Jahre lang kein Problem war, soll jetzt eine neue Lösung erfordern? Zwar gab es bereits in den Jahren 2004 und 2008 Vorstösse der SVP, die sich mit diesem «Problem» profilieren wollte. Ein plumper Versuch, die Stimmung gegen scheinbar oder tatsächlich Fremdes weiter anzuheizen und sich damit selber vaterländische Verdienste zuzuschreiben.
Wie auch in diesem Bereich Ideologie und Realität auseinanderklaffen können, zeigt der Leserbrief im «Tages-Anzeiger» (online nicht verfügbar) eines mit einer Philippinerin verheirateten SVP-Mitglieds, das auf den praktischen Vorteil hinweist, dass seine Frau wegen ihres «alten» Passes kein Visum verlangen muss, wenn sie länger als zwei Wochen ihre Familie besucht. Der Vorbehalt gegen Doppelbürgerschaft lebt eben auch vom Neid, dass ehemalige Ausländer fremdenpolizeilich besser gestellt sein sollen als die einfachen Eidgenossen mit nur einem Pass.
Die Schweiz bürgert viel restriktiver ein als andere Länder. Trotzdem ist die Zahl der vorgenommenen Einbürgerungen beträchtlich.
Bezeichnend ist, dass das Mehrfachbürgerrecht nur bei Neubürgern problematisiert wird. Die vielen schweizerischen Altbürger (auch SVPler), die über mehrere Pässe verfügen, sind offenbar kein Problem. Es macht eben einen Unterschied, ob man sich nur von innen her einen Zusatzpass beschafft oder ob jemand, der von aussen kommt, einen Doppelpass hat. Draussen und zugleich drinnen sind übrigens auch rund 550’000 Auslandschweizer, die zugleich Doppelbürger sind und sich hoffentlich bei den anstehenden Wahlen bei den Urhebern dieses Vorstosses bedanken werden.
Die Schweiz ist in Europa seit eh und je das Land mit besonders restriktiven Einbürgerungsvorschriften. Trotzdem ist die Zahl der vorgenommenen Einbürgerungen beträchtlich. Beides, die hohe Zahl wie die hohen Hürden, erklärt sich durch den hohen Ausländeranteil.
Wie Zahlen vom November 2013 zeigen, hat die Schweiz gemessen an ihrem Bürgerbestand eine sehr hohe Einbürgerungsquote, nämlich 4,6 Personen pro 1000 Einwohner und steht damit in Europa an zweiter Stelle hinter Luxemburg und vor Schweden. Gemessen an der Zahl der ansässigen Ausländer ist die Quote aber schlechter: Die Schweiz fällt zurück auf die 14. Position und liegt mit zwei Einbürgerungen von 100 ansässigen Ausländern sogar unter dem europäischen Durchschnitt.
Vom ius sanguinis zum ius soli
Bei der erwähnten Tertios-Vorlage, die vom Nationalrat im März 2015 mit 122:58 Stimmen angenommen und nun vom Ständerat dieser Tage in eine zusätzliche Beratungsschlaufe geschickt wurde, geht es um eine subtile Einführung des Geburtsprinzips, ein Abstellen auf den Geburtsort (ius soli), statt auf das Abstammungs- oder Blutsprinzip (ius sanguinis). Und es geht darum, Menschen, die sich von den übrigen Schweizern nur darin unterscheiden, dass sie kein Schweizer Bürgerrecht haben, einen erleichterten Zugang zum Pass zu ermöglichen.
Hier kann man Bundespräsidentin und Justizministerin Simonetta Sommaruga mit ihrem Votum im Ständerat zitieren: «Es geht um Menschen, die hier Steuern bezahlen, Turnvereine leiten, Pfadilager durchführen und auch hier sterben.»
Ein automatischer Zugang ist in der Vorlage nicht vorgesehen, die Erleichterung besteht darin, dass einzig der Bund zuständig ist. Dieser beurteilt die Sicherheitsfrage, achtet auf allfällige Vorstrafen, und will insbesondere nicht einfach zu erbringende Nachweise, dass mindestens ein Grosselternteil in der Schweiz geboren und mindestens ein Elternteil ebenfalls hier geboren war oder vor dem zwölften Lebensjahr eine Aufenthaltsbewilligung erworben hatte. Möglicherweise kommt jetzt eine obere Altersgrenze von 18 Jahren hinzu, damit männliche Neuschweizer den Militärdienst nicht umgehen können.
Soll man die Minireform begrüssen, weil sie ein positives Kleinstergebnis bringt oder soll man sie ablehnen, weil sie nur so tut, als ob man elementare Notwendigkeiten einsieht?
Angesichts dieser komplizierten Lösung, von der theoretisch rund 5000 Personen pro Jahr profitieren könnten, befinden sich die Befürworter einer tatsächlich überfälligen Erleichterung der Einbürgerungsprozeduren in einem Dilemma: Soll man diese Minireform begrüssen, weil sie ein positives Kleinstergebnis bringt, oder soll man sie ablehnen, weil sie viel zu klein ist und nur so tut, als ob man elementare Notwendigkeiten einsieht?
Da es für diese Novelle eine Verfassungsänderung braucht, wird es sicher eine Volksabstimmung geben. Dann darf ein zusätzliches Motiv für eine Unterstützung der Minireform hinzukommen: Man sollte nicht zulassen, dass die Gegner, denen sogar das zu viel ist, diese Abstimmung gewinnen.
In diesen Tagen ist die Bürgerfrage gleich noch von einer anderen Seite aufgegriffen worden: Erfreulicherweise machte sich die wirtschaftsnahe Denkfabrik Avenir suisse für das Ausländerstimmrecht stark, was bei seiner Einführung einer Teileinbürgerung in das politische System gleichkäme. Vieles würde, wie aufgezeigt wird, dafür sprechen. Hier muss die Feststellung genügen, dass es noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar gewesen wäre, von dieser Seite einen solchen Vorschlag zu bekommen – ein Zeichen der Lernfähigkeit. Schön wäre es, sie würde schon bald das ganze Einbürgerungswesen erfassen.