Bürgermilizen machen Jagd auf Flüchtlinge

Seit die Route über den westlichen Balkan blockiert ist, fürchtet Bulgarien, dass vermehrt Flüchtlinge aus dem Nachbarland Türkei einreisen. Selbsternannte Grenzwächter machen Jagd auf illegale Migranten – und werden als Helden gefeiert.

epa05238826 Bulgarian Dinko Valev (29), owner of a breakersyard for trucks and buses, uses his mobile phone while posing for photographs on the premises of his company in the town of Yambol, some 240 kilometers from Sofia, Bulgaria, 01 April 2016. The Bulgarian fan of extreme driving of All Terrain Vehicles (ATV) has become a national celebrity after he detained a group of migrants from Syria near the border with Turkey earlier this year. The 29-years old insists he is not a 'migrant hunter' as dubbed by the Bulgarian media but acted in self defence as well as a patriot protecting his country from intruders and possibly terrorists. He was gaining support from locals when he was being investigated by the prosecution office for possible anti-migrant propaganda and eventually violence againts refugees. A spokesperson for the Bulgarian Border Police told media that authorities are generally welcoming calls from citizens on irregular border crossings, but the detaining by civilians, as Valev is praising himself on his Facebook account, was an illegal act. EPA/VASSIL DONEV

(Bild: EPA/VASSIL DONEV)

Seit die Route über den westlichen Balkan blockiert ist, fürchtet Bulgarien, dass vermehrt Flüchtlinge aus dem Nachbarland Türkei einreisen. Selbsternannte Grenzwächter machen Jagd auf illegale Migranten – und werden als Helden gefeiert.

Die wackligen Bilder zeigen drei junge Männer, die auf dem Waldboden liegen. Sie blicken verschreckt und verwirrt in die Kamera. Jemand bindet ihnen die Hände hinter den Rücken. Eine Männerstimme befiehlt in einer Mischung aus gebrochenem Englisch und rudimentärem Bulgarisch: «Türkei! Zurück! Geh zurück! Zurück Türkei jetzt! Türkei geh! (…) Nein Bulgarien! Geh Türkei sofort!»

Das ist das jüngste Video über die «Festnahme» von Flüchtlingen an der türkisch-bulgarischen Grenze durch eine der sogenannten bulgarischen «Selbstschutzgruppen».

 

Ein anderes Video zeigt mehrere junge Männer. Sie sitzen am Boden, manche essen. Eine Stimme erklärt auf Bulgarisch: «Da sind sie: 27 Menschen aus Afghanistan. Wir warten auf die Behörden, die sie abholen sollen – die 27 Menschen, die wahrscheinlich Bulgarien ernähren muss.» 

Seit einigen Wochen tauchen immer neue solche Videos auf. Ihre Autoren sind die «Selbstschützer» – meist junge, kräftige Männer in Tarnkleidung. Sie haben es nach eigenen Aussagen auf sich genommen, Bulgarien vor Flüchtlingen zu schützen und patrouillieren eigenmächtig neben der bulgarischen Grenzpolizei. Viele im Land auf dem südlichen Balkan finden das in Ordnung und feiern die Männer als gute Patrioten.

Der Schrottwagenhändler als Superheld  

Öffentlich bekannt wurde dieses Phänomen dank dem 29-jährigen Schrottautohändler Dinko Valev. In einer Fernsehreportage Ende Februar erzählte er voller Stolz, wie er Flüchtlinge «jagt». Seitdem ist er für manche in seinem Land ein Star. Für Presseberichte posiert er gern breitbeinig mit einem Gewehr in den Händen vor zwei alten gepanzerten Militärfahrzeugen, die er irgendwo ergattert hat; gekleidet in einen blauen Sportanzug, die bulgarische Flagge um die Schultern gehängt, athletisch gebaut, mit Bart, kurz rasiertem Haar und einem riesigen Kreuz, das er sich auf die Brust tätowieren liess.

 
Im Fernsehen nennt man Valev einen «Superhelden» – weil er «in wenigen Monaten mit blossen Händen mindestens 20 Migranten festgenommen hat». Das waren Flüchtlinge, die es aus der Türkei über die Grenze nach Bulgarien geschafft haben, darunter Frauen und Kinder. «Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich mit dem Gesicht nach unten hinlegen sollen, sonst bringe ich einen von ihnen um», erzählte Valev voller Stolz dem bulgarischen Fernsehsender bTV. Einmal habe er einen Mann zwei Kilometer weit verfolgen müssen. Einen anderen habe er an einen Baum gefesselt, bis die Polizei kam, um den Mann festzunehmen. 

Bulgarien ist bis jetzt abseits der Flüchtlingswelle geblieben. Laut der Internationalen Organisation für Migration sind 2015 fast eine Million Flüchtlinge aus der Türkei über Griechenland in die EU gekommen. Über die bulgarisch-türkische Landesgrenze wagten sich weniger als 30’000. Menschenrechtsorganisationen haben Bulgarien oft dafür kritisiert, dass es Flüchtlinge schlecht behandelt. Trotzdem bekam Valev vor ein paar Tagen von höchster Stelle Unterstützung – vom bulgarischen Premier Bojko Borissow selbst. 

«Es ist unerträglich, dass man mich beschuldigt, weil ich ein paar potenzielle Terroristen festgenommen habe.»

Dinko Valev

Seit August 2015 soll Valev nach eigenen Angaben mehrere «Jagden» auf Flüchtlinge veranstaltet haben. Angefangen habe alles zufällig, als er eines Tages zum Spass mit seinem Quad über ein Feld nahe Jambol, seine Heimatstadt, etwa 50 Kilometer entfernt von der türkischen Grenze, gefahren sei. «Einer sprang aus dem Gebüsch heraus», erinnert sich Valev. Später behauptete er dann, ein Flüchtling habe ihn angegriffen und versucht sein Quad zu stehlen. 

Mittlerweile hat Valev Tausende Fans in den sozialen Netzwerken und auch viele Nachahmer. Sie alle posten Videos, die zeigen, wie sie Flüchtlinge festhalten. Der bulgarische Ableger des Helsinki-Komittees für Menschenrechte hat auf die Fernsehbilder mit einer Anzeige gegen Valev reagiert. Der Vorwurf: Verletzung der Menschenrechte. Valev wurde zur Befragung ins Polizeirevier bestellt; es ist aber nicht bekannt, dass rechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet worden wären. «Es ist unerträglich, dass man mich beschuldigt, weil ich ein paar potenzielle Terroristen festgenommen habe», sagte Valev nach der Befragung und kündigte weitere eigenmächtige Einsätze an der Grenze an.

Flüchtlinge werden ausgeraubt

Nach der Schliessung der Flüchtlingsroute über den Westbalkan befürchten viele Bulgaren, der Menschenstrom werde nun durch ihr Land fliessen. «Offenbar ist Hysterie aufgekommen wegen einer potenziellen Flüchtlingswelle durch Bulgarien. Und weil viele den Staat in seiner Arbeit nicht für effizient halten, haben es einige auf sich genommen, Flüchtlinge zu stoppen», erklärt der Politologe Ognyan Minchev. 

Er unterscheidet zwischen zwei Haupttypen von Männern, die «Selbstschutzgruppen» beitreten: «Die einen sind aus der Provinz und nicht gut gebildet. Sie machen sich ernsthaft Sorgen wegen der Flüchtlingswelle und wollen den Staat unterstützen. Einige andere wollen sich einfach als Helden ausgeben. Oft wird aber berichtet, dass sie die Flüchtlinge auch bestehlen», sagt Minchev. 

Überraschend bekamen die «Selbstschutzgruppen» dieser Tage Unterstützung von höchster Stelle – vom bulgarischen Premierminister Bojko Borissov. Er habe persönlich mit den Bürgergruppen, die Migranten festhalten, gesprochen, sagte er am Rande einer Grenzschutzübung. «Ich habe mich bedankt und den Direktor der Grenzpolizei zu ihnen geschickt, damit sie ihre Informationen und alles Nötige miteinander koordinieren. Der Staat gehört uns allen, jeder, der hilft, hat ein ‹Danke schön› verdient», erklärte Borissov. Kurz darauf hat ihn das Helsinki-Komittee wegen Ermunterung zu kriminellen Handlungen angezeigt. Umgehend erklärte er auf seiner Facebook-Seite, man habe seine Worte falsch verstanden. 

Mittlerweile mahnte der Chef der bulgarischen Grenzpolizei, Antonio Angelov, öffentlich, dass Festnahmen durch Bürger gegen das Gesetz seien. Und die Staatsanwaltschaft will jetzt auch dem jüngsten Video mit den drei gefesselten jungen Männern nachgehen.

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