Der freisinnige Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter entpuppt sich immer mehr als zwar williger aber konfliktscheuer und schwacher Bundesrat. In Sachen EU drohen ihm weitere böse Schlappen.
Die nach wie vor freisinnig durchwirkte NZZ profiliert sich ungern als harsche Kritikerin freisinniger Magistraten. «Burkhalter spricht gerne über Unumstrittenes», fuhr das Intelligenzblatt von der Zürcher Falkenstrasse dem Neuenburger FDP-Bundesrat Didier Burkhalter nun aber Mitte April subtil aber doch ungewohnt heftig an den Karren: «Er entzieht sich der Debatte, vorab in der Europapolitik.» Er scheue «nicht etwa die öffentlichen Auftritte, sondern Konflikte». Mehr noch: Der elegante Welsche sei eigentlich ein Feigling: «Geht es ans Eingemachte, verschwindet der Kapitän unter Deck.» In schwerer See schicke Burkhalter seinen «nie um eine Antwort verlegenen Staatssekretär Yves Rossier» auf die Brücke.
Fremde Richter – rückwirkend
Diese wenig schmeichelhafte Beurteilungen sollten sich seither mehr als nur bestätigen – und geradezu als prophetisch erweisen: «Wo war Didier Burkhalter?» so fragt nämlich die neuste «Schweiz am Sonntag» (online nicht verfügbar). Und berichtet: «An den Von-Wattenwyl-Gesprächen wusste niemand so genau, wo denn der Aussenminister ist.» Dabei stand bei diesen Gesprächen zwischen allen Bundesratsparteien am letzten Freitag in Bern mitunter die EU-Politik auf der Traktandenliste. Es ging konkret um «Burkhalters brisante Pläne», welche Tages-Anzeiger Online letzte Woche enthüllt und berichtet hatte: «Aussenminister Didier Burkhalter schlägt vor, die bestehenden bilateralen Verträge ans EU-Recht anzupassen.» Das hätte fatale Folgen, «vor allem für die Personenfreizügigkeit».
Mehr noch: «Neue horizontale Bestimmungen zur Interpretation, Rechtsentwicklung und Streitbeilegung sollen auf bestehende Abkommen angewendet werden» – also rückwirkend. So zitierte der Tagi aus einem internen Papier aus Burkhalters Departement. Derlei automatische Übernahme von EU-Recht hatte der Bundesrat bisher immer ausgeschlossen – rückwirkend sowieso. Nun aber sei in Burkhalters Papier gar von einem «Daueraufenthaltsrecht für alle EU-Bürger» mit oder ohne Arbeitsstelle in der Schweiz die Rede. Und: Bei Streitigkeiten zwischen der Schweiz und Brüssel um die Auslegung der neuen Verträge wäre dann der EU-Gerichtshof abschliessend zuständig – also die oft zitierten «fremden Richter». Diese wären nicht paritätisch wie bisher, sondern einseitig parteiisch.
Burkhalter nach EU-Flopp auf Tauchstation
Schon bei den Gesprächen am Freitag werde dieser Zündstoff für Auseinandersetzungen sorgen, schätzte der Tages-Anzeiger. Umsonst: Zum grossen Frust der Parteipräsidenten kam Burkhalter gar nicht ins Von-Wattenwyl-Haus. Er blieb in seinem Büro «unter Deck». Und liess Bundespräsident Ueli Maurer zusammen mit den Bundesrätinnen Doris Leuthard (CVP) und Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) die Landesregierung repräsentieren. Was Wunder auch. Selbst die sonst EU-freundliche SonntagsZeitung hält jetzt fest: Burkhalter habe sich mit seiner neuen EU-Politik arg «in eine Sackgasse manövriert». Nicht nur die SVP protestiere gegen das Einknicken des FDP-Bundesrates vor dem Druck der EU auf die Schweiz. Sondern auch die SP, die CVP und die Gewerkschaften. Letztere warnen schon lange vor ultraliberalen EU-Richtern, die alle Lohnschutzmassnahmen für Werktätige aus der EU-Zentrale heraus in einzelnen Ländern aushebeln.
Rossier: «Fremde Richter sind logisch»
Doch während sein oberster Chef zu alledem auch am Freitag gegenüber den Bundesratsparteien nicht Stellung nehmen wollte, redet sein «nie um eine Antwort verlegene» Chefdiplomat umso lauter zum Fenster des Bundeshauses (West) hinaus. Und er gibt noch einiges drauf: Dass die Schweiz künftig «fremde Richter» aus Brüssel akzeptieren müsse sei doch nur «logisch», zitiert die NZZ am Sonntag Staatssekretär Yves Rossier. Schliesslich gehe es da ja um EU-Recht, das die Schweiz freiwillig übernommen habe.
Doch die Reaktionen der Parteien, die sein Chef Burkhalter am Freitag nicht hören wollte, sind jetzt schon vernichtend: CVP-Chef Christoph Darbellay warnt, Bundesrat Burkhalter diskutiere mit Brüssel «hoch brisante Ideen». Und er habe «keinen Plan B». Insbesondere «eine Rückwirkung auf die bestehenden Verträge und auf die Rechtssprechung wäre für die Rechtssicherheit verheerend», sagt er. Das werde seine Partei nie akzeptieren. Burkhalters freisinniger Parteipräsident Philipp Müller pfeift seinen Bundesrat gleich schroff zurück: «Eine dynamische oder gar automatische Anpassung der bestehenden Abkommen ist für uns kein Thema.» Damit ist klar, die «brisanten Vorschläge», welche Burkhalters Staatssekretär in Brüssel in drei Varianten ausgehandelt hat, sind allesamt «nicht mehrheitsfähig», wie die SonntagsZeitung festhält. Wohl nicht einmal am nächsten Mittwoch im Gesamtbundesrat, wo die Sache schon mal diskutiert werden soll.
Widersprüche, Pleiten und Pannen
In unüblicher Offenheit hat Verkehrsministerin Doris Leuthard (CVP) jedenfalls schon ihre «Skepsis» gegenüber den Burkhalter’schen Eskapaden in Brüssel öffentlich kundgetan. Eine EU-mässige Schlappe des Aussenministers in der Landesregierung wäre nur die letzte in einer langen Reihe. «Auch die Übung mit dem Deutschen FDP-Westerwelle in Sachen Abgeltungssteuer war nicht gerade überzeugend», rief CVP-Darbellay jetzt in Erinnerung.
- Tatsächlich staunte das politische Bern nicht schlecht, als Didier Burkhalter diesen Frühling im Chor mit Guido Westerwelle, seinem liberalen Partei- und Amtskollegen aus Deutschland, plötzlich das soeben grandios gescheiterte Abkommen über eine anonyme Abgeltungssteuer neu verhandeln und wiederbeleben wollte. Die zuständigen Ministerkollegen Schäuble und Widmer-Schlumpf winkten aus Berlin und Bern postwendend gleichermassen mehr oder weniger deutlich ab. Die Sache geriet zum Rohrkrepierer.
- Im Nahen Osten, wo Burkhalters Vorgängerin im Amt, Michelin Calmy-Rey (SP) mit der Genfer Initiative die neutrale Schweiz als eigenständige Vermittlerin zwischen Israel und Palästina positionieren und profilieren konnte, will Burkhalter jetzt offenbar nur noch die Politik der USA unterstützen. Als massgeblicher Financier der israelischen Armee sind diese in dem komplexen Konflikt jedoch weitgehend Partei.
- Im nicht minder komplizierten Krieg in Mali möchte Burkahlter die Regierungsseite mit Schweizer Militärberatern unterstützen. In London hat sein Statsssekretär Rossier einer «Geberkonferenz» kriegführender Staaten schon mal satte 50 Millionen Franken versprochen. Dabei verkündete er eher undiplomatisch: «Wir verhandeln nicht mit Dshihadisten.» Dabei hat die Schweiz, die in Mali zum Glück nicht Partei ist, dort gar nichts zu «verhandeln», höchstens zu «vermitteln». Aber diesen Unterschied kennt der Spitzendiplomat offenbar zu wenig gut.
- Weniger Berührungsängste zeigen Burkhalters Diplomaten im noch grösseren Chaos in Syrien: Da leisten sie den Rebellen gegen die Regierung diskret diplomatische Schützenhilfe. Wo und wer bei dieser arg zerstrittenen Opposition genau ein Dshihadist oder nur ein Islamist sei, oder keines von beiden, ist längst nicht mehr klar. Warum die Schweiz sich da einseitig einmischt erst recht nicht.
Aubert, Felber, Burkhalter – non merci!
Denn: Mal mit der Regierung in Mali gegen Rebellen, dann mit den Rebellen in Syrien gegen die Regierung. Und im nahen Osten den ziemlich diskreditierten Amerikanern hinterher politisieren: Eine profilierte Vermittlungspolitik unter Einbezug der auf Unabhängigkeit, Verlässlichkeit und Neutralität basierenden Glaubwürdigkeit der Schweiz sieht sicher anderes aus. Calmy-Rey hatte zumindest gezeigt, wie eine solche Aussenpolitik im Interesse des Landes aussehen könnte.
Burkhalter hingegen erinnert inzwischen ältere Parlamentarier fatal an seine schwachen Neuenburger Vorgänger im Amt, Pierre Aubert und René Felber (beide SP). Mit dem entscheidenden Unterschied indes, dass heute viel heiklere Geschäfte auf der Agenda des Schweizer Aussenministers stehen, als anno dazumal: Die Abstimmung über die Ausdehnung der Bilateralen auf Kroatien etwa, oder die Zuwanderungsinitiativen von Ecopop und der SVP. Da wird er kämpfen müssen, wenn er das inzwischen mehrheitlich EU-kritische Volk überzeugen will. Mit dem Vorprellen seines forschen Staatssekretärs in Richtung automatischer Übernahme des EU-Rechts und der fremden EU-Richter hat Didier Burkhalter mit Sicherheit das Gegenteil bewirkt.