Cameron in der Offshore-Krise

Die Kontroverse um die Steuerangelegenheiten des britischen Premierministers David Cameron verschärft die Probleme, in denen seine Regierung seit Wochen steckt.

David Camerons Kopf gefordert: Die Rücktrittsforderungen liessen nicht lange auf sich warten.

(Bild: Keystone/WILL OLIVER)

Die Kontroverse um die Steuerangelegenheiten des britischen Premierministers David Cameron verschärft die Probleme, in denen seine Regierung seit Wochen steckt.

David Cameron sagte am Samstag, dass es «keine gute Woche» gewesen sei, aber eigentlich hatte die Regierung in letzter Zeit nur schlechte Wochen – und die Schwierigkeiten könnten sich in den kommenden Monaten noch vertiefen. Camerons unmittelbarstes Problem ist, dass er die Kontroverse um seine Steuerangelegenheiten nicht abzuwürgen vermag.

Tagelang hatte er sich darum gedrückt, zu den Enthüllungen der Panama Papers klar Stellung zu beziehen, und erst auf starken Druck der Medien machte er am Donnerstagabend reinen Tisch: Er gestand ein, Anteile am Offshore-Anlagefonds seines Vaters besessen zu haben, die er im Januar 2010, wenige Monate vor seinem Amtsantritt, für rund 30’000 Pfund verkaufte.

Am Samstag ging Cameron in die Offensive und veröffentlichte seine Steuererklärungen der vergangenen sechs Jahre. Doch prompt wurde der Vorwurf laut, er habe sich um die Erbschaftssteuer gedrückt: Aus den publizierten Unterlagen geht hervor, dass seine Mutter vor fünf Jahren 200’000 Pfund auf sein Konto überwiesen hatte, wodurch die Familie möglicherweise 80’000 Pfund an Steuern einsparen kann.

Demo gegen ihn

Die Panama-Affäre hat zu einem markanten Absturz der Umfragewerte Camerons geführt, und Rücktrittsforderungen liessen nicht lange auf sich warten. Als der Premierminister am Samstag an an einem Parteianlass seine Reue kundtat, versammelten sich über Tausend Demonstranten vor seinem Regierungssitz, um ihn zur Amtsniederlegung aufzufordern.

Die Menge war bunt gemischt, man sah Aktivisten der Kampagne «UK Uncut», Anhänger von «Occupy London» und der «People’s Assembly Against Austerity». Viele hatten sich Hawaii-Shirts angezogen und Panama-Hüte aufgesetzt, um ihrem Protest einen tropischen Offshore-Flair zu geben. Einer der Demonstranten, der Student Julien Barber, meinte, dass man jetzt handfeste Beweise zur Steuerhinterziehung führender Politiker habe, und Cameron deshalb abtreten solle. «Dazu kommt die Tatsache, dass Cameron vier Tage lang lügte – das ist das Problem», sagte Barber.

Schwerer als der Vorwurf vermiedener Steuern wiegt der Umstand, dass sich Cameron strengeren Regeln zur Unterbindung von Steuerhinterziehung aktiv widersetzt hatte: 2013 schrieb er einen Brief an den damaligen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, in dem er forderte, dass Offshore-Trusts von strengeren Offenlegungspflichten ausgenommen bleiben sollen. Dass sich Cameron gleichzeitig den Kampf gegen Steuervermeidung auf die Fahnen schrieb und komplexe Offshore-Strukturen als «moralisch falsch» brandmarkte, ist angesichts dieser Tatsache erstaunlich scheinheilig.

Milliardenschweres Loch

Mit den Enthüllungen über die Offshore-Verstrickungen des Premierministers weitet sich die Krise aus, in der die Regierung seit einigen Wochen steckt: Der Eindruck, dass die Tories sich nicht um das Wohl der britischen Durchschnittsbürger kümmern, vertieft sich laufend. Begonnen hatte die Krise mit dem vermasselten Haushaltsplan des Finanzministers George Osborne Mitte März: Sogar von einigen konservativen Abgeordneten wurde kritisiert, dass die Abstriche bei den Sozialleistungen übermässig harsch seien, und der Arbeitsminister Iain Duncan Smith trat aus Protest zurück. Osborne musste zurückrudern, und jetzt klafft im Haushaltsplan ein milliardenschweres Loch.

Zwei Wochen später gab der indische Stahlkonzern Tata bekannt, seine britischen Werke verkaufen zu wollen, und auf einmal waren Zehntausende Arbeitsplätze im Industriesektor gefährdet. Auch in dieser Angelegenheit fiel die Antwort der Regierung dürftig aus: Wirtschaftsminister Sajid Javid versprach, «alles zu tun», um die Werke zu retten und einen Käufer zu finden.

Doch das Versprechen klang hohl, zumal kurz darauf bekannt wurde, dass sich die britische Regierung gegen EU-weite Zölle auf chinesisches Stahl gestemmt hatte – billige Importe aus China sind einer der Hauptgründe für die Krise der britischen Stahlindustrie. Indem die oppositionelle Labour-Partei entschlossener reagierte – der Parteivorsitzende Jeremy Corbyn forderte die Einberufung des Parlaments, und der Schattenfinanzminister John McDonnell legte einen Vier-Punkte-Plan zur Rettung der Stahlwerke vor – vermochte sie die Regierung blosszustellen.

Untersuchung gefordert

Die Panama Papers haben den Ruf der konservativen Regierung als eine wirklichkeitsferne Clique nochmal vestärkt. Die Veröffentlichung der Dokumente bestätige ein Gefühl, das viele Britinnen und Briten hätten, sagte Jeremy Corbyn: «Ein Gesetz für die Reichen, und ein Gesetz für alle anderen.» Er forderte eine umfassende Untersuchung zu den Enthüllungen der Panama Papers und eine stärkere Kontrolle der britisch kontrollierten Schattenfinanzzentren wie Jersey, die British Virgin Islands oder der Bahamas.

Die Anti-Establishment-Stimmung könnte auch international Konsequenzen haben: Für die EU-Befürworter in allen Parteien ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Premierminister bis zum Referendum am 23. Juni eine überzeugende Figur macht. Wenn er in den Augen der Öffentlichkeit als unaufrichtig und unglaubwürdig daherkommt, wird die Hand der EU-Gegner gestärkt. Laut Umfragen hat das Lager der Brexit-Anhänger in den vergangenen Wochen zugelegt, alles deutet auf eine überaus knappe Abstimmung hin.

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