Choreographin Helena Waldmann: «Die Näherinnen in Bangladesch sind stolz auf ihre Arbeit»

Mit «Made in Bangladesh» erzählt die Tanzchoreografin Helena Waldmann von den Zuständen in der asiatischen Textilproduktion. Das Bild ist vielschichtiger als es im Westen scheint. Ein Gespräch.

Ist das noch Kathak? Helena Waldmann verwendet einen 700 Jahre alten Tanz aus Indien, um eine Geschichte über Globalisierung zu erzählen. (Bild: Georgia Foulkes-Taylor)

Mit «Made in Bangladesh» erzählt die Tanzchoreografin Helena Waldmann von den Zuständen in der asiatischen Textilproduktion. Das Bild ist vielschichtiger als es im Westen scheint. Ein Gespräch.

Frau Waldmann, «Made in Bangladesh» ist ein Satz mit negativer Konnotation, den man auf Etiketten in Textilien findet. Was verbinden Sie mit ihm?

Ausbeutung. Punkt. Wenn man weiterreden will: Nichtwertschätzung der Keidungsstücke und der Menschen, die sie herstellen.

Das ist bitter.

Ja. Doch die Bangladeshi sehen das anders. Die Näherinnen, in deren Fabrik wir gearbeitet haben, sind stolz. Als ich ihnen sagte, dass ich ihre Ware nicht kaufen würde, waren sie enttäuscht. Ihrem Chef sagen sie: Tu was, damit die Leute unsere Kleider kaufen. Und ihre Message an uns lautet: Bitte boykottiert uns nicht! Bis zur Textilindustrie standen die Frauen in Bangladesch am Rande der Gesellschaft. Jetzt sind 80 Prozent der Angestellten in der Textilbranche Frauen. Nun sind sie es, die ihrem Mann ein Moped kaufen.

Ändert sich damit auch das Rollenbild der Frau?

Das ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall ist das Stadtbild in Dhaka geprägt von Frauen. Das ist ein positiver Aspekt.

In Ihrer Inszenierung sagt eine Tänzerin den Satz: «Wir sind glücklich, Teil einer kapitalistischen Gesellschaft zu sein und ein zunehmend unabhängiges Leben zu führen.» – Das ist also keine Ironie?

Nein. Als ich das hörte, bin ich fast vom Stuhl gefallen. Sie arbeiten an sechs Tagen die Woche 10 bis 18 Stunden – wie kann man da von Unabhängigkeit sprechen? Wenn man aber an die ländliche Herkunft denkt, an die Kontrolle durch die Familie, ist das bereits unabhängig. Ein Mädchen kann dort keinen Schritt machen, ohne dass Mutter oder Tante dabei sind. Und das Patriarchat ist stark. Wenn eine junge Frau an die Uni geht, dann nicht für die Ausbildung, sondern um anschliessend eine gute Partie zu machen.

Helena Waldmann
Geboren 1962 in Bayern, führt in ihren Arbeiten Theater und Tanz, Video und Musik zusammen. Für ihre Themen fährt sie um die ganze Welt. Mit «Made in Bangladesh» hat sie die Näherinnen einer Textilfabrik in Dhaka porträtiert. Die Videoaufnahmen davon kombiniert sie live mit dem Kathaktanz, der im 13. Jahrhundert in Indien entstanden ist – so, wie die Nadeln der Näherinnen in den Stoff rattern, treten die Füsse der Tänzer rhythmisch den Boden. Grosse Beachtung erhielt Waldmann für «Letters from Tentland», eine Performance mit iranischen Frauen. Sie lebt in Berlin.
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Eingangs sprachen Sie von Ausbeutung.

Das ist auch so. Die Aktivistin Nazma Akter, mit der wir zusammengearbeitet haben, benennt das Problem: Der Profit kommt vor den Menschen.

Sollen wir denn diese Produkte kaufen?

Wir müssen die Menge überdenken. Wir glauben, weil es drei Euro kostet, ist es nichts wert. Die permanente Gier nach dem Neuen ist das Problem. In der Kunst ist es ähnlich. Daher habe ich in der Inszenierung eine Spiegelung der Kunstszene im Westen gewagt. Wir müssen Uraufführungen raushauen bis zum Gehtnichtmehr. Wenn die Intendanten keine Uraufführung haben, gibt es keine Presse und das Publikum bleibt weg. Dann ist die Platzausnutzung nicht gesichert – schon dieses Wort! – und bald ist der Intendant seinen Job los. Aber warum muss ein gut getanztes Stück nach spätestens einem Jahr abdanken?

Was hat Tanz mit Textilproduktion zu tun?

Mir geht es darum, Tanzstücke zu machen, die gesellschaftspolitische Relevanz haben.

Tanz funktioniert über Bewegung. Wie erzählt man damit Verhältnisse und Geschichten?

Ich bezeichne meine Arbeit eher als Tanzregie. Neben dem Tanz gibt es Videokunst und Musik, durch die man den physischen Druck spürt. Auch der Kathaktanz transportiert ihn. Er ist ein sehr vertikaler Tanz, die Tänzer hämmern regelrecht in den Boden, sehr perkussiv. Man versteht sofort, dass ihre Füsse wie die Nadeln der Nähmaschinen sind.

Helena Waldmann

Helena Waldmann (Bild: Tina Ruisinger)

Mit Kathak wurden ursprünglich hinduistische Mythen illustriert, später wurde er zum höfischen Tanz mit weltlichen Themen. Wie kann man mit dieser alten Form eine Geschichte über die globalisierte Welt erzählen?

Ältere Menschen in Dhaka sagen, das kann man nicht machen. Ich arbeite aber mit jungen Leuten und dekonstruiere den Tanz, wenn man es so nennen will, ich nehme den Speck weg. Ich bin gespannt auf die Reaktionen in Indien. Die älteste meiner Tänzerinnen ist 40 und auch die berühmteste. Sie sagte bei der Arbeit häufig, das sei kein richtiger Kathak. Und das beschäftigt sie. Aber ich habe sie zu nichts gezwungen.

Doch warum der alte Tanz?

Ich sehe in Indien und Bangladesh viele Tänzer, die versuchen, unsere Tanzstile zu kopieren. Sie haben selbst unglaublich tolle Tanzsprachen, an die sie aber nicht mehr glauben. Oder sie machen Fusion, was aber meistens schwach ist. Ich glaube, ich konnte ihnen zeigen, dass sie diesen uralten Tanz für moderne Aufführungen verwenden können.

«Not macht wendig, auch auf der Bühne.»

Nochmals zum Thema Ihrer Arbeit: Was machen Unterdrückung und Ausnutzung mit Menschen?

Die Unterdrückung war vor allem in «Letters from Tentland» ein grosses Thema, einem Stück, das Iranerinnen performt haben. Wenn die Unterdrückung derart stark ist, entsteht eine grosse Kraft, die sich mit Vehemenz auf der Bühne zeigt. Dort können Sachen gesagt werden, die sonst tabu sind. Not macht wendig, auch auf der Bühne. In Bangladesch ist die Unterdrückung weniger stark. Die Tänzer, denen es noch schlechter geht als den Näherinnen, hatten das Thema gar nicht auf dem Schirm. Ich musste sie in die Fabrik führen und lange zuhören lassen, bis sie überhaupt begriffen haben, worum es geht.

Sind Sie bei den Fabrikbesitzern auf Widerstand gestossen?

Die Fabrik, in der ich war, ist relativ human. Die Besitzer sind nicht immer die Ausbeuterschweine. Es gibt sehr verschiedene Seiten. Mein Fabrikbesitzer steht selbst unter wahnsinnigem Druck. Er will die endlosen Arbeitszeiten seiner Angestellten nicht. Doch wenn die Arbeit bis zum Auslauf des Frachtschiffs nicht fertig ist, bekommt er hohe Strafen. Tschibo hat auf diesem Weg eine Fabrik in den Bankrott getrieben.

Bei wem liegt die Schuld?

Genau das will ich nicht sagen. Die Kette ist lang und die Schuld verteilt sich auf alle Beteiligten, selbst auf die Näher. Ähnlich ist es bei den Künstlern im Westen. Ich frage sie: Warum lest ihr die Verträge nicht? Warum seid ihr nicht in einer Gewerkschaft organisiert? Warum schluckt ihr das alles? Das geht hoch bis zum Staat. Nach 45-jähriger Einzahlung in die Künstlersozialkasse bekommt man in Deutschland monatlich 445 Euro. Das ist vorprogrammierte Altersarmut. Ich selbst bin in dieser Schleife gefangen.

Hinter Ihrer Arbeit steckt die These, dass Unterdrücker wie Unterdrückte weltweit dasselbe System der Leistungsgesellschaft transportieren, obwohl auch die Gutsituierten damit nicht glücklich werden. Warum machen die Menschen das?

Ich glaube, dass es für den Menschen wahnsinnig schwierig ist, sich über sich selbst zu definieren, statt über seine Arbeit.

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Made in Bangladesh: Dienstag, 9. Dezember, 20 Uhr, Burghof Lörrach

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