Zep, alias Philippe Chappuis, ist der Vater der Comicfigur Titeuf. In den Geschichten um den heranwachsenden Jungen geht es ganz schön freizügig zu und her. Warum der Comic-Autor genau das wichtig findet und warum der Kühlschrank für ihn wie der Louvre war, erzählt er im Interview.
Sei es aus dem Fernsehen, aus der kindlichen Abendlektüre oder gar aus dem Französischunterricht – den frechen Jungen mit der blonden Tolle kennen fast alle: Titeuf. Der junge Rebell, der seit 25 Jahren pubertiert, ist das Resultat eines zeichnerischen Tagebucheintrags von Philippe Chappuis.
Der 50-jährige Genfer gehört zu den international erfolgreichsten Schweizer Comic-Autoren. Mit Titeuf brachte er in den 1990ern die französische Gesellschaft in Aufruhr. Im Cartoonmuseum Basel sind derzeit Titeufs Abenteuer wie auch weniger bekannte Arbeiten von Philippe Chappuis zu sehen – ein guter Grund, ihn zu treffen.
«Vous voulez un Praliné?», fragt der Zeichner, ganz entspannt. Charme français, könnte man meinen.
Ich muss ehrlich sein, Herr Chappuis: Ich wusste nicht, dass Sie Schweizer sind. Ich dachte, Sie sind Franzose oder Belgier. Wie können Sie das erklären?
Soll ich Ihnen erklären, warum ich Schweizer bin? (lacht)
Wenn Sie möchten.
Nein, Spass beiseite. Meine Bücher werden in Frankreich herausgegeben, deshalb assoziiert man mich eher mit Frankreich.
Also ist es als Comic-Autor in Frankreich einfacher als in der Schweiz?
Ja und nein. In Frankreich und in Belgien ist der Comic zwar verbreiteter, aber es gibt dort auch eine grössere Konkurrenz. Ich habe meine Comics jahrelang an französische und belgische Verleger geschickt und man hat mich nie engagiert. In der Schweiz gibt es nur wenig Comic-Verleger. Dabei ist Genf die Ursprungsstadt des Comics: Der erste Comic-Autor der Geschichte war Rodolphe Töpffer, er lebte während des 18. Jahrhunderts in Genf. Ich habe zweihundert Meter von seinem Wohnort in Genf gewohnt.
Zep und sein Doppelgänger im Cartoonmuseum Basel. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Haben Sie deshalb angefangen, sich für Comics zu interessieren?
Nein, eigentlich nicht. Ich habe als Kind angefangen, Comics zu zeichnen, und erst später erfahren, dass Rodolphe Töpffer der erste Comic-Autor war.
Wie wurde denn Ihr Interesse für das Zeichnen geweckt?
Ich habe, wie alle Kinder, sehr viel gezeichnet. Im Alter von sechs oder sieben Jahren zeichnete ich ein Porträt meines Onkels. Meine Eltern fanden, dass es ihm sehr ähnlich sah, und haben das Bild in der Küche an den Kühlschrank gehängt. Für ein Kind ist das, als würde sein Bild im Louvre aufgehängt. Plötzlich sagte ich mir: Ich bin Zeichner. Als ich zwölf Jahre alt war, wurden erste Zeichnungen von mir in der Presse veröffentlicht.
Und wie kommt es, dass Sie heute einer der erfolgreichsten Comic-Zeichner der Schweiz sind?
Am Anfang war es sehr schwierig. Ich arbeitete an vielen Projekten, aber nichts hat so wirklich funktioniert. Ich habe dann angefangen, in einem Tagebuch Szenen meiner Kindheit zu zeichnen – das war der Anfang von Titeuf. Ich habe sehr frei gezeichnet, denn die Zeichnungen waren nur für mich. Meine Freunde fanden es aber genial und meinten, ich müsse das unbedingt irgendwo präsentieren. Ich begann, meine Zeichnungen in einem Magazin für Comic-Fans zu publizieren, und war in diesem Rahmen sehr erfolgreich. 1993 sah ein Verleger aus Paris zufällig meine Zeichnungen in diesem Magazin, hat mich angerufen und gesagt, er könne ein Buch daraus machen. Das war ein riesiger Glücksfall, denn von dem Magazin gab es nur hundert Exemplare.
Haben Sie diesen Erfolg erwartet?
Man hofft immer. Aber das Ganze hat meine Hoffnungen überstiegen. Ich hätte nie erwartet, dass ich 25 Jahre lang dieselbe Figur zeichne.
Der Titel der Ausstellung im Cartoonmuseum Basel «dr. Zep und mr. Titeuf» ist eine Anspielung auf den Doppelgänger-Roman «Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde» von Robert Louis Stevenson. Ist Titeuf Ihr Doppelgänger?
Ja, er ist mein Doppelgänger. Aber in Stevensons Roman ist es furchterregend, bei mir ist es weniger schlimm – ich bin froh um meinen Wandel.
Sind die Geschichten autobiografisch?
Am Anfang war es wirklich autobiografisch und später wurde es eine Verbindung zu meiner Kindheit.
Können Sie ein Beispiel einer autobiografischen Sequenz aus Titeuf nennen?
Da gibt es viele. In einer Geschichte im ersten Album trägt Titeuf Hosenträger und seine Freunde machen sich über ihn lustig. Seine Eltern sagen ihm aber, das sei sehr nützlich, weil die Hose von der Erdanziehungskraft angezogen werde und durch die Hosenträger nicht runterrutschen würden. Er schneidet darauf die Hosenträger ab, um zu schauen, ob seine Hose dann wirklich von der Erdanziehung angezogen wird. Das tut sie nicht und er verkündet seinen Eltern stolz, dass sich seine Hose der Erdanziehungskraft widersetzt. Dafür wird er dann bestraft. Genau das ist mir als Kind so auch passiert.
Waren Sie Titeuf ähnlich, als Sie klein waren?
Ich war schüchterner. Oft macht Titeuf Dinge, die ich gerne gemacht hätte, mich aber damals nicht traute.
Waren Sie blond?
Nein. Und ich hatte auch keine blonde Tolle, wie sie Titeuf trägt.
Und Titeufs Freunde – gab es die wirklich?
Ja, viele gab es wirklich. Manu war mein bester Freund, und Tanja gab es auch.
Wissen diese Freunde, dass sie in Titeuf vorkommen?
Ja, das wissen die. Auch meine ehemalige Lehrerin war sehr besorgt und wollte wissen, ob sie die alte Dame im Comic sei.
Und – ist sie es?
Nein, nein! Naja doch, irgendwie schon, denn für mich war es eine alte Dame. Aber sie war damals 30 Jahre alt. Wenn man selbst acht Jahre alt ist, dann ist eine 30-jährige Person alt.
Woher kommt eigentlich der Name Titeuf?
Es bedeutet nichts. Ich habe mir überlegt, dass er einen Eierkopf hat – deshalb das «euf» am Schluss (vom Französischen œuf = Ei).
Zep: «Ich wollte in meinen Büchern von der Sexualität wieder als etwas Fröhliches sprechen.» (Bild: Alexander Preobrajenski)
Die Sexualität ist in all Ihren Zeichnungen ein grosses Thema. Manche Schulen haben Titeuf sogar für die sexuelle Aufklärung benutzt. War das in Ihrem Sinne?
Die Sexualität war in meiner Kindheit ein wichtiges Diskussionsthema. Nicht unbedingt, weil wir davon besessen waren, sondern, weil wir besorgt waren. Man hat sich gefragt, was mit einem passieren wird. Man wurde mit pornografischen Bildern konfrontiert und wusste nicht, was das war. Ich wollte dieses Thema in Titeuf behandeln, weil es in der Kinderliteratur allgemein zu wenig thematisiert wird. Dabei ist es sehr wichtig. Als ich Teenager war, kam gerade AIDS als Thema auf. Plötzlich wurde die Sexualität mit dem Tod in Verbindung gesetzt. Ich wollte in meinen Büchern von der Sexualität wieder als etwas Fröhliches sprechen.
Sie haben Titeuf also nicht spezifisch für Kinder gezeichnet?
Nein. Ich habe Titeuf gezeichnet, um über Kindheit allgemein zu sprechen. Als ich anfing, Titeuf zu zeichnen, wusste ich gar nicht, ob das jemand lesen würde. Titeuf ist bei Glénat erschienen, das ist ein Comic-Verleger, der sich eher an Erwachsene richtet. Aber die Kinder haben entschieden, das Buch zu lesen. Wäre Titeuf in einem Verlag erschienen, der sich auf Kinderliteratur spezialisiert, hätte man viele Seiten zensiert. Aber Kinder mochten den Comic, gerade weil er ehrlich ist. Wenn ich zeichne, nehme ich nicht die Haltung eines Erziehers ein, sondern bin in der Rolle des Kindes. Ich bin in diesen Situationen Titeuf. Ich nehme dann sogar physisch eine andere Haltung ein. (lacht)
Die Geschichten um Titeuf sind ziemlich direkt.
Ja, das kann manchmal auch hart sein. Aber oft blendet man in der Gegenwart von Kindern bestimmte Themen aus. Titeuf beinhaltet auch viele Fragen zur Gesellschaft, zur Arbeitslosigkeit, zum Tod und zu Krankheiten.
Gab es Eltern, die Angst hatten, ihre Kinder mit diesen Themen zu konfrontieren?
Natürlich. In Frankreich gab es ganze Ligen, die Titeuf verbieten wollten. Ende der 90er gab es eine öffentliche Debatte: Für oder gegen Titeuf.
«Le Monde» schrieb 2009, dass Sie sich vom Autor zu einem Gesellschaftsphänomen entwickelt haben. Wie finden Sie das?
Das ist cool. Aber dafür habe ich nichts gemacht. Es gab damals diejenigen, die mich ins Gefängnis bringen, und diejenigen, die mich im Louvre sehen wollten. In französischen Medien wird nicht viel über Comics gesprochen. Aber plötzlich wurde der Comic beleuchtet, und für einen Autor ist das super, weil so ein sehr breites Publikum angesprochen wird.
Gab es Momente, in denen Sie Lust hatten, andere Figuren zu zeichnen, aber von Titeuf blockiert waren?
Ja, die Momente gab es. Ich muss ab und zu auch andere Figuren zeichnen können. Ausserdem bin ich in der Zwischenzeit Vater geworden und meine Vorstellung von Kindheit hat sich verändert. Aber Titeuf bleibt.
Ist Titeuf unsterblich?
Für mich ist eine Comic-Figur an ihren Autor gebunden. Er ist nicht unsterblich, weil ich nicht unsterblich bin.
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«dr. Zep & mr. Titeuf», Cartoonmuseum Basel, 26. November 2016 bis 23. April 2017.