Rico Baldessari arbeitet seit 16 Jahren als Fernfahrer. Er sagt, weshalb er trotz harter Arbeit das Gefühl der Freiheit empfindet – und weshalb ihn manchmal das Heimweh plagt.
Wenn alles gut läuft, so dachte Rico Baldessari, würde er am Dienstagabend bei seiner Familie zu Hause in Birsfelden sein. Doch er täuschte sich. Sein Arbeitgeber, ein Glarner Transportunternehmer, hatte andere Pläne. Er habe noch eine dringende Fuhre von Luzern nach Deutschland, meldete er ihm auf seinem Weg von Spanien zurück in die Schweiz. Also verbrachte Rico eine weitere Nacht statt im Bett im Cockpit seines Lastwagens, diesmal auf einem Parkplatz bei Murten.
Seit zehn Tagen ist er nun unterwegs, zunächst von Birsfelden nach Bilten, wo er die Lieferadresse in Empfang nahm, dann nach Schönenwerd im Aargau zum Aufladen und von da gings Richtung Spanien. In Cadiz im südlichen Spanien wurden die Maschinenteile aus der Schweiz ausgeladen, und Rico machte sich wieder auf den Weg in seine Heimat.
Heimat? Sicher, er ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen, hat hier seine Wurzeln. Er hat zusammen mit seiner Frau und seiner 10-jährigen Tochter Wohnsitz in Birsfelden, aber genau genommen, sagt der 40-Jährige, sei er heimatlos. «Das wäre ich jedenfalls, wenn ich meine Familie nicht hätte.»
Immer im Kreis, immer die selbe Strecke
Rico Baldessari ist Fernfahrer. Seit 16 Jahren, mit vier Jahren Unterbruch. Vier Jahre, in denen er der geregelten Arbeitszeiten wegen als Busfahrer bei den BVB und bei der Autobus AG arbeitete. Doch es lag ihm nicht wirklich. «Im Kreis rumzufahren, immer die gleichen Strecken und immer unter Leuten zu sein – ich vermisste die Fernfahrerei.» Er wollte zurück. Seine Frau war einverstanden, nicht begeistert zwar, aber sie wollte lieber einen zufriedenen Mann als einen unglücklichen. Das Okay seiner Frau war für Rico entscheidend. Und er konnte sofort wieder bei seinem früheren Arbeitgeber einsteigen.
Seither ist Rico Baldessari wieder auf den Strassen Europas – in Polen, Russland, Spanien, Holland, Deutschland, England und und und. «In all den Jahren habe ich bestimmt 25 Länder bereist und so sehr viele unterschiedliche Mentalitäten kennengelernt.»
Dort, wo die Familie ist
Auch wenn er jeweils nur für kurze Zeit in einem Land ist, beim Auf- und Abladen arbeitet er mit den Einheimischen zusammen, er meide auch die Raststätten auf den Autobahnen, esse lieber in Lokalen abseits der grossen Routen. Er fährt ohne Navigationsgerät, orientiert sich stattdessen an Karten, muss auch einmal jemanden nach dem Weg fragen. «Ich versuche immer, mich in der Sprache des jeweiligen Landes zu unterhalten.» Französisch, Spanisch, Englisch – damit gehe es recht gut, schwieriger seis in den Ostblockländern, wo viele kein Englisch verstehen. «Dann helfe ich mir halt mit der Zeichensprache, rede mit Händen und Füssen.»
Das alles – die Reisen, das Fremde, das immer wieder Neue – gibt Rico das Gefühl der «grenzenlosen Freiheit, der Unabhängigkeit», das er so liebt. Aber manchmal, da packt ihn das Heimweh. Nach seiner Familie, nicht nach einem bestimmten Ort. Denn Heimat kann für Rico überall sein, Heimat sei für ihn da, wo er sich wohlfühle. Und das ist dort, sagt er, wo meine Frau und meine Tochter sind.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.09.12