Bilder von missgebildeten Babys haben das Zika-Virus weltweit zum Thema werden lassen. Wie gefährlich ist Zika wirklich und was hat die Epidemie in Südamerika mit uns zu tun? Wir haben den Reisemediziner Christoph Hatz gefragt.
Das Reisemedizinische Zentrum am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (TPH) in Basel ist Anlaufstelle Nummer eins für Menschen, die in tropische Länder reisen wollen oder kränkelnd von einer solchen Reise zurückkehren. Die weltweite Aufregung um das Zika-Virus und die Epidemie in Südamerika hat sich auch in Basel niedergeschlagen. Wir trafen Christoph Hatz, Chefarzt im TPH, zum Interview.
Herr Hatz, ist Zika ein grosses Thema in Ihren reisemedizinischen Sprechstunden?
Sehr sogar. Wir sind zu viert und beschäftigen uns jetzt seit ungefähr zwei Wochen sehr intensiv und fast ausschliesslich damit. Die Beratungen finden hier vor Ort und am Telefon statt. Daneben erhalten wir viele E-Mails, aus rechtlichen Gründen geben wir per Mail aber keine Auskunft. Die Gefahr für Missverständnisse ist einfach zu gross.
Was sagen Sie den Menschen, die bei Ihnen Rat suchen?
Viele Leute haben Angst und reagieren völlig übertrieben, etwa indem sie meinen, in Brasilien jeden Körperkontakt vermeiden zu müssen. Wir versuchen, pragmatische Ratschläge zu geben und die Menschen zwar zu beruhigen, ihnen jedoch trotzdem zu Vorsicht zu raten.
Seit ein paar Wochen ist das Zika-Virus medial sehr präsent. Jeder hat wohl die Fotos mit den missgebildeten Babys gesehen. Gleichzeitig scheint Zika ein relativ harmloses Virus zu sein. Was stimmt jetzt?
Zika ist ein sogenanntes Flavivirus. Die unterscheiden sich stark in ihrer Gefährlichkeit. Das Gelbfieber etwa verläuft oft tödlich, andere dagegen sind komplett harmlos. Da es gegen die schlimmsten Flaviviren heute Impfungen gibt, sind etwa Gelbfieber oder die Japanische Enzephalitis bei Reisenden kaum noch ein Thema. Das Zika-Virus ist schon länger bekannt. Wir hatten vor einigen Jahren sogar schon einen Patienten. Er hatte etwas Fieber und Kopfschmerzen, war aber nach ein paar Tagen wieder gesund.
Und von den Mikrozephalien wusste man damals noch nichts?
Bei den früheren Epidemien waren rückblickend die Fallzahlen wohl zu klein. So ist dieser – vermutete – Zusammenhang damals nicht aufgefallen. Normalerweise treten Mikrozephalien bei 0,5 bis 2 von 10’000 Geburten auf. In Brasilien scheint diese Zahl jetzt um ein 20-Faches höher zu liegen. Wobei noch nicht abschliessend geklärt ist, wie genau diese Messungen tatsächlich sind. Es gibt sicher irgendeinen Zusammenhang von Zika und Mikrozephalie. Nun gilt es sorgfältig abzuklären, worin dieser Zusammenhang genau besteht.
Bis vor wenigen Wochen war Zika kaum jemandem ein Begriff. Heute ist das Virus jeden Tag in den Medien. Was ist passiert?
Ich sehe zwei Hauptursachen. Das Virus ist tatsächlich neu in Südamerika, weswegen es sich sehr schnell ausbreiten konnte. Und dann sind die Bilder von den missgebildeten Neugeborenen halt sehr berührend. Das hat die mediale Aufmerksamkeit garantiert befördert. Beim Chikungunya-Virus etwa, das eine ganz ähnliche Epidemie ausgelöst hatte, kam es bei vielen Infizierten monatelang zu schweren Gelenkschmerzen. Diese Patienten waren in ihrem Leben stark eingeschränkt. Das hat aber damals nicht für grosses Echo gesorgt, weil es medial nicht gleich interessant ist wie die Mikrozephalie. Das Gleiche gilt für das Guillain-Barré-Syndrom, auch «aufsteigende Lähmung» genannt. Eine Erkrankung, von der schon länger bekannt ist, dass sie durch Zika ausgelöst werden kann.
Solche Bilder liessen das Zika-Virus weltweit zum Thema werden. Forscher vermuten einen Zusammenhang zwischen Zika und der Mikrozephalie. Bei Neugeborenen mit diesem Geburtsdefekt ist der Kopf deutlich kleiner als üblich, was zu einer unterschiedlich ausgeprägten geistigen Behinderung führt. (Bild: REUTERS/Nacho Doce)
Könnten genveränderte Moskitos der Grund sein für die Häufung von Mikrozephalie, wie vor allem in alternativen Medien gemutmasst wird?
Diese genveränderten Mücken wurden ausgesetzt, um die Mückenpopulation und damit das Denguefieber einzudämmen. Die gleichen Leute, die gegen das Aussetzen von genveränderten Mücken sind, sind auch gegen den Einsatz von Insektiziden. Jetzt muss man sich fragen, was besser ist: Die Umwelt zu verpesten oder Mücken auszusetzen? Ich halte es für ausgeschlossen, dass sich das Zika-Virus wegen dieser Mücken verändert hat. Zika scheint sich seit den letzten Epidemien in Französisch-Polynesien kaum verändert zu haben. Auch dort wurden rückblickend erhöhte Fallzahlen von Mikrozephalie festgestellt.
Das Zika-Virus breitet sich über die Mücken sehr schnell aus. Wird es dadurch gefährlicher?
Nur insofern, als sich die Anzahl infizierter Personen dadurch erhöht und folglich auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es schwangere Frauen trifft. Das macht Zika zu einem grossen Problem. Ich bin deshalb auch froh, dass die Regierungen Brasiliens und der USA sich finanziell stark engagieren, um Zika einzudämmen. Ohne Geld ist gerade die aufwendige epidemiologische Forschung vor Ort kaum durchzuführen.
Das Wissen über Zika ist noch recht spärlich. Die Politiker in Brasilien reagierten einigermassen hilflos, indem sie Frauen dazu aufriefen, jetzt erst einmal «ein paar Monate nicht schwanger zu werden».
So absurd ist dieser Aufruf gar nicht. Während wir heute nämlich davon ausgehen, dass Zika auch sexuell übertragen werden kann, wissen wir nicht, wie lange das Virus im Sperma ansteckend bleibt. Diese Unsicherheit verleitet manche Leute natürlich zu vermeintlich einfachen, knallharten Lösungen.
Was sagen Sie denn zu Frauen, die Ihren Rat suchen?
Frauen, die schwanger werden wollen und ins Epidemiegebiet reisen, raten wir, die Verhütung während der Reise und bis zwei Zyklen nach der Rückkehr aufrechtzuerhalten. Die meisten Frauen sind froh um einen praktischen Rat und reagieren sehr pragmatisch.
Zika wird unter anderem von Tigermücken übertragen. Eine Mückenart, die es auch schon im Tessin und rund um Freiburg im Breisgau gibt. Müssen wir uns in der Schweiz auf eine mögliche Epidemie einstellen?
Es gibt im Tessin zwar Tigermücken, dabei handelt es sich aber um eine andere Art als bei der Mücke, die in Lateinamerika die meisten Übertragungen verursacht. In Südfrankreich gab es jedoch bereits Fälle, in denen die Tigermücken das Denguefieber übertragen haben. In Italien haben sie sogar eine Epidemie des Chikungunya-Fiebers verursacht. Ganz generell kann es in der Schweiz jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu einer Ansteckung kommen, dafür ist es noch zu kalt. Es gibt ja noch gar keine Mücken. Im Sommer wäre es zwar theoretisch möglich, sollten dann immer noch infizierte Patienten von Reisen in die Schweiz zurückkehren. Da das Zika-Virus jedoch nur sehr kurz im Blut bleibt, halte ich auch schon einzelne Ansteckungen für sehr unwahrscheinlich. Und zu einer Epidemie wird es in der Schweiz schon gar nicht kommen.
Diese Mücke (aedes aegypti) ist für die meisten Ansteckungen in Südamerika verantwortlich. Eine verwandte Art, die aedes albopictus, gibt es auch in der Schweiz, namentlich im Tessin. (Bild: REUTERS/Carlos Jasso)