Das böse Kopftuch

Zuhause hört sie feinen Pop, doch nachts wirft sich das Vampirmädchen den Tschador über und räumt Männer aus dem Weg. «A Girl Walks Home Alone At Night» der iranstämmigen Regisseurin Ana Lily Amirpour ist ein stilsicheres, konsequent uneindeutiges Kinodebüt. Zu sehen im Stadtkino Basel.

Ganz schön bissig: Eine Vampirin im Tschador.

Zuhause hört sie feinen Pop, doch nachts wirft sich das Vampirmädchen den Tschador über und räumt Männer aus dem Weg. «A Girl Walks Home Alone At Night» der iranstämmigen Regisseurin Ana Lily Amirpour ist ein stilsicheres, konsequent uneindeutiges Kinodebüt. Zu sehen im Stadtkino Basel.

Die Strassen sind oft leer in dieser Stadt, der Tag fern, das Schweigen lange. Das ist gut so, denn für diesen Film braucht man Raum zum Grübeln. Zum Beispiel über die Frage, woher immer dieser tolle Sound scheppert. Oder ob die Story unterschwellig fundamentalistisch oder doch progressiv ist. Und ob Vampire sich verknallen können. Letzteres hat – zumindest fürs Teenager-Kino – die «Twilight»-Serie in den letzten Jahren beantwortet: Sie können.

«A Girl Walks Home Alone At Night», das Spielfilmdebüt der jungen Regisseurin Ana Lily Amirpour, orientiert sich aber eher an anderen Gattungen als der Liebesschmonzette: dem Film Noir, dem Spaghetti-Western, der urbanen Dystopie. Und an Jim Jarmusch, dem frühen wie dem späten.

Jarmusch begann ebenfalls mit dialogarmem Zeitlupenkino in Schwarz-Weiss und drehte zuletzt mit «Only Lovers Left Alive» einen Vampirfilm, in dem die buchstäblich ewig Liebenden mit der modernen Welt nur noch schlecht zurechtkommen. 

Befreiung von den verkommenen Männern

Von der melancholisch-romantischen Aura, die die Figur des Vampirs seit Bram Stoker umgibt, ist bei Amirpour hingegen nichts übrig geblieben. Zwar bahnt sich auch in «A Girl Walks Home Alone At Night» eine Spur von Zärtlichkeit zwischen der blutsaugenden, namenlosen Hauptfigur und dem ahnungslosen James-Dean-Verschnitt hinter dem Steuer eines 57er Ford Thunderbird an, aber ansonsten hält der Film kaum Botschaften der Hoffnung bereit.

Bad City heisst die trübe Stadt. In ihren verlassenen Strassen treffen sich einzig Zuhälter, Prostituierte und Junkies, die nichts als Demütigungen und Verbitterung füreinander übrig haben. Zumindest solange, bis das Vampirmädchen aus dem Schatten auftaucht, die Frauen von den verkommenen Männern per Biss befreit und deren Leichen in eine Grube vor der Stadt wirft. Ein Revenge-Plot, eine feministische Gothic-Fiction offenbar. Wenn da nicht dieser Tschador wäre.

Hier unterdrückt eine Frau die Männer

Es ist dieser schwarze Stoff, den iranische Frauen seit der islamischen Revolution 1979 in der Öffentlichkeit jenes Gottesstaates tragen müssen, dem Amirpours Film seinen verschachtelten Charakter verdankt. Amirpour, obschon in England geboren und in den USA aufgewachsen, hat selbst iranische Wurzeln, ihre Eltern haben den Iran nach der Revolution verlassen, und diese doppelte Prägung verleiht dem Film seine rätselhafte Zweideutigkeit: die Figuren bewegen sich zwar in einer westlichen Umgebung, sprechen jedoch Farsi. Und die junge Vampirin trägt zwar bereitwillig den Tschador, der in westlichen Augen sowohl die Unterdrückung der Frau als auch das Unbehagen vor der Verhüllung symbolisiert, sie dominiert aber die männlichen Figuren – vom kleinen Jungen, den sie auf der Strasse scharf zurechtweist und dem sie das Skateboard abnimmt, bis zu jenen räuberischen Gestalten, die ihren Zähnen zum Opfer fallen. 

Anspielungen auf «Sin City» und «Spiel mir das Lied vom Tod»

Amirpour verhüllt stilistisch bemerkenswert gekonnt, auf welcher Seite ihre Figuren anzusiedeln sind. Das anhaltende Schweigen und die reduzierte Mimik der Darsteller, die kaum zufällig an Sergio Leones Gesichtsmeditationen erinnern, verraten wenig über die Moral der Handelnden. Ästhetisch erinnern Name, Ortlosigkeit und Verkommenheit der fiktiven Bad City an Frank Millers bahnbrechende Graphic Novel «Sin City», ebenfalls ein Werk, in dem Gut und Böse keine Trennlinien mehr kennen. Nicht verwunderlich, dass auch Amirpour ihren Film zuerst als Comic konzipierte. Und selbst die Musik ist stimmig bipolar: Die junge Vampirin im Tschador mag Pop – doch einen, der mehrere Horizonte hat. Der psychedelische Wave-Rock von Radio Tehran, die melancholische Folklore des Iraners Dariush Eghbali oder der Dance-Rock von Kiosk sind einige Beispiele, die stimmungsreich den Soundtrack des Films prägen und dabei gleichzeitig jede kulturkritische Eindeutigkeit vermeiden.

Die politische Aussage des Films lässt Amirpour offen. Ob als feministisches Manifest, das die Insignien der Repression (den Tschador) gegen die Unterdrücker wendet, wie es die «Zeit» bejubelt, oder als anti-westliches Machwerk, das mit der Verkommenheit des Abendlands (Drogen, Prostitution, Obdachlosigkeit) auf eine ähnlich rabiate Weise kurzen Prozess macht wie die schärfsten Fundamentalisten im Gottesstaat, wie die «Welt» grantelt: Amirpours ausbalanciertes Werk erlaubt selbst derart sich widersprechende Wahrnehmungen. Diese Zurückhaltung hält sie konsequent durch, auch dann, als die Vampirin und der Jüngling im flotten Auto davonfahren. Ob sie ihm zuliebe analog zum Märchen von «Twilight» auf ihr blutrünstiges Nachtwerk verzichtet oder ob der Ahnungslose am Ende doch mit ihr das «Böse in die Welt hinausträgt» wie einst beim jungen Polanski? Wir werden es nicht erfahren.

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Der Film läuft mehrmals im Stadtkino Basel, zwischen dem 4. und 18. Juni. 

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