Nein, eine «Lösung» für die Regierungsbildung in Deutschland habe auch ich nicht. Ich kann das, was den Menschen in Deutschland, aber auch in den EU-Staaten und den übrigen europäischen Nachbarstaaten seit Wochen vorgespielt wird, aber kommentieren.
Es dreht sich scheinbar alles darum, dass Frau Merkel einen oder mehrere Koalitionspartner findet, damit sie «vernünftig» weiterregieren kann. Weil eine solche Koalition bisher nicht zu Stande gekommen ist, entwickelt sich nach und nach eine veritable Regierungskrise.
Deutschland wird zwar nach wie vor regiert. Geschäftsführend, wie das genannt wird, amtiert die Grosse Koalition von CDU/CSU und SPD weiter. Aber offensichtlich ohne Programm, ohne Kabinettsdisziplin, ohne Verantwortungsübernahme durch die «geschäftsführende» Bundeskanzlerin Merkel. Dies ist im Verhalten des CSU-Landwirtschaftsministers Christian Schmidt in der Frage eines EU-Verbots des Herbizids Glyphosat schlagartig zum Ausdruck gekommen. In einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung findet sich folgender Abschnitt:
«Hat sie (Frau Merkel) ihm womöglich grünes Licht gegeben? Von der Antwort hängt viel ab: Wenn Merkel am selben Tag, an dem sie der SPD ‹ernsthafte› und ‹redliche› Gespräche über eine Regierungsbildung anbietet, einen Vertrauensbruch in diesem Ausmaß geduldet oder gar veranlasst hätte, könnte den Sozialdemokraten niemand verübeln, wenn ihre Skepsis gegenüber einer Zusammenarbeit mit der Union in endgültige Ablehnung umschlüge. Es wäre allerdings ein Vorgang von so hochgradiger politischer Dummheit, dass es selbst Kritikern schwer fallen dürfte, ihn mit Merkel in Verbindung zu bringen.»
Dass ein Ressortminister einer geschäftsführenden Regierung derart eklatant Klientelpolitik auf Kosten der Gesundheit sehr vieler Menschen – in ganz Europa, man muss das schon betonen – betreibt, ist ein Skandal. Dass die an sich zuständige Umweltministerin von der SPD dabei einfach übergangen wurde, weist darauf hin, dass die unsichere Regierungssituation langsam in eine veritable Regierungskrise hineinschlittern kann.
Bezeichnend ist, dass Merkel den Minister, welcher die Regeln der Regierungsarbeit gebrochen hat, nicht entlassen kann.
Nun: Nach einigen Stunden des Kanzlerinnenschweigens hat sich die Situation insofern geklärt, als Frau Merkel ihren Landwirtschaftsminister öffentlich und für ihre Verhältnisse geradezu deutlich gerügt hat. Für die Situation ihrer Regierungsfähigkeit bezeichnend ist allerdings, dass sie den Minister, welcher die Regeln der Regierungsarbeit vorsätzlich gebrochen hat, um vollendete Tatsachen zu schaffen, die er im Normalfall niemals hätte durchsetzen können, nicht einfach entlassen kann.
Der Grund: Sie könnte, solange sie vom neugewählten Bundestag nicht wiedergewählt worden ist, keinen neuen Landwirtschaftsminister ernennen. Verantwortliches Regierungshandeln sieht insgesamt natürlich anders aus als das, was da «geschäftsführend» produziert wird.
Ganz allgemein betrachtet: Zahlreiche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Deutschland finden es nicht gut, wenn ihre Partei und ihr Parteivorsitzender nun, nachdem man sie vor den letzten Wahlen in grossem Stil kleingeredet hatte – obwohl sie wieder einmal in vielerlei Beziehung betrachtet gute Regierungsarbeit vorzuweisen hatten – in eine neue Merkel-Regierung quasi reingeprügelt werden sollen.
Seit vielen Jahren wird der öffentliche Politikraum Deutschland untergründig vergiftet.
Interessant an diesem sehr «medienspannend»inszenierten Vorgang ist, dass es die gleichen Medienvorsprecher in Deutschland sind, welche vor den letzten Wahlen die SPD kleingeredet und ihren Kanzlerkandidat lächerlich zu machen versucht haben (etwa die gesamten Springer-Medien, etwa die FAZ und so weiter, aber auch TV-Talkveranstalterinnen und -veranstalter). Grell sichtbar wird dabei eine Süffisanz, welche den öffentlichen Politikraum Deutschland seit vielen Jahren untergründig vergiftet.
Darunter verstehe ich zweierlei: Einmal die unmögliche Personalisierung, welche vor allem durch die öffentlich-rechtlichen TV-Talks permanent über das Politische, das heisst über die Inhalte politischer Handlungen, gestülpt wird. Und dann das mediale Hochschwatzen von Pegida, von AfD und von Personen wie Gauland oder Höcke, an deren Lippen gerade «öffentlich-rechtlich» gehangen wird, als seien sie die unbestrittenen Vorbeter «des Volkes».
Das Geschwätz um Lindner
Passenderweise in dieser Personalisierungssucht hat man dann auch jemanden wie den FDP-Vorsitzenden Lindner hochgeredet. Über die konkreten Inhalte dieses Politikers – durchaus auch beliebige rechtspopulistische und vor allem eine unterschwellig verbreitete Anti-EU-Stimmung, um da genau zu sein – wurde kaum diskutiert, schon gar nicht kritisch nachfragend.
Dafür gab es umso mehr Geschwätz darüber, dass Lindner die FDP wieder in den Bundestag bringen würde; und dann, nachdem dies geschehen war, dass er quasi die Schlüsselfigur der Regierungsbildung sei. Dafür typisch: Die Migrationsfragen, welche Lindner vor allem gegenüber den an den gemeinsamen «Sondierungen» beteiligten Grünen plötzlich zu einem Kernanliegen der FDP erhöhte. Da steckte – durchaus durchsichtig – sehr viel Berechnung dahinter, aber keinerlei wirkliche politische Umsetzungssubstanz.
Soll sich die SPD doch innerlich zerfleischen: Spielt keine Rolle, weil nur der Medien-Augenblick zählt.
Aber solcherlei wird momentan nicht weiterdiskutiert. Nun steht die SPD «in der Pflicht». Dies, nachdem die FDP hinter ihrem Herrn Lindner stehend die Regierungsbildung (eine sogenannt «in der Luft liegende», wie die Medien wochenlang unisono formulierten) zerschlagen hat. Inhalte spielen bei diesen Beschwörern der angeblichen Verantwortung der SPD «für Deutschland» vorerst einmal gar keine Rolle. Hauptsache, es kommt zu einer weiteren Regierung Merkel. Soll sich die SPD doch innerlich zerfleischen: Spielt keine Rolle, weil nur der Medien-Augenblick zählt.
Schuld am Desaster der nach acht Wochen abgebrochenen Regierungsbildung ist keineswegs die SPD, sondern in erster Linie die FDP. Und in zweiter Linie ist es die Kleinstpartei (im Rahmen des Gesamtstaates Deutschland) namens CSU mit ihren 6,2 Prozent Wähleranteil. Die CSU operiert immer wieder als Erpresserin, in erster Linie gegen die CDU, der sie deren interne Vielfältigkeit und teilweise Offenheit austreiben möchte.
Schuld ist das «bürgerliche» Deutschland, welches wegen ein paar durchaus bewältigbaren Problemen, wovon eines die Flüchtlingsproblematik darstellt, so tut, als brauche man eine eindimensional aufgestellte und handelnde «Führung». «Führung» ist durchaus notwendig, aber nicht eine Führung hinein in billige rassistisch angehauchte und in (banken)-ökonomische Reinheitspolitik à la Trump.
Merkels CDU alleine wurde – wenn auch mit deutlich unter 30 Prozent Wähleranteil – stärkste Partei im Bundestag.
Tatsächlich kommt Demokratie nicht aus ohne Kompromissbereitschaft, und zwar schlussendlich von allen Beteiligten, konkret von den in den Bundestag Gewählten. Diese Kompromissbereitschaft muss allerdings nicht von allen gleichzeitig in ihren politischen Handlungen manifestiert werden, auch das gehört zu den Regeln demokratischen Regierungs- und Oppositionshandelns.
Die Wahlen vom 24. September 2017 in Deutschland haben deutlich ergeben: Die SPD ist – eigentlich – dem Wählerwillen nach die hauptsächliche Opposition. Eigentlich haben die Wahlen auch ergeben, dass die CSU keineswegs die bestimmende Grösse auf Seiten der CDU/CSU sein dürfte. Und: Merkels CDU alleine wurde – wenn auch mit deutlich unter 30 Prozent Wähleranteil – stärkste Partei im Bundestag. Andererseits: Eine zweifelsfreie «Wiederwahl» Merkels als Kanzlerin war das Wahlergebnis ihrer CDU nun wirklich bei weitem nicht.
Diese Voraussetzungen machen die Regierungsbildung erkennbar kompliziert: Nach dem «Scheitern» von Jamaika muss man neu anfangen, muss sondieren und herausfinden, was passt, was geht, was nicht geht. Schwierig ist dies insofern, als CDU/CSU, FDP und Grüne seit acht Wochen offensichtlichen Leerlauf betrieben haben.
Wofür haben die Grünen denn so viele Grundsätze ihres Wahlprogramms aufgegeben?
Wenn vor allem die Vertreter der Grünen betonen, wie beweglich sie sich doch in diesen Sondierungsgesprächen verhalten haben, wie nahe «man» an einem für sie «schmerzhaften» Kompromiss gelandet sei, kann man diese Leute schon fragen: Wofür habt ihr denn so viele Grundsätze eures Wahlprogramms aufgegeben? Damit ihr endlich regieren könnt? Egal auf welcher Grundlage? Egal, mit welchen konkreten Inhalten in Klima- und Sozialfragen?
Das Verhalten des Landwirtschaftsministers Schmidt in der Glyphosat-Problematik zeigt, welche Schmerzgrenzen nicht den Grünen, sondern der deutschen Bevölkerung insgesamt von Seiten der Kleinstpartei CSU zugemutet werden: Die Wählerstimmen von Landwirten (wohl vor allem von Landwirtschaftsverbänden vermittelte) sind wichtiger als die Gesundheit sehr vieler Menschen.
Solcherlei Klientelismus ergibt zusätzliche Probleme zum etwas schwierigen Wahlergebnis. Aber natürlich sind sie lösbar. Um zu einer einigermassen handlungsfähigen Regierung zu kommen sind, nebst vielen anderen Fragestellungen, die folgenden Aspekte wohl von Bedeutung:
- Wer soll Kanzlerin oder Kanzler der neuen Regierung sein?
- Welche EU-Politik soll von Deutschland betrieben respektive gestärkt werden? Werden Macrons Vorschläge endlich aufgegriffen, oder sollen sie torpediert werden?
- Warum soll das Flüchtlingsproblem und seine zeitgebundene Aktualität derart im Vordergrund einer Regierungsbildung stehen, wie das CSU-Kreise nach wie vor erpresserisch verlangen, wenn man berücksichtigt, dass eine sehr grosse Mehrheit der Wählenden, nämlich deutlich über 75 Prozent, gegen diese Problematik als hauptsächliche politische Frage gestimmt haben? (Anmerkung: Zu dieser Zahl kommt man, wenn man die Wähler jener Parteien, welche diese Frage zum Mittelpunkt ihrer Wahlkampf-Programmatik ernannt haben, nämlich AfD (12,5 %) und CSU (6,2 %) , zusammen also gerade mal 18,7 %, mit den Parteien von CDU über Grüne und SPD bis zu den Linken vergleicht, und wenn man die Stimmen für andere, nicht in den Bundestag gewählten Parteien, berücksichtigt).
- Welche Parteien sollen die Regierung bilden? (Anmerkung dazu: Warum sollen das nicht CDU, SPD und Grüne sein können, ohne die CSU – diese Parteien repräsentieren zusammen immerhin rund 58 Prozent aller Wählerinnen und Wähler).
Wenn schon von «Notstand» und «Krise» geschrieben und geredet wird, dann ist meiner Ansicht nach eine deutliche Qualitätsverbesserung in den deutschen Medieninstitutionen dringend erforderlich. Das heisst: Es sind nicht nur Politikerinnen und Politiker, welche für die politische «Stimmung» verantwortlich sind, sondern beispielsweise auch die journalistisch tätigen Medienleute. Die müssten jetzt auch mal mit Vorschlägen antreten, wie die Krise gelöst werden könnte. Zum Beispiel mit der dringend notwendigen Hinterfragung des Gebildes namens CDU/CSU.
Diskussionen ohne Nennung dieses Gebildes führen erkennbar zu Leerläufen. Warum beginnt nicht endlich eine Diskussion über die viel zu breitgefächerte politische Verhinderungsmacht der CSU? Diese Verhinderungsmacht erzeugt einen grossen Teil des «deutschen Elends».
Um aus der Sackgasse hinauszugelangen, sollte man sie in Frage stellen, was nichts anderes heissen würde, als politische Inhalte in Deutschland und auch in der EU vor innerbayerische Personalquerelen zu stellen.