Passagierrekorde, wachsende Gewinne und ein schmerzhafter Abgang: Beim EuroAirport liegen Erfolg und Niederlage nahe beisammen. Im Interview spricht Direktor Jürg Rämi über den Unterschied zwischen billig und Low Cost und sagt, weshalb es ohne Glück nicht geht.
Beim EuroAirport liegen Erfolg und Rückschläge derzeit nah beieinander. Vor einigen Wochen hat die Swiss ihren Weggang bekannt gegeben. Und während der Flughafen dieses Jahr auf einen neuen Passagierrekord zusteuert, streiten die Schweiz und Frankreich weiterhin darüber, an welches Land die Flughafenunternehmen künftig wie viel Steuern zahlen müssen. Ein Grund für die Begehrlichkeiten dürften die guten Betriebsergebnisse sein: Im vergangenen Jahr konnte der Flughafen seinen Gewinn um einen Drittel auf 21,3 Millionen Euro steigern.
Der Mann hinter diesem Erfolg heisst Jürg Rämi. Aus seinem Büro im fünften Stock geht der Blick weit über den darunterliegenden Flughafen. Während wir uns zum Gespräch an den Tisch setzen, rollt die Swiss-Maschine nach Hamburg mit Flugnummer LX 1038 auf die Startbahn.
Ende Jahr wird die Swiss zum letzten Mal vom EuroAirport starten. Wie gross ist dieser Verlust?
Materiell ist es keiner. Anstelle von den beiden Maschinen der Swiss wird die Eurowings mit zwei bis vier grösseren Flugzeugen an den EuroAirport kommen. Die Lufthansa-Gruppe baut ihre Präsenz in Basel somit aus.
Und emotional?
Emotional ist es ein gewisser Verlust. Ich habe selber jahrzehntelang bei der Swissair gearbeitet. Es ist schade, dass die Swiss im nächsten Jahr nicht mehr hier sein wird, aber diese Entwicklung hat sich abgezeichnet.
Vor vier Jahren schlossen Sie einen Weggang der Swiss noch aus und rechneten mit einem weiteren Ausbau. Was hat sich seither verändert?
Mit der Eurowings gibt es einen Markenwechsel. Der Konzern bleibt aber derselbe, und die Kapazität steigt. Für uns ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Damit schafft Lufthansa hier ein Angebot, das konkurrenzfähig ist. Die Luftfahrt hat sich in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt verändert. Heute sind neue Modelle gefragt, und die Flugzeuge der Swiss mit weniger als hundert Sitzplätzen können leider schlecht mithalten.
Wie berechenbar ist das Aviatik-Business überhaupt noch?
Das Geschäft ist schnelllebig geworden, es ist nicht sehr berechenbar.
Hat diese Dynamik über die vergangenen Jahre zugenommen?
Die Volatilität in diesem Geschäft besteht bereits seit Längerem. Wir hatten die Krise nach dem 11. September 2001. Mit der Ankunft von EasyJet drei Jahre später erlebten wir wieder einen Wachstumsschub, dann kam die Finanzkrise 2008 und seither wachsen wir wieder ziemlich stark. Aber die nächste Zäsur kommt bestimmt. Vielleicht eine Wirtschaftskrise, eine Eurokrise, eine Schuldenkrise oder es kommt etwas von der Sicherheitsfront.
«Die nächste Zäsur kommt bestimmt.»
Wie kann sich der Flughafen behaupten?
Für uns ist wichtig, dass wir gute Rahmenbedingungen anbieten. Die Qualität ist wichtig, die Preise, die Anbindungen. Und wenn das stimmt, entwickelt sich auch die Auslastung. Wir haben heute drei Hauptsegmente. Das eine sind die Anbindungen an die grossen interkontinentalen Flughäfen wie zum Beispiel Frankfurt, München, Paris und London. Und dann gibt es den Low-Cost-Bereich. Und das dritte sind Nischenmärkte oder Orte, die bisher eher per Bus angefahren wurden. Beispielsweise Flüge nach Tuzla in Bosnien oder nach Pristina haben sich hervorragend entwickelt.
Insgesamt fliegen immer mehr Low-Cost-Airlines den EuroAirport an. Mit dem Wechsel von der Swiss zu Eurowings verschwindet eine weitere Vier-Sterne-Airline. Leidet unter dieser Entwicklung auch die Qualität des Flughafens?
Unser Ziel ist es, die Region mit Europa zu verbinden. Das Fliegen hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv verändert. Damals ist man selbst in der Economy Class nicht ohne Krawatte geflogen. Heute ist das Fliegen unkomplizierter geworden. Die Mobilität per Flugzeug hat zugenommen und das Low-Cost-Modell ist im Wandel. EasyJet wird heute auch von grossen Unternehmen genutzt wie Novartis oder Roche. Es zählen primär der Flugplan, die Verbindungen und dass es vernünftig funktioniert.
Das heisst, der EuroAirport wird sich weiter zum Flughafen für Billigfluganbieter entwickeln?
Die Airlines definieren sich ja als Low Cost und nicht als billig. Das ist ein wichtiger Unterschied. Billig hat immer noch eine gewisse Anrüchigkeit. Heute finden Sie aber auch Strecken, wo die Swiss an gewissen Tagen günstiger ist als Easyjet. Insgesamt entwickelt sich der Luftverkehr im Kurzstreckengeschäft in diese Richtung. Basel ist dabei nicht der einzige Flughafen mit viel Low-Cost-Verkehr. Auch in Genf macht dieser Bereich einen grossen Anteil aus.
Sollten die Kerosinpreise in den kommenden zwanzig Jahren deutlich zunehmen, dürfte das die günstigen Airlines am stärksten treffen. Wie gross ist hier das Risiko?
Bereits vor vierzig Jahre hat man prophezeit, in dreissig Jahren werde das Öl knapp. Verlässliche Prognosen sind schwierig. Die Erdölpreise sind für die gesamte Aviatik ein Risiko, die Energiepreise generell. Häufig haben die günstigen Airlines mehr Spielraum, um Kostenerhöhungen abzufangen. Wenn es aber gesamtwirtschaftlich schwieriger wird oder die Preise stark ansteigen, dann fällt das Wochenende in Barcelona als Erstes weg. Die Preissensitivität ist in diesem Segment grösser als etwa bei Geschäftsreisen oder den grossen Ferien.
«Wenn die Preise stark ansteigen, fällt das Wochenende in Barcelona als Erstes weg.»
Was bedeutet das für den EuroAirport?
Irgendwann kommt bestimmt eine Nachfragedämpfung. Das wird aber auch an den grossen Flughäfen wie Zürich, Paris oder Frankfurt zu spüren sein. Deshalb glaube ich nicht, dass uns das übermässig stark treffen wird. Dank unseren drei Hauptsegmenten haben wir auch die Flexibilität, um auf solche Entwicklungen reagieren zu können.
Eine Ihrer Wunschdestinationen ist seit vielen Jahren New York. Vor sechs Jahren sagten Sie, es sei nur noch eine Frage der Zeit. Rechnen Sie immer noch damit, dass eine solche Verbindung kommt?
Ich bin immer noch optimistisch. Es gab ja einmal einen Flug von der Swissair. Dass heute Potenzial besteht, zeigen unter anderem unsere Passagierbefragungen. Ideal wäre eine solche Verbindung in Zusammenarbeit mit einer amerikanischen Airline. Der EuroAirport könnte dann für optimale Anschlussverbindungen sorgen. Wenn es einmal fünf oder sechs Flüge pro Woche nach New York gibt, würde mich das freuen. Und vielleicht kommt ja einmal ein Flug nach Schanghai dazu.
Sie haben in den vergangenen Jahren auch Gespräche mit asiatischen Fluggesellschaften geführt. Weshalb ist daraus nichts geworden?
Es ist wichtig, dass wir regelmässig Optionen ausloten. Schanghai ist immer wieder ein Thema, auch als Schwesterstadt von Basel. Die Gespräche mit asiatischen Airlines waren aber nie sehr fortgeschritten. Doch diese Optionen sind damit nicht vom Tisch. In China wird sich die Zahl der Flugpassagiere mindestens noch verdoppeln. Dort gibt es ein riesiges Potenzial für Flüge auch in unsere Region.
Wenn man die aktuellen Zahlen betrachtet, laufen die Geschäfte beim Flughafen auch so bestens.
Es läuft gut, auch dieses Jahr. Wir haben bisher ein Passagierwachstum von 8,4 Prozent. Und rechnen mit rund 6,3 Millionen Passagieren bis Ende Jahr. Das wäre nach letztem Jahr ein erneuter Passagierrekord. Dabei bleibt die Anzahl Flüge stabil, weil die Flugzeuge deutlich grösser sind, und die Auslastung ist höher. Ich rechne auch für das kommende Jahr mit einem weiteren Wachstum. Wir haben einen starken Markt auf Schweizer Seite mit einer grossen Reisefreudigkeit. Und auch die Präsenz von Roche und Novartis wirkt sich positiv auf den Flughafen aus. Unser Wachstum hängt stark von der Nachfrage ab. Solange es der Wirtschaft in der Region gut geht, wird es auch uns gut gehen.
Das klingt ein wenig so, als wäre der EuroAirport ein Durchlauferhitzer. Ist der Erfolg primär Glückssache?
Es braucht immer etwas von allem. Wir haben nicht allzu viel falsch gemacht in der Vergangenheit, unser Geschäft ist ja auch sehr einträglich. Wir haben im vergangenen Jahr 21 Millionen Euro verdient, und wir konnten die Schulden deutlich reduzieren. Es ist ein profitables Wachstum. In den Krisenjahren haben wir die Kosten gesenkt und eine konkurrenzfähige Tarifstruktur aufgestellt. Wir haben auch viel Energie ins Marketing investiert. Heute zahlt sich das aus. Aber es braucht auch etwas Glück und ein positives Umfeld. Momentan haben wir gerade viele Last-Minute-Buchungen, weil das Wetter bei uns so elend ist. Hätten wir einen strahlenden Sommer, würden einige wohl hier bleiben.
In der Öffentlichkeit ist der ungelöste Streit mit Frankreich über die Besteuerung der Flughafenunternehmen immer wieder ein Thema. Wie bedrohlich ist diese Situation für den Flughafen?
Die beiden Länder haben im Staatsvertrag von 1949 die Frage nach der Besteuerung aufgeschoben, knapp siebzig Jahre später hat man immer noch keinen Entscheid. Heute läuft der Betrieb so gut wie seit Langem nicht mehr. Und vielleicht sind auch daraus auf französischer Seite neue Begehrlichkeiten entstanden, die man jetzt ausdiskutieren muss. Es geht um Unternehmenssteuergewinne der Unternehmen im Schweizer Sektor des Flughafens, Lokalsteuern und Mehrwertsteuern sowie um die Anwendung von rein französischen Taxen auf Schweizer Flugrechten. Ich bin aber immer noch zuversichtlich, dass wir eine pragmatische Lösung finden werden. Gesamthaft geht es um weniger als 100 Millionen Franken pro Jahr. Und wenn man sieht, welche Dossiers die Schweiz und Frankreich wälzen, gibt es viel bedeutendere als das.
Was sind die Folgen, wenn Frankreich seine Forderungen durchsetzen kann?
Darüber würden wir uns Gedanken machen, wenn es so weit wäre. Das müsste man dann mit unseren Eignern anschauen, mit Paris, Bern und Basel-Stadt. Im Moment bereiten wir uns nicht auf diesen Fall vor.
Haben Sie Anzeichen dafür, in welche Richtung es geht?
Nein. Wir haben aber Hoffnung, dass es bald zu einer Lösung kommt.
Und wer hat das letzte Wort?
Die Ausgangslage war ja, dass man nach dem Krieg beim damaligen Flugplatz Birsfelden Sternenfeld keinen Platz mehr hatte. Dann gab es die Option, den Hardwald zu rasieren und dort eine Piste zu bauen, das wollte man aber nicht. Die Elsässer haben damals Investoren gesucht und die Schweizer Platz. Dann haben elsässische Ingenieure diese Ebene vorgeschlagen. Und so hat man sich gefunden. Das war auch der Grundgedanke für den Staatsvertrag, dass Frankreich das Land zur Verfügung stellt und die Schweiz die Investitionen tätigt. In einem binationalen Staatsvertrag gibt es eigentlich nur einen Weg: sich zu einigen. Wenn man es völkerrechtlich betrachtet, sind wir aber auf französischem Territorium. Darauf kann sich Frankreich am Ende immer berufen.
«In einem binationalen Staatsvertrag gibt es eigentlich nur einen Weg: sich zu einigen.»
Die anhaltenden Diskussionen zwischen Frankreich und der Schweiz haben ein erstes Opfer gefordert. Der Bund hat die Pläne für den Bahnanschluss vorerst auf Eis gelegt. Wie dringend ist der Flughafen auf diese Verbindung angewiesen?
Ich bin überzeugt, dass es den Bahnanschluss braucht. Wir brauchen ihn aber nicht morgen. Ein Zug hat natürlich mehr Kapazitäten, um Spitzenauslastungen aufzufangen. Und mit dem Zug wäre es wohl auch für die Arbeitnehmer attraktiver, das Auto zu Hause stehen zu lassen. Der Busanschluss funktioniert insgesamt aber gut, die BVB haben vor wenigen Wochen den Takt verdichtet und eine direkte Express-Verbindung zwischen dem Bahnhof und dem Flughafen eingerichtet. Kurzfristig können wir den Betrieb mit der Busanbindung problemlos aufrechterhalten. Mittelfristig wäre ein Bahnanschluss wünschenswert.
Ein anderes Grossprojekt ist die Fracht. Sie bauen für 50 Millionen Franken eine neue Halle, obwohl der Frachtverkehr in den vergangenen Jahren stagnierte.
Wir haben eine alte Infrastruktur, die insbesondere den Anforderungen der Pharmaindustrie für die Zwischenlagerung von Medikamenten nicht mehr genügt. Wir standen vor der Wahl, aus der Luftfracht auszusteigen oder auf der grünen Wiese im Süden des Flughafens etwas Neues zu bauen. Wir haben das eingehend diskutiert und uns für diese Vorwärtsstrategie entschieden. Gerade weil in der Region noch sehr viel produziert wird, vor allem von Roche und Novartis. Aber auch die Chemie hat immer noch eine gewisse Produktion hier. Heute haben wir bereits 85 Prozent der Fläche für die kommenden fünf Jahre vermietet.
Wie viele Frachtflüge gibt es noch ab dem EuroAirport?
In letzter Zeit war es wöchentlich noch ein Flug. Vor einigen Tagen hat Emirates angekündigt, dass sie den EuroAirport in Zukunft mit einem Frachter anfliegen wird. Das ist ein erster Erfolg. Bis 2020 rechnen wir mit zehn bis zwölf Frachtflugzeugen pro Woche.
Wie gross ist die Konkurrenz mit den Rheinhäfen, die auch ausbauen wollen und wo Produkte aus der Pharmaindustrie ebenfalls einen grossen Anteil ausmachen?
Minimal, Luftfracht ist eine andere Preiskategorie. Das sind per Schiff ganz andere Mengen und Laufzeiten. Per Flugzeug kostet es deutlich mehr, ist aber rascher, pünktlicher und weniger anfällig auf Transportschäden.
Gemessen an den Arbeitsplätzen ist der Flugzeugunterhalt heute der grösste Sektor am Flughafen. Jet Aviation hat in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Stellen gestrichen. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie?
Jet Aviation hat in den vergangenen Jahren deutlich abgebaut. Im vergangenen und in diesem Jahr hat das Unternehmen aber wieder Stellen ausgebaut. Sehr wichtig in diesem Geschäft ist der Wechselkurs zwischen Franken und Dollar. Und je stärker der Franken, desto schwieriger wird die Konkurrenzfähigkeit trotz hoher Schweizer Qualität. Wir haben vorher von Glück gesprochen, und den Dollarkurs kann hier niemand beeinflussen.
Welche Vision haben Sie für den EuroAirport bis in zehn Jahren?
Kurzfristig braucht es ein paar qualitative Verbesserungen, etwa bei der Sauberkeit und den Wartezeiten. Wir sind kein Billigflughafen. Dann braucht es einen Bahnanschluss und mehr Parkplätze. Wir wollen weiterhin ein Flughafen sein, der sich über kurze Wege, gute Erreichbarkeit und Übersichtlichkeit profiliert. Das ist eine Stärke, die wir uns bewahren wollen. Und von mir aus immer noch Low Cost, aber nicht Low Quality.
Sie machen einen Job in einem unberechenbaren Umfeld. Wo finden Sie Ausgleich?
Einerseits bei meiner Familie und Freunden. Dann fahre ich viel Velo, gehe schwimmen und bin gerne in der Natur, etwa beim Pilzsuchen. Und wenn ich Zeit habe, gehe ich auch gerne an ein Spiel des FC Basel.
Sie sind in Liestal aufgewachsen, leben heute in Basel und Eglisau. Beschäftigt Sie die Kantonsfusion?
Ich konnte als ganz Junger bereits einmal zu dieser Frage abstimmen. Damals war ich als Baselbieter aus Überzeugung dagegen. Heute habe ich mir noch keine definitive Meinung gebildet. Wenn man die Effizienz betrachtet, wäre eine Fusion wahrscheinlich sinnvoll. Ich glaube aber, es sind zurzeit noch zu wenig Fakten auf dem Tisch, damit eine sachliche Meinungsbildung wirklich möglich ist.
Zieht es Sie mittelfristig wieder in die Region?
Ich habe meine Wurzeln in Liestal. Basel ist mir als Stadt aber sehr ans Herz gewachsen. Von dem her möchte ich es nicht ausschliessen. Im Moment ist das noch offen.
Bald nur noch Erinnerungsstück: Die Swiss-Maschine im Büro von Jürg Rämi. (Bild: Nils Fisch)