In Basel streitet man derzeit über Sinn und Unsinn einer 1,2 Kilometer neuen Tramstecke für 68 Millionen Franken. Derweil wächst das Erlenmattquartier rasant.
Sieben Baukräne ragen im Westen des Erlenmattareals in den Himmel, Männer in orange-gelben Gewändern hämmern und bohren in eine neue Zukunft. Auf dem Areal des ehemaligen Güterbahnhofs der Deutschen Bahn herrscht nach jahrelanger Geisterstille plötzlich Hochbetrieb, das Quartier entwickelt sich baulich rasant.
Die vor fünf Jahren bezugsbereite Überbauung «Erlentor» mit dunkelgrauer Steinfassade und einer hohen Mieterfluktuation erhält schon bald erste Nachbarn. Bis Anfang 2016 entstehen im Westen des neuen Stadtviertels sechs Gebäude mit insgesamt 663 Wohnungen im 2000-Watt-Standard, davon 63 für betreutes Wohnen. Bei der Überbauung «Erlengrün» sind anderthalb Jahre vor Fertigstellung 30 der 42 Eigentumswohnungen bereits verkauft, ebenso die sechs Reihenhäuser.
Auf dem Baufeld A sollen die Bauarbeiten für Verkaufs- und Büroflächen, ein Hotel sowie Miet- und Eigentumswohnungen 2016 starten. Und auch die Stiftung Habitat macht im Osten des Areals vorwärts, die ersten der 300 Wohnungen werden Ende 2016/Anfang 2017 bezugsbereit sein. Das Geld fliesst ins totgesagte Quartier. Für die Verwaltung, die wegen den vielen Besitzerwechseln die Übersicht über die Arealentwicklung verloren und es selber versäumt hatte, den Boden der Deutschen Bahn abzukaufen, ist dies nach langem Hin und Her eine erfreuliche Nachricht.
Dieses Mal soll es mit der erfolgreichen Belebung des Quartieres endlich klappen. Laut dem Bau- und Verkehrsdepartement wird in den nächsten Jahren rund eine Milliarde in das Gebiet investiert, 800 Millionen von Investoren, 200 Millionen von der öffentliche Hand – etwa in Form eines Primarschulhauses, eines Kindergartens und einer Turnhalle. Die Verwaltung rechnet mit 2500 Einwohnern und 500 Arbeitsplätzen in dieser Siedlung.
Teuer wegen Schwarzwaldtunnel
Krönung dieser Entwicklung soll eine 1,2 Kilometer lange Tramlinie bilden. Geht es nach der Regierung, soll ab 2019 das Erlenmatt-Tram vom Badischen Bahnhof durch die Schwarzwaldallee und die Erlenstrasse zum Riehenring fahren. Gemäss derzeitigem Planungsstand ist vorgesehen, die heutige Tramlinie 1/14 zu trennen. Die Tramlinie 1 würde dann von der Dreirosenbrücke weiter via Erlenmatt zum Badischen Bahnhof fahren und die Linie 14 ab Messeplatz wie bisher zur Dreisrosenbrücke und ab dort weiter zum Wiesenplatz führen. Die heutige Einsatzlinie 21 (Badischer Bahnhof–Voltaplatz) würde dafür gestrichen.
68 Millionen kostet das Erlenmatt-Tram, der Bund übernimmt knapp 12 Millionen davon. Trotzdem noch viel zu teuer, finden die Bürgerlichen und haben das Referendum gegen den Grossratsbeschluss vom Oktober 2013 ergriffen. Am 18. Mai entscheidet sich an der Urne, ob das Erlenmattareal eine Tramverbindung erhält oder nicht. Konkret geht es um einen Kredit von 77 Millionen, denn in derselben Vorlage ist der Ausbau des Bahnhofvorplatzes beim Badischen Bahnhof enthalten. Laut der Regierung sind die hohen Kosten für die Erlenmatt-Verbindung darauf zurückzuführen, dass dafür der Schwarzwaldtunnel auf 400 Metern Länge verstärkt werden muss und auch eine Erschütterungsdämmung geplant ist.
Der LDP-Grossrat Heiner Vischer wehrt sich vehement gegen diesen ÖV-Ausbau. An einem Podium der Kleinbasler FDP mit Bau- und Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels diese Woche bezeichnete er das 68 Millionen teure Erlenmatt-Tram als «Blinddarm zwischen dem Badischen Bahnhof und Riehenring». Für ihn und sein Referendumskomitee ist der Bau dieser Linie «absurd», zumal das Quartier bereits heute mit der Tramlinie 14 und dem Bus 30 gut an den öffentlichen Verkehr angebunden sei. Zudem würden im Durchschnitt gemäss Erhebungen der BVB nur 15 Personen den heutigen Bus vom Badischen Bahnhof ins Erlenmatt-Quartier nutzen.
Im Durchschnitt nur 15 Personen im Bus
An einem Dienstagmorgen sind es sogar weniger. Gerade zehn Personen steigen um 8.55 Uhr beim Badischen Bahnhof in den 30er, niemand steigt bei der Haltestelle Erlenmatt aus, nur eine Person hinein.
Laut Auskunft der BVB ist die Zahl von 15 Personen pro Bus ein Durchschnittswert. «In Spitzenzeiten nutzen 40 bis 45 Kundinnen und Kunden die Busse. Damit ist jeder Sitzplatz in einem Gelenkbus besetzt», sagt BVB-Sprecherin Jelena Dobrivojevic. Die geplanten Überbauungen würden zudem dazu führen, dass die Nutzung des ÖV im Bereich Erlenmatt zunehmen werde.
Dass das Erlenmatt-Tram teuer ist, bekommt Regierungsrat Wessels selbst von ÖV-Befürwortern immer wieder zu hören. Er räumt ein: «Wenn man nur isoliert das Stück vom Badischen Bahnhof zur Erlenmatt betrachtet, dann macht das Projekt wenig Sinn. Aber man muss das Ganze sehen.» Damit meint er, dass das Erlenmatt-Tram der erste Mosaikstein einer geplanten Tramverbindung über die Johanniterbrücke bis zum Bahnhof SBB ist, welche die jetzige Buslinie 30 ersetzen soll.
Gemäss dem vom Grossen Rat abgesegneten Plan (Tramnetz 2020) soll die Strecke des Erlenmatt-Trams zu einem späteren Zeitpunkt ausserdem vom Wettsteinplatz durch die Grenzacherstrasse und die Schwarzwaldallee zum Badischen Bahnhof führen – somit könnte auch Roche mit dem Tram erschlossen werden. Ein Tram, das auf einen Schlag die beiden Arbeitsgebiete Novartis Campus und Roche sowie die drei Bahnhöfe Basel SBB, Badischer Bahnhof und St. Johann miteinander verbindet, davon träumt man im Bau- und Verkehrsdepartement schon lange. «Optimieren auf hohem Niveau» lautet Wessels‘ Devise.
Habitat plant praktisch ohne Parkplätze
Für Heiner Vischer besitzt die 1,2 Kilometer lange Strecke in die Erlenmatt keine Priorität und ist auch nicht notwendig für weitere Ausbauten. «Eine Tramverbindung über die Johanniterbrücke ist auch ohne Erlenmatt-Tram möglich. Ausserdem gäbe es dringendere Ausbauten, wie zum Beispiel eine Tramverbindung zum Roche-Turm», sagt er. Bewohner der neuen Überbauungen im Westen des Erlenmattareals würden zudem eher den Bus oder die Tramlinie 14 benutzen, da diese sich näher befänden, als es die neue Tramhaltestelle Erlenmatt wäre.
Für die Stiftung Habitat, die im Osten des Areals mit 900 zusätzlichen Bewohnern rechnet, ist das Erlenmatt-Tram essenziell: «Erlenmatt Ost wird eine autofreie Überbauung. Wir bauen zwar eine Einstellhalle, aber mit nur ganz wenigen Autoeinstellplätzen. Auf zehn Wohnungen wird nur ein Autoeinstellplatz zur Verfügung stehen», sagt der Leiter des zuständigen Projektbüros, Urs Buomberger.
Entsprechend wichtig sei die optimale Ausgestaltung des öffentlichen Verkehrsnetzes. «Für Basel ist Erlenmatt eine grosse Chance, um frühzeitig eine zukunftsgerichtete Verkehrspolitik im wahrsten Sinne des Wortes aufzugleisen. Die Lebens- und Wohnqualität auf der Erlenmatt soll hoch werden, und dazu passt das Erlenmatt-Tram.»