Das Herz der Velostadt bleibt velofreie Zone

Das neue Verkehrskonzept der Baudirektion macht die Innenstadt von Basel autofrei. Die Situation der Velofahrer verbessert sich allerdings nicht. Im Gegenteil. Das neue Regime ist noch strenger.

Das geplante Verkehrskonzept: Tempolimite für die gesamte Innenstadt, Fussgängerzonen im Kern und für die Velos müssen über drei Routen durch die Stadt. (Bild: / Karte: Carla Secci)

Das neue Verkehrskonzept der Baudirektion macht die Innenstadt von Basel autofrei. Die Situation der Velofahrer verbessert sich allerdings nicht. Im Gegenteil. Das neue Regime ist noch strenger.

Was Basels wahre Probleme sind, lässt sich fast jeden Nachmittag auf dem Rümelinsplatz beob­achten. Drei, manchmal auch vier Polizisten legen sich auf die Lauer nach sündigen Velofahrern. Obwohl schlendernde Fussgänger, fotografierende Touristen und Radfahrer problemlos in der Fussgängerzone aneinander vorbeikommen, haben die Velofahrer schneller eine Busse, als sie «Velostadt» sagen können.

Innenstadt wird nicht velofreundlicher
Das neue Verkehrskonzept des Bau- und Verkehrsdepartements teilt die Innenstadt in drei Gebiete auf. In der gesamten Innenstadt (Bereich in Beige) gilt ab Mitte 2013 generell Tempo 30, auch für den Tramverkehr. Die Kernzone (braun) wird auto­frei und gilt als Fuss­gängerzone. Velos dürfen nur auf drei Achsen fahren (orange) – in den sogenannten Begegnungszonen. Den Rheinsprung hinunter sowie im ­Bereich der Schnei­dergasse muss das Velo geschoben werden (gestrichelt). Die Freie Strasse wird aufgewertet und wird velofrei. Im Gegenzug soll die Eisengasse für Velos geöffnet werden.

Es ist nicht einmal böse Absicht der Verkehrssünder. Selbst wer ordnungs­gemäss vom Velo steigt und es schiebt, sattelt spätestens im Gerbergässlein oder in der Grünpfahlgasse wieder auf. Die Beschilderung suggeriert, dass das Fahrverbot nur für den Rümelinsplatz gilt – tatsächlich ist das Velofahren aber bis zur Falknerstrasse/Gerbergasse ver­boten, weil es sich um eine Fussgänger­zone handelt.

Genau genommen herrscht in der ganzen Innenstadt ein Fahrverbot für Velos. Nur ist das den wenigsten bewusst: einerseits weil zurzeit ein Flickenteppich von temporären Fahrver­boten besteht, andererseits weil die Be­schilderung teilweise verwirrlich ist.
Wer durch das Herz der Velostadt ­Basel will, hat zurzeit drei Routen zur Auswahl: über den Münsterhügel, den Tramgleisen der Falknerstrasse/Gerbergasse entlang oder über den Nadelberg/Heuberg. Der Rest gehört den Fussgängern, den Autos und dem öffentlichen Verkehr. Exklusiv.

In Zukunft nicht nur autofrei

Für einen kurzen Moment keimte vergangene Woche die Hoffnung auf, dass die Velofahrer in der Innenstadt bessergestellt werden könnten. Das Bau- und Verkehrsdepartement stellte das Verkehrskonzept «Fussgängerfreundlichere Innenstadt» vor. Die Innenstadt ein autofreies Paradies für Velofahrer?

Mitnichten. Denn zur Fussgängerfreundlichkeit gehört auch, dass die Velos weiterhin nur auf den drei Routen durch die Innenstadt fahren dürfen. Der Rest ist Velosperrgebiet – und das noch strikter als zuvor.

Das neue Verkehrskonzept sieht ein neues Regime für Anlieferungen vor. In Zukunft ist der Güterumschlag nur noch zwischen 6 und 11 Uhr gestattet. Wer sich also bisher morgens und abends auf dem Velo im Strom der Zulieferer durch die Fussgängerzonen in der Innenstadt schmuggelte, dem bleibt in Zukunft nur das Ausweichen auf die Hauptachsen oder das Schieben.

Die Velofahrer büssen zudem die Freie Strasse ein. Sie gilt künftig als reine Fussgängerzone und darf auch nicht mehr morgens oder abends nach 18.30 Uhr durchfahren werden. Das Bau- und Verkehrsdepartement nennt es die «einschneidenste Änderung» im neuen Regime. Diese werde aber mit der lange herbeigesehnten Öffnung der Eisengasse für den Veloverkehr auf­ge­wo­gen. Dank der Eisengasse können die Velofahrer in Zukunft direkt vom Zentrum zur Mitt­leren Brücke und ins Kleinbasel fahren. «Die fussgängerfreundlichere Innenstadt hat deshalb nicht wirklich gros­se Änderungen für die Velofahrer zur Folge», sagt Baudirektor Hans-Peter Wessels.

Keine grosse Änderung und damit auch keine Verbesserung – das widerspricht der Vision des Bau- und Verkehrsdepartements, Basel zur fuss- und velofreundlichsten Stadt der Schweiz zu machen. Die Bestrebungen sind sogar im Legislaturplan verankert. Dort heisst es: «Um eine Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf den Velo- und Fussgängerverkehr zu erreichen, wird dem Langsamverkehr ausreichend Raum zugebilligt.» Diese Ambitionen werden durch die Bestrebung unterstrichen, den «Velo-City»-Kongress 2015 an den Rhein zu holen. Der Grosse Rat hat im Frühjahr einen Kredit von 500 000 Franken für die Ausrichtung gesprochen.

Keine Kritik von den Velo-Verbänden

Dass angesichts dieser Bemühungen die Velofahrer ausgerechnet im Herzstück der Stadt derart eingeschränkt werden, ist erstaunlich. Noch erstaunlicher ist nur, dass der Aufschrei der Veloverbände ausblieb. Sie haben das neue Regime ohne Klagen geschluckt. Der Grund liegt auf der Hand: Niemand wollte die autofreie Innenstadt durch eine weitere Diskussion gefährden oder verzögern. Selbst dass keine Querver­bin­dungen zwischen den drei Velo-Achsen bestehen, scheint kein Grund zur Kritik.

«Eine weitere Öffnung der Innenstadt für Velofahrer wäre wünschenswert, hätte zum jetzigen Zeitpunkt aber kaum eine Chance gehabt», sagt Pro-­Velo-Geschäftsführer Roland Chrétien mit Verweis auf die aktuelle Debatte um Velo-Rowdys. Zufrieden ist aber weder Pro Velo noch die Verkehrskommission der Neutralen Quartiervereine. «Offi­ziell schreibt man sich die Velostadt auf die Fahne, kandidiert für den Velo-Kongress, behindert gleichzeitig aber den Velo­verkehr stark – das ist widersprüchlich», sagt Claude Wyler, Präsident der Verkehrskommission.

Verkehrskommission will Nachbesserungen vorschlagen

Wyler hätte sich angesichts der Ver­lagerung auf den Langsamverkehr gewünscht, dass man zumindest versucht, die Mischzone für Velofahrer und Fussgänger zu vergrössern. «Mit diesem teilweise unsinnigen Regime provoziert man, dass die Velofahrer verbotenerweise von einer Achse auf die andere wechseln.» Fahrend, versteht sich. Baudirektor Wessels dagegen sieht keinen Widerspruch. «Wir fördern den Veloverkehr – aber nicht mit absolu­tistischem Anspruch.» Die Fussgänger­zonen sollen mehr gewichtet werden, dazu müsse nicht nur der Motorverkehr eingeschränkt werden, sondern eben auch der Veloverkehr.

Sollte die Verkehrskommission der Quartiervereine zur Vernehmlassung eingeladen werden, will sie den einen oder anderen Punkt zur Nachbesserung vorschlagen. Pro-Velo-Geschäftsführer Chrétien bedauert vor allem die Einschränkung in der Freien Strasse. Zurzeit will er sich aber nicht für eine Änderung einsetzen. «Wir hätten das vorher tun müssen», gesteht er ein, «nun warten wir erst mal ab.»

Eine Umstellung bedeutet das neue Verkehrsregime auch für die Velo­kuriere. Ab 11 Uhr dürfen sie nicht mehr ausserhalb der drei Routen sein, die Fussgängerzonen bleiben komplett geschlossen. «Unserer Kuriere werden häufiger absteigen müssen», sagt Jé­rô­me Thiriet von der Kurierzentrale. Sie werden sich damit arrangieren müssen, wenn auch widerwillig. «Für uns wäre es optimal, wenn Velos und Fussgänger gleichberechtigt wären.»

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12

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