«Das hilft nicht nur der Pharma»

Die Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren setzen im Steuerstreit mit der EU auf die Einführung von Lizenzboxen – und handeln damit ganz im Sinne von Basels Finanzdirektorin Eva Herzog.

Finanzdirektorin Eva Herzog: «Ich habe immer wieder davor gewarnt, dass der Gürtel enger geschnallt werden muss. Das passiert jetzt.» (Bild: Stefan Bohrer)

Die EU stört mit ihrer Forderung nach einer Europa-konformen Unternehmenssteuer den innerschweizerischen Frieden. Die Kantone feilschen um eine gute Position im kommenden eidgenössischen Verteilkampf. Die Basler SP-Finanzdirektorin Eva Herzog mischt ganz vorne mit.

Es ist ja eigentlich ganz geschickt konstruiert, was die Kantone den international tätigen Firmen anbieten. Wenn sie ihren Hauptsitz in die Schweiz verlegen, zahlen sie ganz normal Unternehmenssteuern – aber nur für die Gewinne, die sie im Inland erzielen. Auf die ganz grossen Gewinne, die Pharma-, Handels-, Rohstoff- und weitere Firmen im Ausland machen, zahlen sie nur geringe Steuern. Das lockt natürlich Unternehmen an. Und das passt der EU nicht. Sie akzeptiert nicht, dass in- und ausländische Gewinne unterschiedlich besteuert werden.

Ende vergangener Woche diskutieren die Finanzdirektoren und -direktorinnen der Kantone, wie sie ihre Steuergesetze anpassen müssen, um den EU-Vorgaben nachzukommen. Es ist nicht einfach eine steuertechnische Debatte – es geht vielmehr um einen Verteilkampf um Milliarden, der die Schweiz noch lange beschäftigen wird.

Tiefsteuerkantone wie Genf oder Zug schlagen vor, die Unternehmenssteuern auf 13 Prozent zu senken und zwar für in- wie ausländische Gewinne. Dann wäre die Schweiz für multinationale Unternehmen immer noch attraktiv. Für diese Kantone wären 13 Prozent kein Problem, da sie schon heute in diesem Bereich besteuern. Kantone wie Basel aber, die für Inlandgewinne der Unternehmen eine Steuer von 20 Prozent kennen, müssten bei einer Senkung auf 13 Prozent Verluste in dreistelliger Millionen­höhe hinnehmen.

Darum sucht man nach Auswegen. Und einer davon heisst: Lizenzboxen-System. Erträge, die im Ausland via Lizenzen erzielt werden, könnten dabei immer noch von einem tiefen Steuersatz profitieren. Eine der vehementesten Verfechterinnen dieses Systems ist die Basler Finanz­direktorin Eva Herzog. Anders, so sagt die Sozialdemokratin, geht es nicht. Und stellt sich dabei auch gegen ihre Partei.

Frau Herzog, wo ist das Problem? Wenn ausländische Gewinne in Zukunft gleich besteuert werden wie inländische, dann hat Basel unter dem Strich mehr Steuereinnahmen.

Nein. Die betreffenden Firmen stehen in einem internationalen Wettbewerb. Wenn wir unseren ordentlichen ­Steu­er­satz von 20 Prozent kantonalen Steuern plus 8,5 Prozent Bundes­steuern auf sämtliche Erträge dieser Firmen anwenden würden, wäre die Gesamtbesteuerung im internationalen Vergleich zu hoch. Wir wären als Werkplatz weniger wettbewerbsfähig. Die anderen Standortfaktoren genügen nicht, um die Zehntausenden ­Arbeitsplätze der Grossunternehmen hier zu behalten. Novartis oder Roche­ hätten womöglich den Hauptsitz nicht mehr lange in Basel.

Im Moment steht der Vorschlag aus Genf im Raum, die Unternehmenssteuern schweizweit bei 13 Prozent festzulegen. Was würde das für Basel bedeuten?

Verglichen mit der heutigen Steuerbelastung dieser Firmen hätten wir einen Steuerausfall von bis zu 400 Millionen Franken pro Jahr. Das ist mehr als die Hälfte der gesamten Gewinnsteuern. Das Vertrackte daran: Selbst bei einer Senkung auf 13 Prozent bestünde immer noch die Gefahr einer Abwanderung. Das ist der Grund, warum wir uns für die Einführung von Innovations- oder Lizenzboxen einsetzen.

Mit der Einführung der sogenannten Lizenzbox käme vor allem die Pharma in den Genuss von Steuererleichterungen.

Die Lizenzbox ist ein steuerliches ­Instrument, das es zum Beispiel der Pharmaindustrie erlaubt, einen Teil der Gewinne reduziert versteuern zu müssen. Die Begründung dafür hat die EU selbst in ihrer sogenannten Lissabon-Strategie festgelegt: Es geht darum, Innovation zu fördern. Das ist also ein absolut EU-konformes Instrument, viele Staaten der Europäischen Union kennen es.

Nochmals: Als Basler Finanz­direktorin kämpfen Sie einseitig für die Interessen der Pharma.

Es ist nicht so, dass die Lizenboxen schweizweit nur der Pharma helfen, wie immer wieder kritisiert wird. Natürlich profitiert sie davon – und sie soll es auch. Denn sie ist ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für das Land. Sie generiert 40 Prozent der Exporte. Aber auch andere Branchen profitieren: Medizinaltechnik, Uhren, Maschinen; die Massnahme diskriminiert nicht. Alle Unternehmen, die innovativ sind, können profitieren. Wir würden damit sicher nicht Briefkästen fördern, sondern Innovation und Arbeitsplätze.

«Es ist wichtig, dass die Hauptsitze globaler Firmen, die hier sind, auch hier bleiben.»

Warum sollen denn ausgerechnet Lizenzboxen die Abwanderung von Firmen aus der Schweiz verhindern?

Das hängt mit den Branchen zusammen, die bei uns ansässig sind. Für gewisse Erträge aus Innovationen gibt es in mehreren Ländern der EU schon Lizenzboxen. Beispielsweise in den Niederlanden, wo der Steuersatz für die dortige Innovationsbox 5 Prozent beträgt. Ohne Lizenzboxen besteht die Gefahr, dass Firmen ­zuerst ihre Gewinne, schleichend immer mehr Arbeitsplätze und dann ihren Hauptsitz in Länder verlegen, die ihnen auf ihre Gewinne solche Reduktionen gewähren. Das wäre ­fatal für den Standort Basel.

Kann Basel-Stadt an den bisherigen Gewinnsteuern festhalten, wenn die Pharmafirmen mit den Lizenzboxen steuerlich entlastet werden?

Das könnten wir. Da aber nicht alle Kantone von Innovationsboxen profitieren können, werden sie teilweise mit Steuersenkungen reagieren. Der Abwärtsdruck wird bestehen bleiben.

Mit der Lizenzbox ersetzt eine privilegierte Besteuerung eine andere. Ist das nicht etwas kurzfristig gedacht?

Wir brauchen eine Lösung, die im internationalen Wettbewerb funk­tioniert. Wenn es nun heisst, die ­Lizenzboxen seien im Visier der OECD und der G-20, dann ist das kein Problem: Wenn die Boxen in Europa abgeschafft werden, schaffen wir sie halt auch in der Schweiz wieder ab. Doch bis es so weit ist, brauchen wir gleich lange Spiesse. In internationalen Gremien wird immer stärker mehr Transparenz gefordert im Steuerbereich, weniger Ausnahmen – damit habe ich kein Problem, es muss einfach für alle gelten.

Das Basler System mit den Lizenzboxen lässt sich allerdings nicht auf die gesamte Schweiz anwenden.

Ja, wir haben uns so bemüht, hier eine Lösung zu finden. Aber Boxen für die Erträge von Handelsfirmen würden international nicht akzeptiert. Und das ist ein Problem zum Beispiel für Genf und auch für die Waadt mit vielen Handelsfirmen und vergleichsweise hohen ordentlichen Steuern.

Was tun?

Diese Kantone werden um eine ­Senkung der Gewinnsteuern nicht herumkommen, wenn sie diese ­Un­ter­nehmen behalten wollen. Die Ausfälle müssen vom Bund kompensiert werden. Anders geht es nicht.

«Auch andere Branchen würden von einer Lizenzbox profitieren.»

Selbst mit den Lizenzboxen würden die Steuereinnahmen für die Kantone wohl zurückgehen. Besteht Ihrer Meinung nach ein Anspruch auf Kompensation durch den Bund?

Die Hälfte der Gewinnsteuern des Bundes stammt aus diesen Statusgesellschaften, die ja auf Bundes­ebene ordentlich besteuert werden, derzeit rund 4 Milliarden Franken. Es besteht zwar kein gesetzlicher Anspruch auf eine Kompensation, aber auf jeden Fall eine Verpflichtung. Es geht schliesslich auch um Arbeitsplätze in der ganzen Schweiz.

Seit wann ist eigentlich klar, dass die unterschiedliche Besteuerung von Erträgen nach heutigem Muster von Brüssel nicht mehr toleriert wird?

Das ist eine lange Entwicklung. 2009 standen wir kurz vor einer Einigung, aber einige Mitgliedsstaaten, beispielsweise Italien, lehnten die Lösung ab. Seither hat der Druck klar zugenommen. Wir müssen nun etwas machen. Die Schweiz steht an zu vielen Fronten unter Druck. Darum haben wir vor einem halben Jahr ja auch versucht, die Unternehmenssteuern in Basel zu senken.

Erfolglos.

Ja. Heute könnte man das besser erklären. Wir wussten damals schon, dass in diesem Bereich bald schweizweit etwas geschehen würde, und wollten die Steuern dort senken, wo es ohnehin kommen würde.

Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Finanzdirektorenkonferenz der Genfer Vorschlag mit einer Unternehmenssteuer von 13 Prozent durchkommt?

Ich glaube nicht, dass dies vorgeschlagen wird. Der Zwischenbericht, den wir vorlegen, enthält noch keine Beschlüsse, sondern eine Auslegeordnung und Vorschläge. Er schliesst gewisse Massnahmen aus. Jetzt kann die öffentliche Diskussion losgehen, und vor allem können sich jetzt auch jene Kantone zu Wort melden, die vom Streit mit der EU nicht direkt betroffen sind, für die erst eine ­Senkung der Unternehmenssteuern Konsequenzen hätte.

Welche Kantone sind das?

Wenn die Steuern beispielsweise auf den Genfer Vorschlag von 13 Prozent gesenkt würden, dann hätte eine Mehrheit der Kantone hohe Steuerausfälle. Nur Tiefsteuer-Kantone wie Zug, Schwyz, Nidwalden, die beiden Appenzell, Luzern, Obwalden oder etwa Schaffhausen wären nicht so direkt betroffen. Die Konsequenzen des Steuerwettbewerbs der letzten Jahre zeigen sich sehr ausgeprägt in dieser Frage. Deshalb ist es schwierig, eine Lösung für alle zu finden.

Mit dem Vorschlag der Lizenzbox mischeln Sie da kräftig mit.

Nochmals: Die gezielte Entlastung bei gewissen Erträgen hat den Zweck, die Ausfälle generell tiefer zu halten. Bei uns in Basel ist es nie ­darum gegangen, Firmen mit tiefen Steuern anzulocken, sondern darum, traditionell ansässige Firmen zu halten. Die wurden hier gegründet und sind hier gewachsen. Es ist eminent wichtig, dass die Hauptsitze globaler Firmen, die hier sind, auch hier bleiben. Da ist Basel sicher auch in einer etwas anderen Situation als Genf oder Zug, wo viele neue Firmen hingezogen sind.

Die Abschaffung der privilegierten Besteuerung von Holding- und gemischten Gesellschaften wird vermutlich zu Steuerausfällen führen. Nun gibt es Vorschläge, sie mit einer höheren Mehrwertsteuer zu kompensieren. Einverstanden?

Ich finde es heikel, ein Problem im Unternehmensbereich mit einer Steuererhöhung bei den natürlichen Personen zu beheben. Mit der Mehrwertsteuer hat man ja noch andere Pläne in den nächsten Jahren. Darum stehen andere Kompensationen im Vordergrund – etwa der Vorschlag, den Kantonen höhere Anteile an der Bundessteuer zuzugestehen. Aber mehr Geld kommt damit nicht in die öffentlichen Kassen. Es wird nur anders verteilt. Ein weiterer Vorschlag wäre die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer. Auch eine ­Korrektur der Unternehmenssteuerreform II sollte geprüft werden. Auf keinen Fall sollte die direkte Bundessteuer gesenkt werden, sonst fehlt noch mehr Geld.

Bei uns in Basel ist es nie ­darum gegangen, Firmen mit tiefen Steuern anzulocken, sondern darum, traditionell ansässige Firmen zu halten.

Müsste man nicht auch daran denken, den Finanzausgleich zwischen den Kantonen neu zu regeln, damit die Wirtschafts­zentren entlastet werden?

Der Finanzausgleich wird angepasst werden müssen, schon rein technisch. Unsere alte Forderung, dass man die Steuern als Nehmerkanton nicht beliebig senken darf, könnte wieder aktuell werden.

Sie sprechen damit Innerschweizer, also ländliche Kantone, an. Wird der Stadt-Land-Graben in Steuer- und Finanzausgleichsfragen unüberbrückbar?

Nein, das sehe ich nicht so. Es gibt durchaus ländliche Nehmerkantone beim Finanzausgleich, die im Steuerwettbewerb nicht mitgemacht haben und die sehr genau wissen, wo das Geld herkommt. Diese unterstützen den Genfer Vorschlag einer Senkung der Unternehmenssteuer überhaupt nicht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.05.13

Nächster Artikel