Das ist der Zweck der Pressefreiheit

Nach dem Tod des Baselbieter Regierungsrats Peter Zwick wurde Kritik an den Medien laut, weil sie den Verstorbenen zu heftig attackiert hätten. Zu Recht?

Fairness ist zentral, wenn angeschlagene Politiker kritisiert werden. (Bild: Nils Fisch)

Nach dem Tod des Baselbieter Regierungsrats Peter Zwick wurde Kritik an den Medien laut, weil sie den Verstorbenen zu heftig attackiert hätten. Zu Recht?

Heute Freitag wird der verstorbene Baselbieter Regierungsrat Peter Zwick zu Grabe getragen. Seine Krankheit war hartnäckiger, als er selber und seine Umgebung es wahrnahmen. Hätten die Medien darauf verzichten sollen, ihn wegen seiner Amtsführung zu kritisieren?

Am Weihnachtstag 1880 erschoss sich der Schweizer Bundespräsident Fridolin Anderwert auf der Berner Bundesterrasse. In einem Abschiedsbrief deutete er dunkel an, dass es die Medien waren, die ihn in den Tod getrieben hatten. Was ihn alles zu seiner Verzweiflungstat trieb, ist bis heute ungeklärt. Jedenfalls wird den Medien immer wieder vorgeworfen, öffentlichen Amtsträgern das Leben derart schwer gemacht zu haben, dass sie krank wurden oder nicht mehr aus noch ein wussten.

1995 konfrontierte der «Tages-Anzeiger» einen Zürcher Theaterproduzenten mit Recherchen zu seiner misslichen finanziellen Lage. Als dieser tags darauf nicht zum vereinbarten Interview erschien, sondern sich vor einen fahrenden Zug warf, gaben jene, die ihm nahe standen, der Zeitung die Schuld an seinem Tod. 2012 berichtete Telebärn kritisch über eine Firma, die finanzielle Schwierigkeiten hatte. Sieben Wochen nach der Sendung starb einer der beiden Firmenchefs an Herzversagen. Sein Bruder warf dem Lokalsender danach vor, den Tod verursacht zu haben. Auch Gesundheits- und Volkswirtschafts­direktor Peter Zwick wurde 2012 im Landrat und in den Medien wegen Führungs- und Planungsmängeln hart kritisiert. Jetzt sind alle schockiert, dass er tot ist. Hätten Personen des öffentlichen Lebens, die gerade schwierige Probleme zu bewältigen haben, Anspruch auf mehr Zurückhaltung und Rücksicht? Nein.

Es geht hier um die Medien. Dass das Parlament die Oberaufsicht über die Regierung ausübt und Rechenschaft verlangen muss, wenn etwas nicht wie angekündigt läuft, versteht sich von selbst. Aber die Medien? Sind sie sich der Folgen ihrer Berichterstattung stets bewusst?

Gesinnungs- und Verantwortungsethik

Der Soziologe Max Weber sah schon 1919 die Politiker als zweckrationale Verantwortungsethiker und die Journalisten als wertrationale Gesinnungsethiker. Verantwortungsethiker bedenken die Folgen ihres Handelns, Gesinnungsethiker hingegen setzen sich auch für Anliegen ein, die in der Wirklichkeit gar keine Chance haben. Untersuchungen des Mainzer Publizistikwissenschaftlers Hans Mathias Kepplinger haben allerdings ergeben, dass die Journalisten nicht allesamt auf die Seite der Gesinnungsethiker gehören, sondern dass es unter ihnen auch Verantwortungsethiker gibt und dass die grösste Gruppe einem Mischtyp zuzurechnen ist. Worin bestünde journalistische Verantwortungsethik?

Sie bestünde sicherlich nicht darin, auf kritische Berichterstattung zu verzichten. Medien stellen in einer demokratischen Gesellschaft den öffentlichen Diskurs sicher, und damit er stattfindet, üben sie eine Kritik- und Kontrollfunktion aus. Dies bedeutet, dass sie die Träger öffentlicher Verantwortung kritisch begleiten.

Solange jemand ein Amt ausübt und die Verantwortung für seinen Zuständigkeitsbereich trägt, ist er oder sie der öffentlichen Kritik unterworfen. Deutsche Medien können Finanzminister Wolfgang Schäuble in der Sache nicht schonen, weil er im Rollstuhl sitzt. Britische Medien konnten die Positionen des damaligen Oppositionsführers David Cameron nicht unkommentiert lassen, nur weil 2009 sein Sohn gestorben war.

Schweizer Medien konnten die Libyen-Blamage des damaligen Bundesrates Hans-Rudolf Merz nicht kritiklos hinnehmen, nur weil er im Herbst 2008 einen Herzstillstand erlitten hatte. Wer in der Öffentlichkeit agiert, stellt sich auch der Medienkritik, und dies gilt nicht nur für politische Akteure, sondern auch für Personen an der Spitze von Unternehmen, für Richter, für Sportler und Sportfunktionäre, für Grössen des Kulturlebens. Sie alle haben Ja gesagt zu ihrer Aufgabe im Rampenlicht. Wer das Rampenlicht scheut, darf gar nicht erst auf die Bühne treten oder muss sie vorzeitig wieder verlassen.

Faire Mittel sind unabdingbar

Verantwortungsethik kann nicht heissen, dass Journalistinnen und Journalisten Kritik an Personen des öffentlichen Lebens unterlassen, weil sie stets befürchten müssen, diese könnten krank werden, sich ein Leid antun oder aus Gram sterben. Verantwortungsethik im Journalismus bedeutet hingegen, dass die Medienschaffenden im Sinne des berufs­ethischen Kodex mit fairen Mitteln arbeiten, Angeschuldigte zu Wort kommen lassen, die Wahrheit sagen, sich an die Quellen halten, die Privatsphäre achten und letztlich zu dem, was sie schreiben oder senden, auch stehen können.

Peter Zwick hatte als Regierungsrat nicht immer eine glückliche Hand, wurde aber menschlich geschätzt. Es gab Regierungsräte, die erfolgreicher, aber auch rücksichtsloser waren. Beim einen kritisieren die Medien die Resultate, beim andern das Verhalten. Das ist der Zweck der Pressefreiheit.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13

Nächster Artikel