In Luxemburg stehen zwei mutmassliche Bombenleger vor Gericht. Und in der Schweiz wird ein dunkles Kapitel neu beleuchtet.
Im Saal 1.10 der Kriminalkammer des Bezirksgerichts Luxemburg hat diese Woche ein Prozess begonnen, auf den ein ganzes Land seit über 25 Jahren wartet. Verhandelt wird die «Bommeleeër»-Affäre, eine Serie von 24 Sprengstoffanschlägen zwischen 1984 und 1986.
Ziel der Attacken waren Strommasten, eine Gasleitung, das Telefonnetz, Gebäude von Gendarmerie und Justiz, Wohnungen von Privaten. Es gab mehrere Verletzte, aber keine Toten. Luxemburg erlebte zwei Jahre Terror, Angst und Schrecken. Kein anderer Kriminalfall, schreibt «l’essentiel Online», habe das kollektive Bewusstsein «einer ganzen Generation Luxemburger» so geprägt wie die «Bommeleeër»-Affäre.
Der Prozess ist einmalig in der Geschichte von Luxemburg. Um die Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu beweisen – Marc Scheer und Jos Wilmes, ehemalige Gendarmen und Mitglieder der Spezialeinheit «Brigade Mobile» –, sind über 90 Zeugen geladen: Mitglieder der grossherzoglichen Familie, ehemalige und aktive Regierungsmitglieder, Geheimdienstler.
Dennoch glauben die wenigsten Luxemburger an eine Aufklärung des Falls. Bei einer Umfrage des «Tageblatt», der führenden Luxemburger Zeitung in deutscher Sprache, gab über die Hälfte der Teilnehmer an, dass sie dem Gericht nicht zutrauen, Licht in die Affäre zu bringen.
Verschwörungstheorien
Der Grund für diese Skepsis ist in der Nachlässigkeit der Behörden zu suchen. Im Verlauf der Jahre «verschwanden» über 80 Beweisstücke aus staatlichen Asservaten-Kammern. 25 Jahre dauerte es, bis die Staatsanwaltschaft offiziell Klage erhob. Viel Zeit für die Luxemburger, sich ihre eigenen Gedanken zum Fall zu machen.
Besonders populär war die These, Prinz Jean, der jüngere Bruder von Grossherzog Henri, sei der Bombenleger gewesen. Ein Zeuge behauptete im Fernsehen, er habe den Prinzen vor einem Attentat am Flughafen Findel in Luxemburg erkannt.
«Die Tatsache, dass Jean von Luxemburg genau nach den Anschlägen im September 1986 auf sein Thronfolgerecht verzichtet und als Privatbanker unter dem bürgerlichen Namen Jean Nassau ins Ausland zieht, lässt ihn in den Augen der Öffentlichkeit hoch verdächtig erscheinen», schreibt «l’essentiel Online» dazu.
Beliebt ist auch die These, Ben Geiben, Gründer der Eliteeinheit «Brigade Mobile», sei wegen seiner Bisexualität bei der Polizei entlassen worden und habe sich mit den Bomben rächen wollen.
Die grösste Rolle im Prozess wird allerdings eine dritte Theorie spielen. Im Verlauf der Ermittlungen zu der «Bommeleeër»-Affäre musste der ehemalige Premierminister Jacques Santer 1990 die Existenz einer staatlichen Geheimarmee zugeben, wie es sie auch in anderen europäischen Ländern gab.
Wenige Tage vor dem Prozess hat sich nun ein ehemaliger Unteroffizier der Luxemburger Armee bei Radio RTL gemeldet und «Stay Behind» – so der Name der geheimen Armee – für die Bombenanschläge verantwortlich gemacht. Eine These, die auch von Gaston Vogel, dem Verteidiger von Marc Scheer, vertreten wird. Zahlreiche mögliche Beweise zu den Anschlägen seien mit der Auflösung von «Stay Behind» verschwunden, sagte Vogel diesen Mittwoch vor Gericht.
Die Spur in die Schweiz
Mitverantwortlich für die Staatsterrorismus-Theorie ist auch ein Schweizer. Der Basler Historiker Daniele Ganser hat vor fünf Jahren in einem Interview mit der Luxemburger «Revue» über die «Bommeleeër»-Affäre laut nachgedacht: «Immer dann, wenn in einem kleinen Land wie Luxemburg etwas so lange nicht aufgeklärt ist, besteht die Möglichkeit, dass der Staat involviert ist.»
Ganser, der in Luxemburg auch als Zeuge geladen ist, beschäftigt sich seit seiner Dissertation über die NATO-Organisation Gladio mit Geheimarmeen. Im Zusammenhang mit den Recherchen zu Luxemburg wurde Ganser von einem Informanten kontaktiert, der zum Schweizer Pendant zu «Stay Behind», der P-26, neue Erkenntnisse zu haben scheint und behauptet, die Schweizer Widerstandsorganisation sei für verschiedene Anschläge in den 80er-Jahren verantwortlich.
«Es würde sich lohnen, diese Anschläge heute noch einmal auf die Möglichkeit von Staatsterrorismus zu untersuchen», sagt Ganser und denkt dabei in erster Linie an zwei Attentate in der Region Basel. Am 30. Januar 1983 hatte eine anonyme Gruppe nach dem bundesrätlichen Ja zum AKW Kaiseraugst an zwei Hochspannungsleitungen in Rheinfelden und Pratteln Sprengladungen montiert. In Rheinfelden ging die Ladung nicht los, in Pratteln zerstörte sie einen Eckmast.
Der damalige Präsident von «Nie wieder Atomkraftwerke», Alexander Euler, äusserte nach den Anschlägen in der WOZ die Vermutung, es habe sich um eine gezielte Provokation handeln können, um die Gegner des AKW Kaiseraugst zu diskreditieren.
Diese Theorie schaffte es bis ins Bundeshaus: Im März 1991 wollte die Schaffhauser SP-Ständerätin Esther Bührer vom Bundesrat wissen, ob die P-26 in die Anschläge involviert gewesen sei. Die Antwort von Bundesrat Kaspar Villiger erfolgte am 10. Juni 1991 und sie war deutlich: «Es gibt keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der (…) P-26 und den unaufgeklärten Anschlägen gegen Anlagen der Energiewirtschaft.» Die angewandte Sprengstofftechnik sei bereits zu Beginn der 60er-Jahre in der Schrift «Der totale Widerstand» beschrieben worden und sei darum allgemein bekannt gewesen.
«Die Masten wären gefallen»
Martin Matter, ehemaliger BaZ-Redaktor und Autor eines Buches über die P-26, sieht keinen Grund, heute an der damaligen Aussage von Villiger zu zweifeln. Die Anfrage von Bührer sei ein Höhepunkt der politischen Dämonisierung der P-26 gewesen und sei selbst innerhalb der SP umstritten gewesen. Ja, selbst die WOZ habe der Anfrage «wenig Plausibilität» zugestanden. Zwar seien einige wenige Mitglieder der insgesamt 400 Mann starken Organisation in der Handhabung von Sprengstoff ausgebildet gewesen, «aber die Vorstellung, P-26 sei für die Sprengung dieser Masten verantwortlich, ist jenseits von Gut und Böse».
Naturgemäss wird diese Sicht der Dinge auch von jenem Mann geteilt, der wohl als einer von ganz wenigen die Wahrheit über P-26 kennt. Der Münchensteiner Efrem Cattelan war von 1979 bis 1990 Kommandant von P-26. Seit 2009 ist das Redeverbot für Cattelan aufgehoben und er kann nun selber Stellung für seine Sache beziehen.
Auf Daniele Ganser ist Efrem Cattelan nicht gut zu sprechen. «Der erzählt nur Seich! Und sieht hinter jeder Ecke Gespenster.» P-26 sei sicher nicht für die Anschläge in Pratteln und Rheinfelden verantwortlich, und das aus einem einfachen Grund, wie Cattelan der TagesWoche am Telefon sagt: «Wenn wir das gemacht hätten, wären die Masten gefallen.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13