Das kleine Chaos eines Weltstadtquartiers

Dönerbuden neben hippen Brunch-Lokalen, Arbeiter neben gut verdienenden Expats: Das Matthäus-Quartier ist ein Schmelztiegel. Hier sind es die Einwohner selbst, die ihr Quartier gestalten. Zum Beispiel mit dem Matthäusmarkt.

Familienwagen, Mittelstand – auch das ist Matthäus.

(Bild: Basile Bornand)

Dönerbuden neben hippen Brunch-Lokalen, Arbeiter neben gut verdienenden Expats: Das Matthäus-Quartier ist ein Schmelztiegel. Hier sind es die Einwohner selbst, die ihr Quartier gestalten. Zum Beispiel mit dem Matthäusmarkt.

Im Matthäus-Quartier fühlt man den Puls der Stadt Basel. Das Quartier befindet sich in stetigem Wandel. Dieser gründet aber nicht, wie etwa im Gundeli, auf gross angelegten Umgestaltungsplänen, sondern findet im Kleinen statt: Unterschiedliche Interessensvertreter setzen sich hier, zum Teil seit Jahrzehnten, für ihr Umfeld und zusammen mit diesem ein. 

So haben Quartierbewohner im Jahr 2006 den Matthäusmarkt gegründet, und bereits 1995 wurde ein Projekt zur Begrünung der Feldbergstrasse durchgeführt – alles aus der Hand von Quartier-Initiativen.

Die drei dynamischsten Basler Quartiere

Die TagesWoche beleuchtet die nach Zuwanderungsstatistik dynamischsten drei Basler Quartiere separat. 
Dazu haben unsere Quartierblogger das Gundeli, das Matthäus-Quartier und das St. Johann auf ihre Seele hin geprüft – schliesslich sind sie die Experten für das Leben vor der Haustüre. Die Resultate finden Sie in den drei Reports aus den Quartieren.

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Zwar sind beim Aufwertungsprozess im Matthäus-Quartier zum Teil auch grosse Stiftungen involviert, wie etwa die Christoph Merian Stiftung (CMS), die das Programm «Integrale Aufwertung Kleinbasel» mitbezahlte und das heutige Stadtteilsekretariat Kleinbasel finanziell unterstützt. Insgesamt sind die zahlreichen Veränderungen im Quartier aber das dynamische Ergebnis einer Vielzahl von Interessen und Engagements der Einwohner selbst.

Neue Lokale schiessen aus dem Boden

Seit mehreren Jahren gewinnt das Quartier stetig an Attraktivität, wie Heike Oldörp vom Stadtteilsekretariat Kleinbasel beobachtet: «Immer mehr Familien lassen sich hier nieder, der Standort nahe am Rhein und auch das aufblühende Gewerbe machen den Reiz des Matthäus-Quartiers aus.»

Neue Restaurants, Cafés und Designerboutiquen schiessen seit einigen Jahren in fast schon unüberschaubar schnellem Tempo aus dem Boden. Die Cafés «Avant Gouz» und «La Fourchette» oder das Restaurant Gatto Nero sind nur ein paar Beispiele der blühenden Gastro-Szene im Quartier. Seit Juni dieses Jahres gibt es an der Klybeckstrasse auch eine Sushi-Bar und im Mai wurde die «Ladybar» mit dem Restaurant Feldberg geschlossen, um einer einjährigen Zwischennutzung durch die Gastronomen von «Acento Argentino» Platz zu machen.



«Fait maison» ist im «La Fourchette» auch das Orangensorbet.

«Fait maison» ist im «La Fourchette» auch das Orangensorbet.

Design- neben Ramschläden

Doch diese neuen, innovativen Lokale allein verleihen dem Quartier nicht sein Gastro-Profil: Man findet hier auch unzählige Dönerbuden (darunter den laut Tageswoche-Lesern besten Döner der Stadt), alte Beizen mit gutbürgerlicher Küche, wie etwa das Restaurant Eintracht an der Klybeckstrasse, und das traditionsreiche Café Da Graziella direkt gegenüber dem Matthäusplatz.

Was die Einkaufsmöglichkeiten betrifft, ist die Spannbreite ähnlich gross, es findet sich im Matthäus-Quartier etwas für jeden Gusto und jedes Portemonnaie. So stehen Designerboutiquen neben Ramschläden oder die Brockenstube Hiob am Bläsiring.

Das Quartier beherbergt den gut besuchten, regionalen Wochenmarkt samstags auf dem Matthäusplatz, auf dem Bauern an ihren Ständen frische Produkte verkaufen. Ähnlicher Beliebtheit erfreut sich der Alima-Supermarkt, ein Laden mit türkischen Betreibern: Kunden unterschiedlicher Nationalitäten und Einkommensklassen scheuen die oft langen Warteschlangen vor der Kasse nicht, um im «Alima» Gemüse, Fleisch und Spezialitäten aus aller Welt zu günstigen Preisen einzukaufen.

Aufwertung bedeutet auch Verdrängung

Und natürlich ist die Quartierbevölkerung, die hier so dicht aufeinander wohnt wie sonst nirgends in Basel, ebenso durchmischt wie das Angebot: Mehr als die Hälfte der Bewohner des Matthäus-Quartiers haben keinen Schweizer Pass, und das Quartier ist vor allem bei ausländischen Zuzügern besonders beliebt. Das können ausländische Arbeiter in der zweiten Generation sein oder gut verdienende indische IT-Spezialisten. Familien wohnen hier im Quartier ebenso gern wie junge Singles.



Das Matthäusplatzfest ist das Kleinbasel in einer Nussschale. Es verbindet Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen. 

Das Matthäusplatzfest ist das Kleinbasel in einer Nussschale. Es verbindet Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen. 

Doch hat die Aufwertung eines Stadtteils seine Schattenseite. Laut Oldörp vom Stadtteilsekretariat Kleinbasel habe die Aufwertung des Quartiers zu einer spürbaren Verteuerung der Mietzinse geführt: «Menschen, die seit Generationen hier wohnen, können sich gewisse Dinge einfach nicht mehr leisten, allem voran den Wohnraum.» Viele wohnen schon sehr lange im Quartier, weshalb sie nicht direkt von der Mietteuerung betroffen seien. Manchen gelinge ein Umzug innerhalb des Quartiers, wenn sie hier sehr gut vernetzt seien.

«Hier findet man muslimische Teesalons neben hippen Kaffeehäusern. Darin liegt für mich der Charme des Matthäusquartiers.»

Heike Oldörp, Stadtteilsekretariat Kleinbasel

Die Veränderungen bringen auch Vorteile: So habe zum Beispiel das Sicherheitsgefühl in der Feldberg- und Klybeckstrasse zugenommen, und die Lebensqualität steige im Quartier ganz allgemein, auch für jene Haushalte mit geringerem Einkommen. Zudem ist Oldörp guter Dinge, dass es dem Quartier gelingt, seine Vielfalt trotz Aufwertung zu bewahren: «Seit mehreren Jahrzehnten herrscht hier Aufbruchstimmung, und trotzdem haben wir noch immer ein bunt gemischtes Quartier – hier reihen sich muslimische Teesalons neben hippe Kaffeehäuser. Darin liegt für mich der Charme des Matthäus-Quartiers.»

Tradition und Innovation

Die kulturelle Vielfalt veranschaulicht sich besonders gut auf dem Matthäusplatz, dem familienfreundlichen Herzstück des Matthäus-Quartiers: Auf dem attraktiven Spielplatz spielen bei jedem Wetter Kinder unterschiedlicher Herkunft. Auf den Sitzbänken, die den Spielbereich rahmen, treffen sich türkische Omas mit ihren Thermoskannen zum Kaffeetrinken und junge Eltern widmen sich ihrer Lektüre.

Das einstige Arbeiterquartier wird von hippen Läden und Lokalen noch nicht überrollt. Das ist es wohl, was das Matthäus-Quartier so bunt und fröhlich, so widersprüchlich und doch authentisch macht – hier halten sich Tradition und Innovation die Waage.

Vielleicht ist das Matthäus-Quartier genau das – ein Beispiel dafür, dass es funktionieren kann: langsame Stadtentwicklung ohne aggressive Umwälzung, Aufwertung ohne massive Verdrängung der Ärmeren. Trotz der in Basel einmaligen Bevölkerungsdichte im Matthäus-Quartier scheint für alle immer noch genug Platz zu sein, um dem Quartier seinen vielschichtigen und doch unverkennbaren Charakter zu verleihen. Hier ist Basel zugleich weltoffen und chaotisch wie eine Grossstadt, aber auch charmant und identitätsbewusst wie ein Dorf.



Aus einem Hotspot der Stadt mit Restaurant und Club soll ein Wohnhaus werden: Das Haus an der Feldbergstrasse 47

Aus einem Hotspot der Stadt mit Restaurant und Club soll ein Wohnhaus werden: Das Haus an der Feldbergstrasse 47 (Bild: Hans-Jörg Walter)

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