In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo schwingen Golfer die Schläger entlang der Frontlinie des Bürgerkrieges von 1995. Das Spiel auf dem grünen Rasen ist ein Akt der Volksverständigung. Unser Autor hat abgeschlagen.
Vor vier Jahren suchte Jasna Sahbegovic nach einer neuen sportlichen Herausforderung. «Was hast du noch nie gemacht?», fragte sich die heute 31-Jährige, geboren in Sarajevos Olympiajahr 1984. Golf zum Beispiel. Die Jugendpädagogin bei der Staatsanwaltschaft in Sarajevo kannte niemanden, der das mal versucht hätte. Aber war da nicht ein Platz mit ein paar Bahnen, oberhalb der Stadt?
Sie fuhr hoch, versuchte es und fing Feuer. «Tolle Sache», sagt sie, «von Anfang an.»
Zwei Plätze gibt es in Bosnien-Herzegowina, einen mit 9 Loch im Süden nahe der kroatischen Grenze und eben diesen hier. Der Platz hat 6 Löcher. Zusammen sind das landesweit 15. Die meisten Anlagen weltweit haben 18 Loch. Bosnien-Herzegowina kann also auf 0,83 Golfplätze verweisen.
Dejan Saran stört das wenig. «Wir sind froh, haben wir diese kleine, hübsche Anlage», sagt der 48-jährige Golflehrer des Sarajevo Golf Klub bei Kaffee und Käsekuchen auf der ausladenden Clubhausterrasse. Bis zur Jahrtausendwende blieb das neu entstandene Land ohne jedes Fairway. «Es gab in ganz Jugoslawien keinerlei Golf-Tradition.»
Nur der Platz im slowenischen Bled existierte damals schon und einer nahe Titos Landsitz Brioni (heute ein Nationalpark) im heutigen Kroatien, der allerdings kaum genutzt wurde. «In Brioni», grinst Dejan, «gab es Pitchmarken, die waren 50 Jahre alt.» Pitchmarken sind die kleinen Abdruckstellen eines Balles, wenn er von hoch oben auf dem Grün landet.
Mitten in der multireligiösen Kakophonie
Sarajevo – die Wiege des Cevapcici – wo am 28. Juni 1914 das Attentat stattfand, das den 1. Weltkrieg auslöste, ist eine multiethnische Stadt (mehr dazu auch in unserem Wochenendlich aus Sarajevo). Klanglich ist das heute ein Erlebnis. Besonders abends und während des Ramadan ruft der Muezzin sehr lang und eindringlich. Genau genommen rufen viele Muezzins bei Sonnenuntergang durcheinander, weil im Talkessel von Sarajevo in Dutzenden Moscheen Allah gepriesen wird. Wenn dann noch die katholischen und die orthodoxen Kirchen die Glocken läuten lassen, entsteht eine ganz besondere multireligiöse Kakophonie.
Vor 20 Jahren dröhnten hier noch die Mörser und MG-Salven. Heute ist Sarajevo mit seinen 300’000 Einwohnern eine Stadt unzähliger Mahnmale, Erinnerungsorte und immer noch sichtbarer Wunden der Belagerung von 1992 bis 1996. Während des Kriegsmartyriums gab es mehr als 10’000 zivile Opfer (darunter 2000 Kinder), 50’000 Verletzte und unzählige lebenslang Traumatisierte und Verkrüppelte.
Als Folge des Krieges ist Bosnien eine Weltmacht im Rollstuhl-Basketball und im Sitzvolleyball.
Beim Hinflug ab Köln waren acht Rollstuhlfahrer jeden Alters an Bord: Acht von 150 Passagieren! Eine zynische Folge des Kriegs. Die sportliche Folge: Das kleine Bosnien-Herzegowina ist seit Jahren eine Weltmacht im Rollstuhl-Basketball und vor allem im Sitzvolleyball. Da gewann Bosnien mit seinen Kinder- und Jugendopfern von damals Paralympics-Gold in Athen 2004 und in London 2012 (2008 triumphierte mit dem Iran ein anderes Land mit fürchterlicher Kriegsgeschichte).
Ein Bild aus besseren Zeiten: Die Schweizerin Michaela Figini nimmt in angehockter Haltung eine Bodenwelle. Sie holte sich am 16. Februar 1984 bei den XIV. Olympischen Winterspielen von Sarajevo im Abfahrtslauf der Damen in 1:13,36 min die Goldmedaille. (Bild: KEYSTONE/EPU/Leonhardt)
Die Gemetzel auf dem Balkan sind Geschichte. Auch Sarajevo als Olympiastadt; im Winter 1984 war das. In den Andenkenläden hängen heute Tito-Poster neben Vucko-Plüschtieren, dem heulenden Maskottchen von damals. Vucko, das Wölfchen, hat übrigens ein Slowene kreiert.
Moos bedeckt, aber noch nicht vergessen: die Bobstrecke der olympischen Spiele in Sarajevo 1984. (Bild: EPA/FEHIM DEMIR)
Die Olympiastätten sind verrottet, teils wird noch vor Minen gewarnt. Auf dem Gelände im Südosten auf dem Berg Trebevic versuchen engagierte Bürger, die alten Rodelpisten wieder vom Gestrüpp zu befreien, zu kitten, zu spachteln, abzuschleifen. Irgendwann wollen die Enthusiasten des bosnisch-herzegowinischen Rennrodelverbandes (ja, den gibt es!) sie wieder nutzen. Bis zu funktionierenden Eiskanälen ist es noch ein weiter Weg. Auf kleinen Abschnitten klappt das mit Rollschuhen immerhin schon.
Auf 1,8 Kilometer reicht es schon für Rollen, wie die Extrem-Inliner 2007 bei einem Wettbewerb bewiesen. (Bild: SPORTS & NEWS / PREDRAG VUCKOVIC / HANDOUT)
Zurück zum Golf. Begleitet vom tollen Blick auf die Minarette-Stadt spielen wir die ersten sechs Löcher, lassen wegen der brütenden Hitze spitzfindig die Bahnen 7 bis 12 aus und machen uns dann an den Rest. Dejan (der 2006, wie er stolz berichtet, mit dem damals 17-jährigen Rory McIlroy, heute Weltranglistenerster, in Südafrika bei der Amateur-WM gespielt hat) jagt den Ball fast bis ins Tal, Jasna schwingt mit auffälliger Eleganz. Der Platz ist durchaus abwechslungsreich und wegen seiner immensen Schräglagen nur mit besonderer Demut zu spielen. Sonst ist der Ball im tiefen Gebüsch.
Einer von fünf bosnischen Profis
Dejan ist einer von genau fünf bosnischen «Pros» (zwei arbeiten in der Türkei). Er erzählt von 2004, als sie hier gerade von den ersten vier auf sechs Loch erweitert hatten: Da suchten, während Menschen ihre Bälle schlugen, Uno-Minensuchtrupps mit Metalldetektoren das Gelände ab; ein CNN-Team filmte das Spektakel mit den zwei verschiedenen Stocksorten. «Die Leute vom Fernsehen hatten vielleicht einen Spass!» Gefunden wurde götterlob nichts.
Dejan Saran ist einer von fünf Profis in Bosnien, wobei zwei in der Türkei arbeiten und leben.
Zehn Jahre vorher lagen in diesen Hängen die serbischen Tschetniks, der spätere Golfplatz war Frontlinie. Heute befindet sich hier sogar ein Biotop – betreten verboten wegen Naturschutz: auf den Bahnen 5, 11, 17. Gerade sind alle Sprenkler kaputt: Blitzeinschlag, Elektronik zerstört, 20’000 Euro Schaden. «Viel Geld für unseren kleinen Club», klagt Dejan. Es gibt nur etwa 100 Mitglieder.
Ein Schwung wie aus dem Bilderbuch: Jasna Sahbegovic hat ihren Schwung von Dejan Saran gelernt, die Leidentschaft für den Sport entwickelte sie selbst. Mindestens so sehenswert ist der Ausblick auf Sarajevo. (Bild: Jasna Sahbegovic)
Jasna lernte bei Dejan ihren schönen runden Schwung. Längst ist sie seine Assistentin beim kostenlosen Schulgolf einmal die Woche. «Die Kinder kommen klassenweise mit dem Bus hier hoch», erzählt sie, «und die finden das ganz toll.» Und beim bosnisch-herzegowinischen Golfverband mit seinen 133 aktiven Mitgliedern ist Jasna Sahbegovic mittlerweile Generalsekretärin.
Auf dem Golfplatz sind sich alle grün
Und die Politik, die Religion, die Ethnien, die das Land auch 20 Jahre nach dem Krieg noch trennen und blockieren? «Hier auf dem Golfplatz spielt das überhaupt keine Rolle», sagt Jasna, oft wisse man gar nicht, wer Bosniake sei, wer serbischer Herkunft. Und man wolle es auch gar nicht wissen. «Ist ja auch nicht wichtig beim Abschlagen und Putten.»
Ihr Name, sagt Jasna, habe zum Beispiel einen kroatischen Klang, ihre Eltern seien aber Muslime. Und sie selbst? «Atheistin.» Dejans Vater ist Muslim, die Mutter halb katholische Kroatin, halb orthodox. «Und ich bin Bosnier, fertig», sagt er. Ja, Muslim auch. Aber auch während des Ramadan dem Genuss zugetan: «Noch ein Bier bitte.»
Nein, sagt Jasna, Vorbehalte gebe es nicht. Bei den Leuten in Sarajevo nicht gegen Golf und untereinander im Club sowieso nicht, egal welcher Herkunft oder Religion man sei. Ist Golf völkerverbindend? «Ja», sagen sie wie aus einem Mund. Hier eher volksverbindend. Nur ein Vorbehalt sei bei ihr geblieben, sagt Jasna – gegen einzelne dichte Gebüsche am Rande des Platzes. «Da gehe ich lieber nicht rein, einen Ball suchen. Du weisst nie ganz sicher, was da noch liegt.»
Mehr als ein Sportplatz: Golf dient in Sarajevo auch der Volksverständigung. (Bild: Jasna Sahbegovic)
Golf Klub Sarejevo: 10 Autominuten von der City (Taxi 2,50 Euro), Greenfee: 3 Runden, 35 Euro; Tel. +387 33 261-110, Mail: office@golfsa.ba (deutsch, englisch)