Vor einem Jahr noch wurde dem spanischen Fussball der Niedergang prophezeit, jetzt spielen Real und Atlético Madrid um den Pokal der Champions-League. Die Geschichte spricht ganz für den Underdog.
Die Brunnen von Kybele und Neptun liegen in Madrid am selben Boulevard, nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt. Am einen Brunnen feiern die Fans von Real Madrid ihre Erfolge, an der anderen jene von Atlético Madrid. Wird der einen Gottheit gehuldigt, trägt die andere Trauer, scheint an der einen Quelle das Wasser zu tanzen, plätschert es an der anderen leise vor sich hin. In gut drei Wochen wird an einem der beiden Wochen erneut ein Fussballfest steigen, dann nämlich tragen die Stadtrivalen in Lissabon das Champions-League-Finale aus.
Es ist das erste Mal, dass in einem Europacup-Finale zwei Lokalrivalen aufeinandertreffen. Und weil die Teilnahme alleine Grund zum Feiern ist, erlebten diese Woche ausnahmsweise sowohl Fruchtbarkeitsgöttin als auch Meeresgott eine Party zu ihren Füßen. Einen Abend nach Real Madrids Machtdemonstration in München und dem ersten Finaleinzug seit 2002 feierten die Anhänger von Atlético am Mittwoch ihr erstes Finale seit 1974.
Atlético verlor ein einziges Final
Dass das 3:1 (1:1) ihrer Mannschaft bei Chelsea kaum weniger souverän erspielt wurde als das 4:0 des Nachbarn am Vorabend, mögen stellvertretend die Kommentare von José Mourinho verdeutlichen. Der Trainer der Londoner bringt für gewöhnlich ja einige Kreativität auf, um eigene Niederlagen mit Unglücken und Verschwörungen aller Art zu erklären. Am Mittwoch sagte er, Atlético habe seine Elf «hoch verdient eliminiert» und fügte hinzu: «Mein Respekt, sie sind eine große Mannschaft».
Nun trifft also der voraussichtliche spanische Meister, zwei Siege aus den letzten drei Partien genügen, auf den spanischen Pokalsieger Real. Der Arbeiterverein gegen den Nobelklub, der Underdog gegen die Weltmacht, rund 120 Millionen Euro Jahresetat gegen rund 500 Millionen. Die Geschichte spricht eindeutig für – Atlético. Von fünf nationalen Finals gegen Real verlor die Mannschaft ein einziges, nach Elfmeterschießen.
Zuletzt gelang 2013 im spanischen Pokalfinale ein 2:1 nach Verlängerung, und dass seine Elf derzeit keine Angst vor gar nichts hat, verdeutlichte Trainer Diego Simeone in London mit einem Zitat für die Ewigkeit: «Ich möchte den Mamas dieser Spieler dafür danken, dass sie sie mit so großen Eiern auf die Welt gebracht haben.»
Spanier stoppten Spanier
Das Finale erreichte Atlético ungeschlagen. Real verlor nur einmal, im Viertelfinal-Rückspiel gegen Dortmund (0:2). Der BVB kann stolz auf sich sein: es war die einzige Niederlage für ein spanisches Team überhaupt in der K.o.-Runde, denn Barcelona scheiterte an Atlético und der vierte Vertreter, Real Sociedad, war schon in der Gruppenphase ausgeschieden. Allein die Basken trüben damit eine Bilanz, die ansonsten in der Europacup-Geschichte einmalig sein dürfte. Auch in der Europa League nämlich mussten spanische Teams kommen, um spanische Teams zu eliminieren. Selbst das bereits als Absteiger aus der Primera División feststehende Betis Sevilla konnte erst vom Lokalrivalen FC gestoppt werden. Am Donnerstagabend bestimmten Sevilla und Valencia in ihrem direkten Halbfinal-Duell den zweiten Abgang.
Aber war da nicht mal was? Richtig, voriges Jahr wurde Spanien nach den Halbfinalniederlagen von Real und Barcelona gegen Dortmund und Bayern der beginnende Niedergang prophezeit – teilweise auch im eigenen Land. Die ewige Dominanz der beiden Überteams in der eigenen Liga würde ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen, und als dann ein Jahr nach Pep Guardiola mit José Mourinho auch noch der zweite Übertrainer das Land verließ, fürchteten Apokalyptiker schon den Abstieg zur Fußball-Provinz. Nach der Entzauberung der beiden Übungsleiter sieht es nun eher so aus, als sei Spanien zwei Dogmatiker los geworden, die ihrem eigenen Mythos verfallen sind.
Ohne Guardiola und Mourinho
«Nicht Pep, nicht Mou», schriebt die Zeitung «As»: «Vielleicht haben wir uns jahrelang zu sehr von der Persönlichkeit dieser beiden Männer blenden lassen. Dieses Halbfinale hat sie im Graben der natürlichen Stärke des spanischen Fußballs zurückgelassen.» Derweil erfreut die sozialen Netzwerke eine Montage mit einem Foto von früher, auf dem Mourinho seinem Rivalen Guardiola die Glatze tätschelt, und sagt: «Komm doch zu mir nach Hause und wir gucken das Finale zusammen am Fernseher.»
Der Europapokal 2014 – eine Hommage an Madrid und an eine Liga, die in ihrer spielerischen wie taktischen Qualität ihresgleichen sucht. Die nächste Schlussfolgerung liegt nahe, aber sie muss nicht unbedingt zutreffen: Für die Nationalelf und die WM könnte das Hurra im Klubfußball auch ein schlechtes Omen sein. 2008, 2010 und 2012, in den Jahren der Titelgewinne, fand das Champions-League-Finale jeweils ohne spanische Beteiligung statt.