Das Militär, dein Freund und Lebensmittel-Lieferant

Die ägyptische Armee sorgt für Strassen, Fleisch und Babynahrung. Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise übernimmt das Militär immer mehr zivile Aufgaben.

Egyptians gather to buy subsidised sugar from a government truck, after goods shortage in retail stores across the country and after the central bank floated the pound currency, in downtown Cairo, Egypt, November 7, 2016. REUTERS/Mohamed Abd El Ghany

(Bild: Reuters)

Die ägyptische Armee sorgt für Strassen, Fleisch und Babynahrung. Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise übernimmt das Militär immer mehr zivile Aufgaben.

«Die Armee beteiligt sich an gigantischem Farmprojekt» – solche Schlagzeilen liest man in Ägypten immer häufiger. Wo immer im Land der Pharaonen ein Problem auftaucht oder eine Krise die zivilen Behörden überfordert, wird die Armee zu Hilfe gerufen. So geschehen in den letzten Wochen bei den heftigen Überschwemmungen, als Militäreinheiten mit einem riesigen Aufgebot an schwerem Gerät anrückten. Die Soldaten pumpten Wasser weg und reparierten unterspülte Strassen, nachdem Kritik an den schleppenden zivilen Hilfsmassnahmen laut geworden war.

Unterstützung bei Naturereignissen passt ins Profil einer Armee – solche Einsätze kennen wir auch in der Schweiz. Doch in Ägypten übernehmen die Streitkräfte unterdessen noch ganz andere Aufgaben. Als vor einigen Wochen Dutzende Familien vor Apotheken und Spitälern protestierten, weil es keine subventionierte Babymilch zu kaufen gab, importierte die Armee eine beträchtliche Menge der Säuglingsnahrung, um den Mangel zu beheben.

Armee als Lebensmittelproduzent

Beim jüngsten Farmprojekt zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion beteiligt sich die Armee mit ihrem Produktionssektor an der Entwicklung von 1,5 Millionen Feddan (ein Feddan entspricht 0,42 Hektaren) Agrarland. Dieser Teil der Streitkräfte stellt von Gemüse und Fleisch über Teigwaren bis zu Dosenkonserven eine breite Palette von Produkten her. Die Mengen sind so gross, dass die Armee immer wieder günstige Grundnahrungsmittel auf den Markt werfen kann. Derzeit verkauft sie im ganzen Land acht Millionen Lebensmittelpakete zur Hälfte des Marktpreises. Die Begründung lautet regelmässig, man wolle den Monopolen und der Gier der privaten Produzenten entgegensteuern.

Klar ist auch das Bestreben, den Volkszorn über das einschneidende Wirtschaftsprogramm der Regierung vom 3. November möglichst gar nicht erst aufkommen zu lassen. Um einen Zwölf-Milliarden-Dollar-Kredit vom Internationalen Währungsfonds zu erhalten, war Kairo gezwungen, den Währungskurs des Pfundes freizugeben und die Subventionen auf dem Benzin zu kürzen. 

Die Folgen sind gravierend. Vor der Freigabe lag der offizielle Wechselkurs bei 8,8 Pfund pro Dollar, während auf dem Schwarzmarkt 13 Pfund verlangt wurden. Heute entspricht der frühere Schwarzmarktpreis dem offiziellen Wechselkurs. Die Folge ist eine Preisspirale, die sich immer schneller nach oben dreht und gegen 20 Prozent steuert. Am schwersten trifft es die Ärmsten – die Armutsquote liegt bereits bei über 27 Prozent – und die untere Mittelschicht, die in die Armut abzurutschen droht. Aber auch die besser Verdienenden haben Mühe ihren Lebensstandard zu halten, etwa das Geld für die Privatschulen ihrer Kinder aufzubringen.

Schon in den vergangenen Monaten haben die Preise der Lebensmittel kräftig angezogen, weil die Dollarknappheit die Geschäftsleute gezwungen hatte, sich auf dem Schwarzmarkt mit Devisen für ihre Importe einzudecken. Immer wieder kam es zu Engpässen. Seit Wochen gibt es zum Beispiel in den Supermärkten keinen Zucker zu kaufen.

Mit der Armee gegen «Akkumulation von Krisen»

Der Unmut in den Bevölkerung ist deutlich spürbar. Ein Protestaufruf am 11. November für eine «Revolution der Armen» verhallte aber noch ungehört. Damit das so bleibt, baut die Armee, die hohes Ansehen geniesst, ihr Engagement aus; eine Entwicklung, die vor allem unter Ökonomen umstritten ist. 

Präsident Abdelfattah al-Sisi hat vor wenigen Tagen die Kritik, die Armee stehe im Wettbewerb mit der Privatindustrie und wolle sich ein immer grösseres Stück vom Kuchen sichern, zu entkräften versucht. Er beteuerte, der Anteil der Armee an den ökonomischen Aktivitäten bewege sich lediglich zwischen 1 und 1,5 Prozent am Bruttoinlandprodukt und nicht wie einige Leute behaupteten zwischen 20 und 25 Prozent. Kein Ökonom vermag diese Angaben zu verifizieren. Über die Geschäfte des Militärs gibt es weder offizielle Zahlen noch verlässliche Schätzungen.

Die Armee müsse wegen der «Akkumulation von Krisen» bei nationalen Projekten eine wichtige Rolle spielen, erklärte Premier Sherif Ismail. Bis 2018 würden 1350 Vorhaben wie Strassen und Infrastrukturprojekte abgeschlossen und an die zivilen Behörden übergeben. Danach soll die Rolle der Armee kleiner werden.



A man smiles as he carries subsidized sugar and oil after buying them from a government truck, after goods shortage in retail stores across the country and after the central bank floated the pound currency, in downtown Cairo, Egypt, November 7, 2016. REUTERS/Mohamed Abd El Ghany

Hurra, Zucker und Öl: Dieser Mann konnte die begehrten Grundnahrungsmittel bei einer staatlichen Verteilaktion ergattern. (Bild: Reuters)

Vorerst steht aber ein gigantischer Ausbauschritt bevor. Die Armee übernimmt vom Planungsministerium das Smartcard-System, über das an 71 der 90 Millionen Ägypter Lebensmittelsubventionen verteilt werden. Wegen der hohen Inflation werden die Guthaben ab dem kommenden Monat um 15 Prozent erhöht.

Die elektronischen Smartcards waren 2014 eingeführt worden, um vor allem beim Brot Verschwendung, Missbrauch, Betrug und Korruption bei den Bäckereien zu unterbinden. Die Bäcker hatten subventioniertes Mehl in grossem Stil auf dem freien Markt verkauft. Vor einigen Monaten wurde aber bekannt, dass das System gehackt und weiterhin betrogen wurde, sodass der Staat mehr statt wie erhofft weniger Subventionen auszahlen musste. Jetzt solle die Armee das System weiterentwickeln, lautete die offizielle Begründung der Regierung.

Die Aufwendungen für die Lebensmittelsubventionen betragen jährlich rund 40 Milliarden Pfund (etwas mehr als 2,5 Milliarden Franken). Ein riesiger Betrag, der nun vom Militär verwaltet wird und das Gewicht der Streitkräfte in der ägyptischen Wirtschaft noch einmal massiv erhöht.

 

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