Zur Sanierung der Altersvorsorge setzt Bundesrat Alain Berset auf ein Massnahmenpaket, bei dem alle verlieren, um gemeinsam zu gewinnen. Wir sagen, was in seinem Paket drinsteckt. Sagen Sie uns, was Sie davon halten.
Die Menschen leben immer länger, gehen aber noch immer zum selben Zeitpunkt in Pension wie früher. Die Schweizer Altersvorsorge ist dadurch in finanzielle Schieflage geraten und muss reformiert werden. So weit besteht politisch grosse Einigkeit. Bundesrat Alain Berset hat nun ein Massnahmenpaket erarbeiten lassen. Gemeinsam gewinnen und gemeinsam verlieren lautet nun die Devise, nachdem Bersets Vorgänger alle mit Einzelvorlagen gescheitert sind (siehe Box). Will heissen: Mehrere Massnahmen in verschiedenen Bereichen sollen zusammen zu einer tragfähigen Altersvorsorge führen.
Im Zentrum der Überlegungen stehen höhere Beiträge zur Finanzierung (beispielsweise Mehrwertsteuer) sowie Anpassungen der Leistungen der ersten und zweiten Säule der Altersvorsorge (AHV und Pensionskassen). Das Paket ist politisch jedoch heftig umstritten. In ihm drin steckt Folgendes:
Anfang Nullerjahre macht der Bundesrat den Vorschlag, das Frauenrentenalter zu erhöhen. Zudem soll eine höhere Mehrwertsteuer die Finanzierung der Renten sichern. Das Volk verwirft die Vorlage 2004 mit fast 70 Prozent deutlich. Danach verbrennt sich alt Bundesrat Pascal Couchepin mit seiner Ankündigung des Rentenalters 67 für alle die Finger. Er krebst zurück, nur die Frauen sollen länger arbeiten – bis 65. Das Parlament versenkt die Reform 2010, ehe sie zur Abstimmung kommt. Auch die Senkung des Umwandlungssatzes für die Minimalrenten bei den Pensionskassen findet in einer Volksabstimmung 2010 keine Mehrheit. Die letzte erfolgreiche AHV-Revision gelang damit im Jahr 1994 unter Bundesrätin Ruth Dreifuss.
1. Frauen gehen später in Rente
Männer und Frauen sollen künftig im gleichen Alter in Rente gehen, im Regelfall mit 65 Jahren, womit Frauen ein Jahr länger arbeiten müssten als bisher. Der Zeitpunkt der Pensionierung wird für beide Geschlechter flexibler gestaltet: Die Pensionierung erfolgt je nach Wunsch zwischen dem 62. und dem 70. Altersjahr. Auch eine sogenannt gleitende Pensionierung ist möglich, also der sukzessive Abbau des Arbeitspensums. Je eher man kürzer tritt, desto kleiner fallen die Renten aus.
2. Die Pensionskassenrenten (2. Säule) werden gekürzt
Der Mindestumwandlungssatz der Pensionskassen wird gesenkt. Dies hat einen Rentenabbau zur Folge und funktioniert so: In der Pensionskasse wird ein Altersguthaben angespart. Dieses wird zum Zeitpunkt der Pensionierung mit dem Umwandlungssatz multipliziert, woraus sich die jährliche Pensionskassenrente ergibt. Jemand, der in der zweiten Säule 200’000 Franken angespart hat, erhält beim aktuellen Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent eine Minimalrente von 13’600 Franken jährlich. Sinkt der Umwandlungssatz auf sechs Prozent wie vorgeschlagen, sinkt auch die Rente auf 12’000 Franken pro Jahr.
3. Alle zahlen eine höhere Mehrwertsteuer
Um das bestehende Loch zu stopfen, soll auch die Mehrwertsteuer angehoben werden. Der Bundesrat schlägt eine Erhöhung von maximal 1,5 Prozent vor. In einem ersten Schritt würde die Steuer aber nur um ein Prozent erhöht. Erst bei nachweisbarem finanziellem Bedarf käme es in einem zweiten Schritt zur Ausschöpfung der vollen 1,5 Prozent. Weil es sich bei der Mehrwertsteuer um eine proportionale Steuer handelt, trifft die Erhöhung Menschen mit tiefem Einkommen stärker.
4. Die AHV erhält eine Ausgabenbremse
Die AHV soll künftig mit einem automatischen Interventionsmechanismus ausgestattet werden. Dieser soll die Liquidität sicherstellen und funktioniert so: Sinkt der Stand des AHV-Ausgleichsfonds unter 70 Prozent der jährlich ausbezahlten Renten, werden automatisch Massnahmen ausgelöst. Einerseits werden dann die Beiträge erhöht, andererseits wird die regelmässige Anpassung der Renten an die Teuerung leicht eingeschränkt. Dies so lange, bis der Fonds wieder mit einem Betrag in der Höhe von 70 Prozent der ausgeschütteten Renten aufgefüllt ist.
5. Niedriglohn- und Teilzeitarbeiter profitieren
Der sogenannte Koordinationsabzug bei den Pensionskassen (2. Säule) wird abgeschafft. Dieser liegt für das Jahr 2014 bei 24’750 Franken. Jahreslöhne in diesem Bereich waren bisher nur minimal versichert. Solche, die deutlich unter dem Betrag lagen (weniger als 21’060 Franken), waren es gar nicht. Sie werden bei den Einzahlungen und später bei der Rentenberechnung künftig besser gestellt. Zudem soll die Zutrittsschwelle für die AHV (1. Säule) gesenkt werden. Bisher wurde in der AHV versichert, wer jährlich mehr als 21’000 Franken verdient. Die neue Schwelle läge bei 14’000 Franken. Von diesen Änderungen profitieren Personen mit sehr tiefem Einkommen oder mit (mehreren) kleinen Pensen. Der Bundesrat hofft, dass davon insbesondere Frauen profitieren würden.
6. Witwen verlieren, Waisen gewinnen
Witwen- und Waisenrenten werden neu organisiert. Witwen erhalten nur noch dann Geld, wenn ihre Kinder zum Zeitpunkt des Todes des Partners minderjährig sind oder – im Falle einer Ausbildung – unter 25-jährig. Auch Witwen mit pflegebedürftigen Kindern haben weiter Anspruch auf die Unterstützung. Jedoch sinkt der ausbezahlte Betrag der Witwenrente: Er beträgt neu 60 Prozent der ordentlichen AHV-Rente des Verstorbenen. Bisher erhielten Witwen 80 Prozent. Dafür werden die Beiträge an Waisen erhöht. Diese erhalten neu 50 Prozent der ordentlichen AHV-Rente des verstorbenen Elternteils (bisher 40 Prozent).
7. Gut verdienende Selbstständige zahlen mehr
Selbstständigerwerbende würden künftig die gleichen Beiträge in die AHV einzahlen wie Angestellte. Bisher sanken die AHV-Beiträge für Selbstständige mit zunehmendem Einkommen (degressive Skala). Selbstständigerwerbende mit einem hohen Einkommen würden im Vergleich zu heute mehr zahlen.
8. Die Pensionskassen erhalten weniger Gewinn
Die Pensionskassenanbieter dürfen weniger Geld für sich beanspruchen. Bisher durften sie zehn Prozent des erwirtschafteten Gewinns abschöpfen, neu wären nur noch acht Prozent zulässig. Das zusätzliche Geld käme entsprechend den Versicherten zugute.
Zu all diesen Massnahmen hinzu kommen weitere Änderungen, etwa eine Vereinfachung der Finanzflüsse zwischen Bund und der AHV, sowie eine Erschwerung, vor dem 62. Altersjahr (Frühpensionierung) eine AHV-Rente zu beziehen.
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Der Streit der politischen Kräfte über Alain Bersets Reformpaket könnte dazu führen, dass es erneut zu keiner Lösung in der reformbedürftigen Altersvorsorge kommt. Matthias Strasser verlangt in seinem Kommentar deshalb: Um den Status quo, den keiner will, zu ändern, sollen die politischen Kräfte dem Reformpaket zu einer Chance vor dem Volk verhelfen. Ist das Paket dafür aber auch klug genug geschnürt? Wo sehen Sie noch Schwächen? Oder würden Sie dem aktuell vorliegenden Paket zustimmen? Diskutieren Sie mit!