Das verflixte zweite Mal

All die Tränen, all die Flüche und Verwünschungen – es gibt kaum Interessanteres als einen zweiten Wahlgang bei Basler Regierungswahlen.

Exit-Präsidentin Saskia Frei setzt sich für die Liberalisierung des Altersfreitods ein und diskutiert am Basler Freiheitspodium (6. November) über das Thema. (Bild: STEFFEN SCHMIDT)

All die Tränen, all die Flüche und Verwünschungen – es gibt kaum Interessanteres als einen zweiten Wahlgang bei Basler Regierungswahlen.

Der Nägelin wird es in den Zweiten schaffen und sich dann zurückziehen. Der Haller wird es im Zweiten noch einmal versuchen, bei Dürr wird es vielleicht gar nicht mehr nötig sein, und bei Morin? Tja, das wissen selbst jene nicht, die sich ernsthaft und lustvoll mit der Basler Politik auseinandersetzen.

Sicher ist: Nach den Wahlen vom 28. Oktober wird nicht die gesamte Basler Regierung bestellt sein. Gewissheit haben die Stimmbürger erst nach dem zweiten Wahlgang vom 25.  November. Zum Glück!

Zweite Wahlgänge sind jene seltenen Momente im Leben eines Politikers, in denen er auf menschliches Mass zurückgestutzt wird. Im besten Fall, im für den Aussenstehenden besten Fall wohlgemerkt, offenbart die vorläufige Niederlage Einblicke in Abgründe, die der Politiker bei seiner täglichen Arbeit tunlichst versteckt.

Selten schöne Momente

Unvergessen das verrutschte Gesicht von Hanspeter Gass, als er 2008 sein Scheitern im ersten Wahlgang gewahrte; unvergessen die hasserfüllte Pressekonferenz der FDP 2006, als die Kandidatin Saskia Frei über sich selbst und die Verstrickungen ihres Mannes stolperte und allen die Schuld gab – nur nicht sich selber. Unvergessen auch die schwer deutbare Leere auf dem Gesicht von Hans Martin Tschudi, als er 2004 plötzlich nicht mehr mochte.

Die Basler Regierungsratswahlen der vergangenen zwölf Jahre und vor allem die zweiten Wahlgänge haben einige solche Momente geboten. Es sind jene Momente, welche die traditionell lau gewordenen Wahlkämpfe vergessen machen.

Schaller geht

In der jüngeren Basler Geschichte sind dabei vor allem die Wahlen von 2004, 2006 und 2008 von Interesse. Aber bereits zur Jahrtausendwende forderte der zweite Wahlgang ein prominentes Opfer. Nachdem Baudirektorin Barbara Schneider im ersten Wahlgang 2000 das absolute Mehr um nur zwei Stimmen verpasst hatte und mit Veronica Schaller und Hans Martin Tschudi auf die Ehrenrunde musste, setzte die SP ihre Hoffnung auf das Frauendoppel Schneider/Schaller und wurde enttäuscht.

Schneider und Tschudi schafften die Wiederwahl deutlich, Schaller musste gehen. Zu stark hatte die Erziehungsdirektorin polarisiert, und selbst innerhalb der SP war die Klage über den verlorenen Sitz relativ leise. Rasch freundete man sich mit der Rolle als Oppositionspartei und dem neuen liberalen Erziehungsdirektor Christoph Eymann an.

2004 «Hamatschu» gibt auf

Keine vier Jahre später änderte sich die Rolle von Rot-Grün wieder fundamental. Grund dafür war der überraschende Rückzieher von Hans Martin Tschudi. Seit seiner Wahl in den Regierungsrat 1994 musste «Hamatschu» jedes Mal in einen zweiten Wahlgang – so auch nach den Wahlen von 2004. Am Montag nach den Wahlen sah es noch so aus, als wäre es wie immer, seine Partei rechnete fest mit ihm. Am Dienstag ebenfalls, «wir haben gute Chancen», sagte der damalige Parteichef. Aber am Mittwoch war es dann vorbei. Tschudi zog sich aus «persönlichen und politischen Gründen» zurück.

Angst. Angst zu verlieren. Angst vor Häme. «Ich will selbst über mich entscheiden», sagte er später in einem Interview. Seine Parteifreunde von der DSP sagten andere Dinge, nicht sehr nette. Nach dem Rückzieher von Tschudi war es um die Partei geschehen (bis zum endgültigen Niedergang dauerte es allerdings noch fünf mühselige Jahre) und der Weg war frei für die erste rot-grüne Mehrheit in der Stadt seit über 50 Jahren.

Jammernde Bürgerliche

Seither sind es vor allem die Bürgerlichen, die sich schwer mit zweiten Wahlgängen tun. «Diese Stadt ist krank», jammerte der FDP-Wahlkampfleiter im Februar 2006, als das Resultat der Ersatzwahl für den Sitz von Jörg Schild bekannt gegeben wurde. Saskia Frei verpasste das absolute Mehr deutlich und zog sich zurück. Wütend, enttäuscht, verletzt. Sie hatte im Wahlkampf mit ihren Ansagen zur Sozialpolitik den Zorn der Linken auf sich gezogen und wurde zusätzlich durch die Mandate ihres Mannes im Rotlicht-Milieu in die Bredouille gebracht.

Es übernahm: Hanspeter Gass. Und auch er machte die unschöne Erfahrung, auf eine zweite Runde geschickt zu werden. Es habe Kampagnen gegen ihn gegeben, sagte ein verletzter Gass nach den Wahlen 2008, das Porträt in der «Basler Zeitung» sei «arg tendenziös» gewesen (online nicht verfügbar), seine Leistung bei der Euro 2008 zu wenig gewürdigt geworden. Ein wunderbares Gejammer, aber nicht sein finales. Sämtliche anderen Kandidaten zogen sich damals zurück, Gass wurde in stiller Wahl bestätigt.

Grossartige Aussichten

Dieses Szenario wird uns im Herbst erspart bleiben. Vielmehr darf man sich auf einen der spannendsten zweiten Wahlgänge überhaupt freuen. Die bürgerlichen Herausforderer (neben Dürr, Haller und Nägelin tritt Emmanuel Ullmann von der GLP an) dürften das absolute Mehr nicht auf Anhieb schaffen. Muss zusätzlich einer der Bisherigen auf die Zusatzrunde (bei Morin sind wir uns einfach nicht so sicher), dann wird das: grossartig. Und etwas brenzlig für die rot-grüne Mehrheit.

Quellen

Die Basler Wahlen im Rückblick

«Onlinereports» über die Wahlen 2000

Der Rückzug von Hans Martin Tschudi bei «Onlinereports» und auf SF

Der «Tages-Anzeiger», die «Tagesschau» und «Onlinereports» über Saskia Frei

Hanspeter Gass und der zweite Wahlgang bei der BaZ und beim «Webjournal»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.08.12

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