Den Goldrausch gibt es nur für die Sportler

Mit dem Hoch im Baugewerbe und einem Anstieg der Touristenzahlen sollten die Olympischen Spiele Grossbritannien wieder auf Wachstumskurs bringen. Aber der Blick zurück lässt vermuten, dass das Gegenteil der Fall sein wird.

Schöne neue Sportwelt: Das Olympiastadion in Stratford. Die olympischen Bauten sind in die Höhe gewachsen – die britischen Wirtschaftszahlen werden kaum folgen. (Bild: fotopress)

Mit dem Hoch im Baugewerbe und einem Anstieg der Touristenzahlen sollten die Olympischen Spiele Grossbritannien wieder auf Wachstumskurs bringen. Aber der Blick zurück lässt vermuten, dass das Gegenteil der Fall sein wird.

Als London das letzte Mal Austragungsort der Olympischen Spiele war, steckte Grossbritannien in einer schweren finanziellen Krise und war bis über beide Ohren verschuldet. 1948 taumelte das Land nach sechs Jahren Krieg, der die Staatskassen ausgetrocknet hatte. Es wurden keine neuen Stadien gebaut für die «Spar-Spiele»: Wembley wurde zum Leichtathletik-Stadion, nachdem die Organisatoren 800 Tonnen Asche über die Hunderennbahn geschüttet hatten.

Mehr als 60 Jahre später ist zwar das strahlende Olympiastadion in Stratford neu, die ökonomischen Umstände aber sind ähnlich. Das Land ächzt unter dem Gewicht der Schulden; Europa ist bankrott, und die Regierung fährt einen mordsmässigen Sparkurs.

Ende Juli zeigten die Zahlen, dass die Wirtschaft tiefer in die Rezession gerutscht ist. Vielleicht braucht Grossbritannien viel mehr als viele Goldmedaillen – zum Beispiel ein paar Geschäftsabschlüsse seiner Firmen.

Zu diesem Zweck ist die Olympische Flagge über dem Lancaster House in London gehisst worden. Das historische Gebäude, einen Steinwurf vom B­uckingham Palace entfernt, ist Schauplatz einer Folge von Treffen, an denen die britische Regierung die Spiele nutzen will, um die Werbetrommel für die britische Wirtschaft zu rühren.

Es soll mehr bleiben als die Slogans

Offiziell kosten die Spiele den Steuerzahler knapp 14 Milliarden Franken. Da will die Regierungskoalition, dass die Londoner Spiele mehr einbringen als ein paar Weltrekorde. Die Organisatoren hoffen, dass vom Spektakel neben wohlfeilen Slogans auch ein Schub für die Wirtschaft bleiben wird, der 4,6 Milliarden Franken wert sein soll. Zwei Drittel davon sollen aus steigenden Tourismuseinnahmen kommen. Der Rest, indem ausländische Investoren angezogen werden.

Premierminister David Cameron brachte die Dinge am 26. Juli mit der grössten Investmentkonferenz ins Rollen, die jemals in Britannien abgehalten worden ist. Der Anlass war ein Who’s Who des globalen Wirtschaftssystems. Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds IWF, stand Schulter an Schulter mit Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, und Angel Gurria, dem Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit OECD. Daneben gab es einen eindrücklichen Aufmarsch von Wirtschaftsführern, mit Google-CEO Eric Schmidt und John Chambers, CEO von Cisco.

Zum Mittagessen genossen 400 Gäste ein britisch-angehauchtes Menü des Sternekochs Tom Aiken mit Gängen wie Krabbensalat oder Vanille-Crème mit Apfelkonfitüre. Währenddessen war Boris Johnson für die Unterhaltung zuständig. Der Bürgermeister von London strich die Vorzüge der Hauptstadt heraus.

Nettigkeiten und Drohungen

Thema in der Halle waren danach die Vorteile, die Grossbritannien Firmen bietet. «Wir lieben Britannien», sagte Schmidt, «die Regierung konzentriert sich darauf, die Kreativität von jungen Unternehmern freizusetzen.» Chambers meinte, Britannien sei hinter Kanada die Nummer 2, wenn es um Erleichterungen für Firmen gehe.

Aber in die Nettigkeiten mischten sich Drohungen von Wirtschaftsführern, die warnten, sie könnten ihre Betriebe auch sofort in andere Länder verlagern. «Globale Firmen werden dorthin gehen, wo das Wachstum stattfindet», sagte Schmidt, «wir werden von einem Ort, an dem die Regierung das Falsche tut, wegziehen. Hin an einen Ort, wo eine Regierung die richtigen Dinge tut.» Und Chambers fügte drohend an: «Arbeitsplätze werden mit gewaltiger Geschwindigkeit verschoben. Länder oder Firmen, die das nicht begreifen, werden abgehängt.»

Die neuesten Zahlen des Bruttoinlandproduktes in Grossbritannien zeigten einen alarmierenden Abschwung von 0,7 Prozent im zweiten Quartal 2012. Schlechte Zahlen in Produktion und Baugewerbe sowie der zusätzliche Feiertag zum 60. Thronjubiläum der Queen sollen verantwortlich sein.

Und nur wenige aus dem Finanzsektor glauben, dass die Olympischen Spiele mehr bringen werden als eine kurzzeitige Erholung. Michael Saunders von der Citibank ist ehrlich: «Aus unserer Sicht werden die Spiele sicher sehr unterhaltsam. Aber sie haben nichts mit Wirtschaftspolitik zu tun.»

Wachstum bleibt ein Strohfeuer

Saunders hat die Daten von zehn Olympischen Spielen zwischen 1964 und 2008 untersucht. Er kommt zum Schluss, dass der Effekt von steigendem Wirtschaftswachstum, der im Vorfeld der Spiele zu beobachten ist, schon vor ihrem Beginn wieder abflacht. Nach dem Ende der Spiele tendiert das Wirtschaftswachstum sogar dazu, sich zusätzlich abzuschwächen.

Diesen Trend erklärt er damit, dass viele der positiven Effekte, die die Spiele mit sich bringen (etwa neue Arbeitsplätze während der Bauphase) längst vorbei sind, wenn die Eröffnungszeremonie stattfindet. Die negativen Effekte dagegen (etwa sinkende Produktivität, weil die Briten an die TV-Schirme gefesselt sind) wirken sich erst während und nach den Spielen aus.

Ökonomen sagen auch, es sei zu einfach, zusätzliche Einnahmen durch ausländische Besucher zu erwarten. Hier würden jene Touristen nicht einberechnet, die sowieso ins Land gereist wären und nun einfach den Zeitpunkt ihrer Ferien geändert haben. Austra­lien stellte zum Beispiel während der Spiele in Sydney im September 2000 bei den Kurzzeit-Besuchern eine Steigerung um 16 Prozent fest. Doch danach sanken die Besucherzahlen während dreier Jahre.

Nur halb soviele Touristen wie üblich

In London schrillten nach der ersten Woche der Spiele gar die Alarmglocken: Statt der üblichen 300 000 Touristen kämen im olympischen Monat bloss 150 000 nach London, hat die European Tour Operations Association ausgerechnet. Hotels und Restaurants klagten über massive Geschäftsrückgänge, die berühmten Londoner Museen waren so menschenleer wie kaum einmal.

Kurzfristig drohen die Spiele in London für den Tourismus sogar zum Verlustgeschäft zu werden. Und auch der langfristige Blick der Ratingagentur Moody’s verspricht nichts Positives. «Wir denken, dass die Spiele Grossbritannien keinen substanziel-len makroökonomischen Aufschwung bringen», sagt Analyst Richard Morawetz. Den Einfluss der Infrastrukturprojekte sei «bereits vorüber». Und der Anteil des Tourismus am Bruttoinlandprodukt von 2,3 Billionen Franken soll bei 156 Milliarden Franken verharren.

Barcelona als glänzendes Vorbild

Dabei gibt es sie, die positiven Beispiele aus der Vergangenheit: Oft werden die Spiele von 1992 als glänzendes Vorbild dafür herangezogen, wie sehr ein Gastgeber von den Spielen profitieren kann, um sich zum Besseren zu wandeln. Im Falle von Barcelona veränderte sich eine heruntergekommene Industriestadt zu einer von Europas Top-Kultur-Destinationen.

Auch deswegen ist Colin Stambridge optimistisch. «Der nächste Schritt ist, auf der olympischen Welle um die Welt zu reiten, um zu Geschäftsabschlüssen zu kommen», sagt der Vorsteher der Londoner Handelskammer, «die ­Australier haben das besser als alle anderen getan. Sie nutzen noch heute den Schwung der Spiele von Sydney.»

Professor Stefan Szymanski, Spezialist für Öknomie im Sport, von der Universität Michigan macht da weniger Mut. Er sagt, die wissenschaftlichen Beweise würden «ziemlich eindeutig» zeigen, dass die wirtschaftlichen Vorteile für den Gastgeber eines grossen Sportanlasses unwesentlich seien.

«Regierungen wollen Gastgeber solcher Veranstaltungen sein, weil sie mit einem hohen Prestige verbunden und bei der Wählerschaft populär sind», sagt Szymanski, «wenn Sie mir sagen, dass Sie ein Fest haben werden, dann ist das wunderbar. Aber wenn Sie mir sagen, dass Sie eine Party haben und gleichzeitig reich werden, dann glaube ich Ihnen nicht.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.08.12

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