Den Spitälern fehlen Medikamente

Das Uni-Spital Basel und die Baselbieter Kantonsspitäler beklagen Lieferengpässe bei Medikamenten. Für Pharmafirmen ist es schlicht zu wenig lukrativ, diese in genügenden Mengen herzustellen.

Erst ab Umsätzen von einer halben Million Franken auf dem Schweizer Markt rentiert die Herstellung eines patentfreien Medikamentes. (Bild: Keystone)

Das Uni-Spital Basel und die Baselbieter Kantonsspitäler beklagen Lieferengpässe bei Medikamenten. Für Pharmafirmen ist es schlicht zu wenig lukrativ, diese in genügenden Mengen herzustellen.

In den letzten zwölf Monaten sei die Situation eskaliert, erklärt Andreas Bitterlin, Sprecher des Universitätsspitals Basel. Es geht um Lieferengpässe bei Medikamenten. Insgesamt konnte das Spital im letzten Jahr 153 Präparate zeitweise nicht beschaffen. Betroffen waren Medikamente quer durch alle Disziplinen: Antibiotika, Medikamente gegen Krebs, Augenkrankheiten oder Mittel für die Anästhesie.

Pro Woche musste die Spitalapotheke im Durchschnitt drei Mal Ersatz­medikamente beschaffen. Das braucht Zeit, denn meist sind diese Medikamente auch von allen anderen Spitälern gesucht und deshalb rasch auch bei den Ersatzlieferanten ausverkauft. «Diese Engpässe sind für das Spital aufwendig, aber vor allem für die ­Patienten höchst unangenehm», weiss Sprecher Bitterlin.

Denn für Kranke, die auf ein anderes Medikament umsteigen müssen, steigt das Risiko von Nebenwirkungen, auch wenn der eigentliche Wirkstoff derselbe bleibt. Kommt dazu, dass beim medizinischen Personal die Gefahr von Verwechslungen und Überdosierungen steigt. «Das Risiko eines Fehlers nimmt zu, wenn sich das Personal nicht auf ein eingespieltes Schema abstützen kann und stark unter Druck steht», sagt Bitterlin.

Knapp sind ältere Medikamente

Bis jetzt konnten die Spitalapotheker immer noch irgendwie ein anderes Medikament mit demselben Wirkstoff auftreiben, doch dies wird immer schwieriger. Dieselbe Erfahrung machen auch die Verantwortlichen der Spitalapotheken der Baselbieter Kantonsspitäler.

In einem Artikel der Mai-Ausgabe des Fachmagazins «pharmaJournal» (siehe Rückseite dieses Artikels) schlagen Spitalapotheker Alarm. Die «SonntagsZeitung» nahm diese Kritik auf und rief eine Medikamentenkrise aus. Das Bundesamt für Gesundheit reagierte und berief eine Arbeitsgruppe ein. Die Begründungen der Hersteller für Lieferengpässe sind so vielfältig wie die Farbe der Pillen: Einmal fehlt es an Rohstoffen in genügender Qualität, dann ist das Wasser der Produk­tionsanlage verseucht oder die Nachfrage nach einem Medikament plötzlich sprunghaft angestiegen. Auffallend sei, dass die Lieferengpässe fast ausschliesslich bei älteren Produkten mit seit Längerem bekannten Wirkstoffen auftreten würden, schreiben die Spitalapotheker.

Verlustgeschäft mit Pillen und Pulver

Und genau hier liegt das eigentliche Problem: Es geht um Medikamente, die zu wenig rentieren. Der Schweizer Markt mit eigener Zulassung ist für Hersteller von Medikamenten mit wenig Umsatz nicht interessant. Salvatore Volante, ehemaliger Geschäftsführer einer Pharmafirma und heute Berater von Pharmafirmen und Unternehmen im Gesundheitswesen, hat ausgerechnet, dass ein patentfreies Medikament auf dem Schweizer Markt mindestens einen Umsatz von einer halben Million Franken erzielen muss, damit es nicht zum Verlustgeschäft wird. Diese Schwelle werde von über der Hälfte der in der Schweiz verkauften Generika, wenn überhaupt, nur knapp erreicht, so der Pharmaberater.

«Natürlich produzieren Pharmafirmen für das Wohl von Patienten. Sie müssen aber auch Gewinn erzielen, um Löhne zahlen und Kosten decken zu können», sagt Volante. Viele Pharmafirmen hätten ihre Herstellungskosten optimieren müssen, weil die Preise jedes Jahr weiter gesunken seien. Medikamente, die nur noch eine geringe Marge erzielen, produzieren Pharmafirmen zentral nur noch ein- bis zweimal im Jahr. Die Produktionsmaschinen einzurichten und anzuwerfen, lohnt sich erst ab einer bestimmen Menge.

Sprunghafter Anstieg

Empfiehlt eine Fachkommission zur Behandlung plötzlich ein bestimmtes Medikament, steigt die Nachfrage sprunghaft an. Oder es kommt zu einem Engpass, wenn eine Krankheit plötzlich gehäuft auftritt. Verschärft wird die Situation dadurch, dass Me­dikamenten-Verteiler, die Hersteller selbst oder Spitalapotheken die Lager abgebaut haben, um ihre Kosten zu senken.

Schuld an der Situation sind für den Pharmaberater nicht knallhart kalkulierende Pharmafirmen, die Engpässe seien vielmehr die Folge einer «ver­fehlten Gesundheitspolitik». «Weil die Hersteller viele bewährte Medikamente nicht mehr kostendeckend herstellen können, kommt es zu diesen Engpässen und die Patienten bekommen nicht mehr jedes Medikament», meint der Pharmaberater.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25.05.12

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