Der Abstieg eines SVP-Shootingstars

Alexander Gröflin war auf bestem Weg, eine grosse Politkarriere in der Basler SVP hinzulegen. Dann lernte er die Welt ausserhalb des Parlaments kennen. Das Porträt eines Eigensinnigen.

«Ich bin kein Parteisoldat» – SVP-Grossrat Alexander Gröflin hat sich mit seiner Partei angelegt – und bezahlt den Preis dafür.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Alexander Gröflin war auf bestem Weg, eine grosse Politkarriere in der Basler SVP hinzulegen. Dann lernte er die Welt ausserhalb des Parlaments kennen. Das Porträt eines Eigensinnigen.

2008 war Alexander Gröflins Welt eine einfache. Überzeugt trat er ans Rednerpult des Grossen Rats und verlangte, die Basler Regierung solle ihre Entwicklungshilfe zurückstutzen: «Diese Gelder versinken in korrupten Regimes.»

Im Februar dieses Jahres steht Gröflin auf der rostbraunen Erde Kameruns. Er wischt sich den Schweiss von der Stirn und mustert zufrieden den Ziegelbau vor ihm, die neue Dorfschule in Mbengue. Gebaut unter anderem mit 30’000 Franken, die Gröflin von der baselstädtischen Entwicklungshilfe erhalten hat. Die Welt des einstigen Shootingstars der Basler SVP hat sich verändert.

Mit 30 Jahren schon verbraucht

Im Herbst will er nochmals als Grossrat bestätigt werden, zur Überraschung vieler Ratskollegen. Denn Gröflin ist in seiner Partei isoliert. Aus dem Vorstand ist er unlängst ausgetreten, bei den grossen Themen bleibt er aussen vor, er sitzt in keiner wichtigen Kommission. Gröflin ist gerade mal 30 Jahre alt und doch ist seine Politkarriere bereits am Ausklingen.

Spricht Gröflin über sein Leben, hört sich das an, als kämen die Worte aus der HR-Abteilung eines mittelgrossen Konzerns und als würden sie einem Angestellten gelten: «Mein maximaler Einsatz beträgt 100 Prozent. Verschiebe ich den Balken in die eine oder andere Richtung, bleibt für andere Dinge weniger Zeit. Ich muss meine Energie dort einsetzen, wo ich meine Zukunft sehe.»

Pflichtschuldig in die Privatwirtschaft

Die eine Richtung: Das ist vor allem sein Beruf. Gröflin arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Departement für Mathematik und Informatik der Universität Basel. Gerade betreut er eine Bachelor-Arbeit, die die Anzeigetafeln der BVB-Tramlinien untersucht. Daneben schreibt er seine Dissertation. «Um mich weiterzuentwickeln, möchte ich danach in die Privatwirtschaft», sagt er und es klingt pflichtschuldig.

Eine Chance geben: Alexander Gröflin mit dem Verein «Give a Chance» im kamerunischen Mbengue.


Einen ordentlichen Teil seiner Einsatzprozente steckt Gröflin auch in ein Entwicklungshilfeprojekt. Über einen Studienfreund ist er in den Verein «Give a Chance» gerutscht. Dieser finanziert über Kultur- und Jugendevents in Basel Schulprojekte in Kamerun. Nach der Sanierung der Dorfschule in Mbengue hat der Verein eine weitere reparaturbedürftige Schule identifiziert. Gröflin hat seine Meinung zur Entwicklungshilfe revidiert: «Gute Projekte geben Menschen die Chance auf eine Zukunft im eigenen Land», sagt er. «So müssen sie die grossen Gefahren nicht auf sich nehmen, um nach Europa zu gelangen.»

Gröflin ist mit der Realität ausserhalb des Parlaments in Kontakt gekommen und er hat seine Schlüsse daraus gezogen. Etwa diesen: «Dass in Parlamenten viele politisieren, die keine Ahnung haben von den Dingen, die sie entscheiden.» Gröflins Frust in der Politik ist über die Jahre gewachsen, auch wenn er das bestreitet. 

Der Anständige unter Krawallmachern

Dabei hat alles so verheissungsvoll begonnen. Gröflin trat der Basler SVP bei, als sich diese in ihrer neolithischen Phase befand. Parteipräsidentin Angelika Zanolari wollte aus dem krawalllustigen Haufen Zukurzgekommener eine seriöse Partei formen. Der gebildete, ruhige, anständige Gröflin kam wie gerufen.

Bereits mit 21 rückte er in den Grossen Rat nach, wo der heutige SVP-Präsident Sebastian Frehner seinen Arm um ihn legte. Gröflin beschied man eine grosse Karriere. Man platzierte ihn erst im Präsidium der Jungen SVP, später in der einflussreichen Finanzkommission des Grossen Rats. Gröflin politisierte auf Linie. Will heissen: stramm rechts. Er liess aggressive Plakate aufhängen, als Basel über das Ausländerstimmrecht debattierte. Eine Burkagestalt, ein frech lachender junger Schwarzer, ein mediterraner Kleinkrimineller.

Im Rat reichte er Vorstoss um Vorstoss ein, in manchen Sitzungen waren es vier oder fünf – auch Eric Weber bringt es heute nicht auf wesentlich mehr. Die grosse Show um Aufmerksamkeit.

Ausgrabungen mit der Mutter

Aber Gröflin beteuert, er habe sich nie verbogen. Schon als Jugendlicher sei er in seinen Meinungen gefestigt gewesen. Sein Elternhaus war bürgerlich geprägt, der Vater Hausarzt und die Mutter Archäologin. Viele Male nahmen sie ihn mit zu Ausgrabungen in Ägypten. Zurück in der Schweiz fühlte er sich manchmal fremd. Gröflin fuhr viel Mountainbike, «doch mit der Clique, die nach der Tour hinter dem Baum eins gekifft hat, konnte ich nichts anfangen».

Gröflin vertrat Ansichten, mit denen er in seiner Jugend oft alleine dastand. Er beklagte die Einwanderung in die Schweiz, fürchtete sich vor der «10-Millionen-Schweiz». Hatte er nie eine rebellische Phase? «Auch ich habe meine Jugendsünden begangen, bin nachts auf dem Fahrrad ohne Licht gefahren oder habe mit Freunden im Wald Feuerwerk abgelassen.»

«Am Anfang ging ich unter im Grossen Rat.»

Zu Beginn im Grossen Rat merkte er bald, dass seine Gestaltungskraft begrenzt war. «Ich wurde mit 21 Jahren nicht ernst genommen im Parlament, am Anfang ging ich unter.» Gröflin verschrieb sich der Bildungspolitik, er kämpfte gegen die Reformen. Er realisierte: «Mir stehen 10’000 Verwaltungsangestellte gegenüber.»

Und irgendwann merkte er auch, dass ihm die Parteikollegen entgegenstanden. 2012 traf Gröflin eine für seinen weiteren Werdegang folgenreiche Entscheidung. Er veredelte seinen Fachhochschulabschluss mit einem Masterstudium an der School of Economics in London. So fehlte er in manchen Ratsdebatten, verpasste Fraktionssitzungen. Innerparteiliche Konkurrenten zogen an ihm vorbei, mittlerweile heisst Frehners Adlatus Joël Thüring und nicht Alexander Gröflin. Dringen heute Parteiinterna nach aussen, kursiert sein Name als Maulwurf.

Gegen die Partei

Im Grossen Rat zog er sich die Unbill der Partei zu, weil er sich ab und zu von der Parteilinie entfernte. Er setzte sich für den Verbleib des Wagenplatzes ein, befürwortete mehr Mittel für Langzeitarbeitslose, um Folgekosten zu vermeiden. «Ich stimmte häufiger anders als die Mehrheit der Fraktion. Und das wird festgestellt, vor allem bei knappen Ergebnissen. Das kann schon unangenehm werden. Aber ich muss am Morgen in den Spiegel schauen können. Ich vertrete das, was aus meiner Sicht sinnvoll ist.»

Gröflin sagt: «Ich bin kein Parteisoldat.» Karrieren solcher Politiker sind in der SVP selten. Er sagt auch: «Es ist eine Frage des Charakters, ob man sich selbst treu bleiben kann.» Und wahrscheinlich liegt in dieser Haltung die Antwort verborgen, weshalb er überhaupt noch in der Politik ist: Weil er sich nicht geschlagen geben will.

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