Der «Arbeiter» von Trump, Blocher und Konsorten

Abgehängte Handwerker, von der Linken vernachlässigt und verachtet, wählen rechte Populisten. So wird Trumps Wahlsieg erklärt. Doch diese Erklärung greift viel zu kurz, denn dieser «Arbeiter» ist ein Phantom der Populisten.

Republican presidential nominee Donald Trump's supporters stand by the roadside as Democratic presidential nominee Hillary Clinton's motorcade leaves a fundraising event in Orlando, U.S. September 21, 2016. REUTERS/Carlos Barria - RTSOV0G

(Bild: © Reuters/Carlos Barria)

Abgehängte Handwerker, von der Linken vernachlässigt und verachtet, wählen rechte Populisten. So wird Trumps Wahlsieg erklärt. Doch diese Erklärung greift viel zu kurz, denn dieser «Arbeiter» ist ein Phantom der Populisten.

1.
Es seien «die» Arbeiter gewesen, welche die wahlmännerentscheidenden Bundesstaaten Ohio, Pennsylvania, Michigan und Wisconsin für Trump geholt hätten: Weisse Männer, Verlierer der Globalisierung. Diese seien von Hillary Clinton und ihrer demokratischen Partei der «Wallstreet» und den Chinesen geopfert worden.

Der Begriff «Arbeiter» dient seit dem Wahlausgang in zahlreichen Kommentaren als Angelpunkt der Wahlanalyse. Man habe nicht wahrgenommen, dass die Globalisierung für «die» Arbeiter im «Rust Belt» der USA einen Verlust sondergleichen bedeutet habe. Trump habe diesen Globalisierungsabgehängten mit seinem Programm gegen den Freihandel (der nur die Europäer, die Chinesen und die Japaner begünstige), gegen Migration aus Lateinamerika und von Muslimen aus aller Welt eine Perspektive eröffnet. Die für seinen ersten Arbeitstag als Präsident angesagte Kündigung des TPP-Freihandelsvertrags werde in den USA zahlreiche neue Arbeitsplätze schaffen, behauptet Trump via Twitter.

Eifrig wird nun über die «linksliberale Arroganz», welche bisher den medialen Mainstream beherrscht habe, gewettert. Eine Arroganz, die blind mache für die Nöte und vor allem die Ängste «des Volkes». Die «Linken» befänden sich in einer Blase, in der sie ausschliesslich den Bedürfnissen der ungehemmt operierenden «Wallstreet» und neoliberalen Gurus servil zuarbeiten würden. Das konkrete Leben «des Arbeiters» in der eigenen Nation sei den vom normalen Leben weit entfernten linken Meinungsmachern unbekannt.

Die vergessenen «einfachen Leute»

Hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang vor allem ein angeblich vorherrschendes Lebensgefühl der Angst unter den «Modernisierungsverlierern». Man müsse diese Angst nun, nach Trumps Wahlsieg in den USA und nach dem Brexit-Abstimmungsentscheid in Grossbritannien in den nationalen Politikfeldern ernst nehmen. Globalisierung, freie Migration und das Diktat von supranationalen Organisationen wie der EU müsse man zu Gunsten der «Inländer» dämmen, am besten abschaffen.

Laut solcher Analyse, vor allem von TV-Talk-Moderatorinnen und -Moderatoren und deren Dauergästen vorgetragen, müsse man zur Kenntnis nehmen, dass «das Volk» Angst vor dem Islam, Angst vor der EU-Personenfreizügigkeit und aktuell vor allem vor Flüchtlingen aus islamischen Bürgerkriegsstaaten habe, welche die immer spärlicher vorhandenen Arbeitsplätze den Einheimischen entreissen würden.

Auch Kommentatoren des Trump-Wahlsiegs in deutschschweizerischen Zeitungen stimmten in das Lied über die von «den Linken» vergessenen «Arbeiter» respektive «die einfachen Leute» ein. Die sozialdemokratische sei – wie in den USA die Demokraten – nicht mehr die Partei der Arbeitnehmer. Das sei das historische Versagen jener Parteielite, welche dem linksliberalen Dogmatismus mitsamt seiner Political Correctness, seinem übertriebenen Minderheiten- und Migrantenschutz, seiner viel zu wichtig genommenen Gleichberechtigungspolitik (Homoehe!) und dergleichen mehr verfallen sei.

Ihre wirklichen Interessen würden die Arbeiter bei Trump, bei Le Pen, bei Blocher und deren Parteiorganisationen verteidigt sehen. Der Erfolg der SVP in der Schweiz sei die Schuld der SP, weil sie anstelle der Arbeiter die Partei der Lehrer, der gutverdienenden Akademiker und der Salonlinken und aller «Minderheiten» jeglicher Ausrichtung geworden sei. Als Beweis wird der Wahlerfolg von Trump bei «den Arbeitern» in Pennsylvania, in Ohio, Michigan und Wisconsin genauso angeführt wie die behaupteten Erfolge der SVP unter den Arbeitern in der Schweiz.

2.
Nun ist es aber mit den «Modernisierungsverlierern» in den oben genannten vier US-Bundesstaaten so eine Sache: Die Schwerindustrie ist dort nämlich bereits vor über 35 Jahren mehr oder weniger radikal zusammengebrochen – also vor Beginn der nun als Grund der Ängste «des Volkes» angeführten, etwa seit 25 Jahren sich entwickelnden ökonomischen, industriellen und bildungs- sowie forschungsorientierten Globalisierung.

Die Autostadt Detroit und die Stahlstadt Pittsburgh als zwei weltbekannt gewordenen Beispiele für Niedergang der US-amerikanischen Schwerindustrie sind nicht neuerdings, sondern seit bald 40 Jahren kontinuierlich zerfallen. Die Gründe dafür sind bekannt: Beim Autobau waren es eine sture Modellpolitik und über lange Zeit hin nicht modernisierte ausrüstungsbezogene technische Grundlagen, welche der japanischen und später der europäischen Konkurrenz weit hintennach hinkten. Diese Konkurrenz errichtete in den USA produktionstechnisch weit effizientere Fabrikanlagen und begann, für den US-Markt betriebsgünstige Autos zu produzieren.

Die US-Stahlindustrie ihrerseits produzierte seit Jahrzehnten zu viel zu hohen Preisen schlechtere Qualität als die internationale Konkurrenz – und das auf einer unglaublich ineffizienten, dafür aber sehr teuren Energiebasis. Was machte damals die USA-Politik?

Die Folgen der Reaganomics

Diese Politik – es handelte sich um die Wirtschaftspolitik der Administration Reagan, die «Reaganomics» – war eine dogmatisch aufgezogene politische Variante der Angebotstheorie: Steuersenkungen für Investoren und gleichzeitig die totale Deregulierung der Finanzbranche, ohne für einen Ausgleich, beispielsweise für eine vernünftige Kapitalzufuhr mit Hilfe realpolitischer Vermittlung zu sorgen. Das führte wegen der sofort einsetzenden wilden Spekulationen, welche die Trennung der Real- von der Finanzwirtschaft massiv beschleunigten, in vielen Wirtschaftsbereichen zu exorbitantem Kapitalmangel und verhinderte sowohl Modernisierungen oder Neuausrichtungen als auch Neugründungen von Produktionseinrichtungen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen im industriellen Sektor auf Jahrzehnte hinaus.

Eine Folge davon war in den genannten Bundesstaaten und in einem sehr grossen Teil der Countries und Kommunen im «Rust Belt» ein enormer Steuerertragsverlust innert kürzester Zeit.

Weitere Folgen der Reaganomics bestanden aus Kürzungen der staatlichen Sozialausgaben (vor allem der Bildungsausgaben), aus langfristig angelegter Entstaatlichung zahlreicher öffentlicher Investitionsvorhaben (ausgenommen war da nur die Auftragslage an die private Rüstungsindustrie) oder die totale Deregulierung von ökologisch begründeten Ressourcenschutzmassnahmen früherer Regierungen. Die Folgen: Die Verkehrsinfrastruktur (und damit die Mobilitätsfortschritte, welche beispielsweise in Europa, in Japan, in China allein schon mit dem jeweils staatlich finanzierten Bahnnetzausbau erzielt worden sind) zerfiel in weiten Teilen der USA.

Was das Geschrei übertönt: «Die Demokraten» haben sich für die Interessen der gebeutelten Arbeitnehmenden engagiert.

Die Modernisierung der Industrie in den bereits genannten «Rust-Belt-Bundesstaaten» blieb aus. Und – das zu betonen ist durchaus notwendig – es entstand in den USA in der Folge von Reaganomics, die unter Bush jr. fortgesetzt wurden bis sie platzten, nämlich bis 2008, alles Mögliche an Krisen für «Arbeiterinnen und Arbeiter», aber jedenfalls kein «Paradies» für die «Arbeiter».

Dass «die Demokraten», die Clinton-Administration und danach die Obama-Administration, jeweils die sich für Dutzende Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer katastrophal auswirkende Politik unter den von Reagan und den Bushs geschaffenen Bedingungen in den USA auffangen und neue, man könnte sagen: modernere Ideen für eine Volkswirtschaft in zeit- und kräfteraubenden Auseinandersetzungen gegen die republikanischen Parlamentsmehrheiten durchzusetzen versuchten, ist eine Tatsache, die vom lauten Geschrei über den angeblichen Verkauf der Arbeiterinteressen an neoliberale Zeitmoden, welche die Demokraten dort und die Sozialdemokraten in Europa betrieben hätten, übertönt
wird.

3.
Was konstant mit «Stimmung» oder mit «Meinung» in mediale Lautverstärkung gebracht wird, ist die permanente Beschwörung der angeblichen Verlustängste und der «Wut des Volkes» durch die allgegenwärtige Demoskopie. Sie liefert das Material, erklärt, was «das Volk» angeblich denke, was es wolle, was es ablehne, wovor es Angst habe. Es handelt sich dabei um Exegesen aus einem Material, welches sich dort, wo man es als nichtdemoskop überprüfen kann, ständig als äusserst fragwürdig entpuppt – man erinnere sich an die zahlreichen unrichtigen Wahl- und Abstimmungsprognosen.

Dazu ein aktuelles Beispiel: Eine Woche vor der Abstimmung vom 27.11.2016 verkündeten «Umfrageergebnisse» des «Tagesanzeigers» eine Zustimmung von rund 57 Prozent, eine andere von Claude Longchamp immerhin noch 48 Prozent der «Befragten» zur Atomkraftwerkstillegungsinitiative. Nach der Auszählung lag die Zustimmung bei gerade einmal 44 Prozent.

Die bei permanenter Ungenauigkeit ertappten Propheten erklären jeweils, ihre Befragungen würden bloss eine Augenblickslage widergeben. Das hindert sie aber nicht, aus dem Material dieser Augenblicksuntersuchungen Aussagen abzuleiten, welche sie dann über die redaktionell gestalteten Medien als «die» einzig gültigen Wahrheiten über gesellschaftspolitische Gegebenheiten der Zeitläufe verkünden lassen.

Das Herumgerede über Demoskopisches befreit Redaktionen vor allem davon, recherchierend Sachverhalten nachgehen zu müssen

Konkret: Aus dem sich im Vergleich zu den realen Zahlen (Wahlen usw.) als äusserst fehlerhaft herausstellenden Umfragematerial lesen die Demoskopen regelmässig und ohne das leiseste Antönen vorsichtshalber erwogener Zweifel ab, welche Gesellschafts- oder Altersgruppe für wen gestimmt habe, wer von der Partei X zur Partei Y gewechselt sei und dergleichen mehr. Dass die Hauptaussagen in demoskopischen Untersuchungen oft einfach falsch sind, stört interessanterweise auch sehr viele Medienverantwortliche nicht.

Offenkundig ist: Das Herumgerede über Demoskopisches befreit Redaktionen vor allem davon, recherchierend Sachverhalten nachgehen zu müssen – solcherlei kostet nicht nur Arbeit, sondern auch Geld. Zudem: Sachdarstellungen sind halt nicht Einschaltquoten- und Verkaufsauflagegaranten, weil sie oft etwas langweilig wirken.

Es sind in den USA und auch in ganz Europa zuerst einmal Demoskopen, welche, auf ihr von ihnen bearbeitetes und «gewichtetes» Umfragematerial verweisend, behaupten, «Globalisierungsverlierer» würden in Deutschland vor allem die AfD, in der Schweiz die SVP, in den USA jemanden wie Trump wählen.

Wer ist «der Arbeiter»?

Wer genau ein «Globalisierungsverlierer» ist? Nun, da wird schnell einmal behauptet, es seien «die Arbeiter». Zu beachten wäre demnach bei solcher Begründungslage vor allem die Definition eines Begriffs wie «der Arbeiter» oder etwa jener namens «das Volk», welches wahlweise auch gerne zum Globalisierungsverlierer ernannt wird.

Wie sind diese Begriffe definiert? Wer ist also etwa «der Arbeiter»?

Um «Arbeiter» zu definieren, bräuchte es Perimeter, welche die nicht von «Verlierern» geleisteten Tätigkeiten von insgesamt Hunderten Millionen Menschen allein in den USA, Kanada, Europa, berufliche wie etwa freizeitliche, von jenen eines respektive eben «des» Arbeiters unterscheiden.

Was arbeitet ein Arbeiter? Worin unterscheidet sich das Arbeiten eines Arbeiters vom Arbeiten eines ganz gewöhnlichen Arbeitnehmers oder einer teilzeitarbeitenden Arbeitnehmerin? Ist der Arbeiter mit reiner Handarbeit beschäftigt? Ist er nur handwerklich tätig?

Mit den Händen und auch handwerklich beschäftigt sind allerdings sehr viele Menschen, die man und die sich selber durchaus nicht als «Arbeiter» im klassischen Sinn verstehen.

Die Köchin und der Koch. Die Krankenpflegerinnen und der Alterspflegefachmann. Der Chauffeur. Die Chirurgin. Der Melker. Die Spitexangestellte. Die Angestellten, welche die Coop- oder Migrosware unter den Kassenscanner schieben. Das Heer der Putzkräfte, weiblich und männlich. Die Laborantin. Der Modellbauer. Die Informatiker. Der Malermeister. Die Zeichnungslehrerin. Der Pianist. Die Kameraleute und natürlich auch die Gärtnerinnen und Gärtner, Installateure und handwerkende Möbelschreiner oder all die Textschreiberleute im globalen Kommunikationssystem.

Wer sind «die Arbeiter»? Wer sind «Trumps Arbeiter»? Wer sind «Blochers Arbeiter»?

Sind es nur «die Arbeiter», männlich, welche sich als Verlierer verstehen? Fühlen sich – beispielsweise – «die Arbeiterinnen», weiblich, folglich, da sie nie genannt werden, nicht als Verliererinnen?

4.
Indem nur die männliche Form des Begriffs verwendet wird, werden im Grunde genommen das Statusverlieren und damit verbunden die daraus diagnostizierten Ängste vermännlicht. Das drückt – unter anderem – aus, dass die Gesellschaftsidelogie, in der der Mann der «Ernährer» und die Frau die «Hausfrau und Mutter» zu sein hat, in all diesen «Arbeiter-Verlierer-Diskussionen» der massgebende Perimeter für «Trumps» oder eben «Blochers Arbeiter» darstellt.

Daraus lässt sich im Gerede und Geplapper in TV-Talkrunden faktenbefreit festhalten, dass erlittener Bedeutungsverlust die Männer auf ihrer Verliererstrasse logischerweise zur Wahl eines Mannes, der sich als Sieger über den Niedergang darstellt, führe. Trump sei gewählt worden, um jene, welche ihn, den Arbeiter, auf die Verliererstrasse gestossen haben sollen, nämlich «die Eliten», abzustrafen. Die Wähler des Milliardärs Trump oder die Wähler des Milliardärs Berlusconi, jene schweizerischen Wähler der Partei des Milliardärs Blocher und dessen Tochter Martullo-Blocher, des Multimillionärs Auto-Frey und der Vielfachmillionäre Matter, Giezendanner und einer Schar von schlauen Anwälten sollen angeblich «die Arbeiter» oder «Arbeitnehmerinnen, die Angestellten» sein? Kantonale und städtische Wahlergebnisse (2016 zum Beispiel in Luzern, in Basel, in Bern, sogar in St. Gallen und im Aargau) sagen etwas anderes aus.

5.
Viel genauer als Begriffe wie «Arbeiter», «Globablisierungsverlierer» oder «das Volk» drückt ein anderes Phänomen in westlichen Gesellschaften aus, wo sich Anhänger und Gegner von Trump oder von Rechtsnationalisten vor allem unterscheiden: In ihren Wohnorten nämlich, darin, ob sie Stadt- oder Landbewohner sind.

Wenn man die Wahlergebnisse in den vier «Rust-Belt-Bundesstaaten» anschaut, sieht man sofort: In den grossen Städten und in den stark industrialisierten dicht besiedelten Gegenden in diesen Bundesstaaten hat Trump keineswegs die Mehrheit der Stimmen erhalten. Im Gegenteil: Im Bundesstaat Wisconsin sieht das Wahlergebnis in den beiden Metropolregionen, nämlich Milwaukee County und Dane County (mit der Hauptstadt Madison), in denen rund 40 Prozent der gesamten Staatsbevölkerung leben, wie folgt aus:

Milwaukee County (Metropolitanregion Milwaukee, rund 1,25 Millionen Einwohner):

  • Trump: 126’091 Stimmen, was 29 % aller Stimmen ausmacht.
  • Clinton: 288’986 Stimmen, was 66,4 % aller Stimmen ausmacht.

Dane County (Metropolitanregion mit der Staats-Hauptstadt Madison, rund 600’000 Einwohner):

  • Trump: 71’270 Stimmen, was 23,4 % aller Stimmen ausmacht.
  • Clinton: 217’986 Stimmen, was 71,4 % aller Stimmen ausmacht.

(zur Quelle dieser und der folgenden Angaben zu Wählerstimmen)

Im Bundesstaat Pennsylvania befand sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das grösste Schwerindustriezentrum der USA. Das galt bis in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Seither ist – ein Zeichen von Bedeutungsverlust – die Einwohnerzahl der Stadt Pittsburgh um mehr als die Hälfte geschrumpft. Das Zentrum der Metropolitanregion Pittsburgh bildet die County Allegheny. 1960 zählte dieses Verwaltungsgebiet 1,62 Millionen Einwohner. Heute sind es noch 1,22 Millionen Einwohner.

Aus diesen Angaben lässt sich herauslesen: Hier befindet sich ein Zentrum der Industriekrise in den USA mit ihren Arbeitsplatzverlusten.

Bei den Präsidentenwahlen 2016 ergab die Wahl in dieser County folgendes Ergebnis:

  • Trump: 257’488 Stimmen, was 40 % aller Stimmen ausmacht.
  • Clinton: 363’017 Stimmen, was 56 % aller Stimmen ausmacht.

In der Metropolitanregion Philadelphia im Osten des Bundesstaates Pennsylvania, einem der urbanen Zentren der USA, leben rund sechs Millionen Menschen, über 45 Prozent der Bevölkerung des Bundesstaates. Die Stimmenverteilung zwischen Trump und Clinton sieht in den fünf Counties, welche die Metropolregion hauptsächlich bilden, wie folgt aus (von Süden nach Norden und rund um die Stadt Pittsburgh angeordnet):

Chester County:

  • Trump: 115’502 Stimmen oder 43 %
  • Clinton: 140’188 Stimmen oder 52,6 %

Deleware County:

  • Trump: 105’559 Stimmen oder 37,4 %
  • Clinton: 169’169 Stimmen oder 59,4 %

Pittsburgh County:

  • Trump: 105’418 Stimmen oder 15,5 %
  • Clinton: 560’542 Stimmen oder 82,4 %

Montgomery County:

  • Trump: 160’804 Stimmen oder 37,6 %
  • Clinton: 251’063 Stimmen oder 58,7 %

Bucka County:

  • Trump: 163’873 Stimmen oder 47,8 %
  • Clinton: 165’861 Stimmen oder 48,4 %

Feststellen lässt sich: Je näher am urbanen Zentrum dieser Metropolitanregion sich eine County befindet, und je mehr Einwohner eine County hat und je höher die Bevölkerungsdichte ist, desto weniger Stimmen hat Trump erhalten. Anders gesagt: Je mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Industrie, im Dienstleistungssektor, in der Bildung, der Gesundheitsfürsorge, der Kultur und so weiter einen Bezirk bewohnen, anderseits je weniger in der Landwirtschaft Tätige oder, weil Rentner, nicht mehr im Arbeitsleben Anwesende, desto weniger haben Trump gewählt.

Auch im Bundesstaat Michigan – dessen Wahlergebnis äusserst knapp zu Gunsten von Trump ausgefallen ist, nämlich bei einem Volumen von über 4,5 Mio Stimmen mit 11’612 Voten – ist der Gegensatz zwischen Städtischem und Ländlichem auffallend und die Stimmverteilung ähnlich gelagert wie in der Region Philadelphia.

Die Krisenstadt Detroit (Einwohnerzahl 1930: 1’568’000; 1950: 1’850’000; 1980: 1’020’000; 2013: 681’000 !) und die sie umgebende Metropolitanregion (Metro Detroit) mit insgesamt rund 5’220’000 Bewohnern, rund 53 Prozent der gesamten Staatsbevölkerung, ist in neun Counties aufgeteilt.

Die Wahlergebnisse in den sechs Counties, welche die engere Stadtregion Detroit bilden, rund um das County Wayne mit der Kernstadt Detroit von Süden nach Norden angeordnet, sehen wie folgt aus:

Monroe:

Trump: 43’255 Stimmen oder 58,4 %
Clinton: 26’859 Stimmen oder 36,2 %

Washtenaw:

  • Trump: 50’335 Stimmen oder 26,9 %
  • Clinton: 128’025 Stimmen oder 68,4 %

Wayne:

  • Trump: 228’908 Stimmen oder 29,5 %
  • Clinton: 517’852 Stimmen oder 66,8 %

Livingston:

  • Trump: 65’665 Stimmen oder 62,2 %
  • Clinton: 34’378 Stimmen oder 32,6 %

Oakland

  • Trump: 289’127 Stimmen oder 43,6 %
  • Clinton: 342’976 Stimmen oder 51,7 %

Macomb:

  • Trump: 224’589 Stimmen oder 53, 6 %
  • Clinton: 176’238 Stimmen oder 42,1 %

Eine Bemerkung zu den sozialen Verhältnissen in Detroit und Umgebung ist angebracht: Detroit ist heute eine vorwiegend von Afroamerikanern bewohnte Stadt. Die Bevölkerungsstatistik seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts zeigt: Die Stadt hat wegen der Krise in der US-Automobilindustrie rund 60 Prozent der Einwohner verloren.

Heute existieren viele Arbeiterjobs nicht mehr. Deshalb gibt es in Detroit auch kaum mehr «klassische» Arbeiter.
Es waren natürlich Arbeiterinnen, Arbeiter in der Autoindustrie, welche vor über 35 Jahren ihre Jobs, ihre Häuschen und ihr Alltagsleben in der Stadt verloren haben. Nicht heute, um es zu wiederholen, sondern vor bald 40 Jahren. Heute existieren diese Arbeiterjobs nicht mehr. Deshalb gibt es in dieser Gegend auch kaum mehr «klassische» Arbeiter.

 In den «Rust-Belt-Staaten» haben grosse Mehrheiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Trump nicht gewählt.

Der Stadt-Landunterschied bei den Trump-Wahlstimmen ist in allen alten Industriestaaten im Osten der USA festzustellen. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also die Menschen, welche irgendwo in einem angestellten Verhältnis arbeiten, heute im allgemeinen noch in der Nähe ihrer Arbeitsorte wohnen und bei einer Präsidentenwahl an ihrem Wohnort abstimmen. Daher kann man festhalten: In den «Rust-Belt-Staaten» haben grosse Mehrheiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Trump nicht gewählt. Denn die metropolitanen Gebiete weisen durchs Band teilweise sehr hohe Stimmenüberschüsse für Frau Clinton aus.

Dies gilt übrigens auch anderswo, zum Beispiel in Texas, in Florida, in Louisiana genauso wie Georgia und sogar im bei anderen Wahlen praktisch durch und durch republikanisch wählenden Utah – wo in der Salt Lake County (mit Salt Lake City) folgendes Wahlergebnis entstanden ist:

  • Trump: 117’901 Stimmen oder 32,6 %
  • Clinton: 154’831 Stimmen oder 42,8 %
  • McMullin: 68’209 Stimmen oder 18,9 %

Utah liefert übrigens auch einen Hinweis, weshalb Frau Clinton in den gesamten USA Millionen Wählerstimmen mehr erhalten hat als Trump: Viele klassische Republikanerwähler haben entweder gar nicht gewählt, haben Alternativkandidaturen unterstützt oder Clinton die Stimme gegeben.

Hier das Wahlergebnis des Bundesstaates Utah im Vergleich zu jenem in der einzigen Grossstadt dieses Staates:

  • Trump: 452’086 Stimmen oder 45,9 %
  • Clinton: 274’188 Stimmen oder 27,8 %
  • McMullin: 207’288 Stimmen oder 21,0 %

6.
Wen hat Trumps Wahlkampagne offensichtlich als Wähler gewonnen?
Grob dargestellt: Die Bevölkerungsmehrheit der eher ländlichen und der eher südlichen und Mittewestbundesstaaten.

Woraus bestanden Trumps hauptsächliche Wahlkampfaussagen?

  • Bau einer Mauer entlang der Grenze zwischen den USA und Mexico, wobei Trump versichert hat, dass Mexico diesen Bau zu bezahlen habe, dafür werde er sorgen.
  • Sofortiges Einsperren und danach die «Ausschaffung» von elf Millionen «illegal» in den USA lebenden Menschen, meist Latinas und Latinos.
  • Einreise- und vor allem Einwanderungsverbot für alle Muslime (und damit indirekt die Abschaffung der Religionsfreiheit).
  • Sofort nach dem Amtsantritt Verhaftung und Anklageerhebung gegen seine Gegenkandidatin und «Wallstreet-Kriminelle» Clinton.
  • Abschaffung von Obamas Krankenkassengesetzgebung. Dafür stelle er ein «grossartiges» System auf die Beine. Wie dieses aussehen soll: keine Angaben.
  • Strafzölle gegen US-Firmen, welche Arbeitsplätze aus den USA ins Ausland verlegen.
  • Aussenpolitisch äusserte sich Trump immer wieder bezüglich des Krisengebietes Naher Osten, wo er sowohl den IS als auch den Iran vernichten werde. Allerdings werde er die anderen Araber dafür zur Kasse zwingen. Wie das alles und womöglich noch sofort geschehen soll: Keine Angaben.
  • Er werde die «beste Operation zur Gewinnung von Geheimdienstinformationen der Welt» schaffen. Folter müsse man in Betracht ziehen, um die USA vor Terroristen zu schützen.
  • Die Erderwärmung sei eine Propagandaerfindung der Chinesen. Klimaschutzabkommen im Rahmen der UNO werde er kündigen.
  • Trump ist gegen die Homo-Ehe. Gewalt gegen Schwule und Lesben werde er aber nicht dulden.
  • Das large Waffenrecht in den meisten US-Bundesstaaten will er auf den Gesamtstaat ausweiten.
  • Unter ihm, sagte Trump, werden Gewalt und Verbrechen im Land bald aufhören.
  • Die Einkommenssteuern sollen von 39,6 % auf 25 % gesenkt werden. Wer weniger als 25’000 Dollar verdient, soll unter ihm keine Steuern bezahlen müssen.
  • Die Unternehmenssteuern sollen von 35 % auf 15 % gesenkt werden.
  • Die Staatsschulden werde er nicht erhöhen.
  • Welche Staatsausgaben wegen der Steuereinnahmereduktion gekürzt oder abgeschafft werden, sagt Trump nicht.

Diese Pläne sind jene Teile von Trumps Wahlpropaganda, welche er in seiner Nominationsrede vor dem republikanischen Parteikonvent in Cleveland im Sommer 2016 vorgestellt hat. Von seinen rassistischen, frauenfeindlichen, homophoben, lügnerischen und verleumderischen Redeinhalten, welche unter seinen Anhängern grosse Begeisterung ausgelöst haben, ist hier nicht die Rede.

In Stadtregionen weiss man eher von der Komplexität moderner gesellschaftlicher Strukturen als «auf dem Land».

Was so viele Menschen in den USA zu einer Stimmabgabe für Trump bewogen hat, kann sehr wahrscheinlich nicht mit sachpolitischen Programmaussagen des Kandidaten erklärt werden. Diese Programme sind leicht erkennbar Illusionsgebilde ohne irgendeine Realisationsmöglichkeit – ausser man triebe die USA in einen Bürgerkrieg.

Aus diesem Grund ist erklärbar, dass Trump in den urbanen Metropolitangebieten in der ganzen USA keine Wahlchance hatte. In Stadtregionen weiss man eher von der Komplexität moderner gesellschaftlicher Strukturen als dort, wo diese Probleme gar nicht sichtbar und erlebbar sind, also «auf dem Land». Man weiss, dass es alltäglich Kompromisse braucht, die oft nicht ewig halten. Man kennt die Veränderungen, welche zur Zeit durchaus revolutionär wirkend die gesamte Arbeitswelt durcheinanderbringen. Die Lebendigkeit der Kommunikation wird von einer Mehrheit als Vielfalt wahrgenommen, genauso wie Migrationen, wie Mitmenschlichkeit gegenüber Notleidenden. Kurz: Weil man sich näher ist, nimmt man sowohl die individuellen Unterschiede als auch die möglichen Gemeinsamkeiten trotz aller Unterschiede wahr und bejaht sie.

Die Wut der Bürger ist die Wut von Leuten, deren Haus weggepfändet wurde, weil die Hypothekarkrise auf ihre Kosten, nicht auf Kosten der Verursacher erledigt wird.

Wer Trump gewählt hat, lebt zu einem bedeutenden Teil ausserhalb dieser urbanen Welt. Ein Beispiel für dieses «Land»-Leben: In US-Vorstädten mit hunderten gleichgebauter Einfamilienhäuschen, aufgereiht in einer Reihe oder einem Kreis und weit ausserhalb der Stadtverdichtungen aufgestellt, führt zu überlangen Pendlerwegen, zur Vereinsamung vieler älter Gewordenen und nicht zuletzt seit Jahren erkennbar zur Abwanderung der Kinder aus diesen Ghettos des weissen Mittelstandes in die Städte. Die vielgenannte Wut von Bürgerinnen und Bürgern ist eher eine Wut des so genannten Mittelstandes als von «Arbeitern», wenn man unter «Arbeiter» nicht grossverdienende oder in mehreren Dienstleistungs-Jobs sich ihr Leben erarbeitende Stadtbewohner versteht.

Es ist die Wut der Hypothekarschuldner, die ihr Erwachsenenleben lang von Bankenwillkür abhängig «Opfer» dafür gebracht haben, ihre Einfamilienhausidylle mit Rasen rundherum behalten zu können und nun etwa die Abwanderung ihrer Kinder, welche kommunikativere Lebensformen wählen, erleben müssen. Die erleben mussten, dass ihnen ihr Haus weggepfändet wurde, weil die Hypothekarkrise seit 2008 auf ihre Kosten, nicht auf Kosten der Krisenverursacher erledigt wird.

Die Überanpassung an «die dort Oben», wer immer das dann auch ist auf der einen Seite und die Bildungs- und reale Informationsbemühungsverweigerung auf der anderen prägen vermutlich einen grossen Teil der Trump-Wähler. Dass ihnen Leute mit den gleichen «Programmen», wie Trump sie nun wieder machen wird, einige, nicht alle, aber einige nachhaltig wirkende Lebensprobleme eingebrockt haben, also die Reagan- und die beiden Bush-Administrationen, wollen sie nicht wissen.

7.
Mit «der Arbeiter» oder mit «das Volk» insgesamt hat diese spezielle Mittelklassesituation wenig zu tun. In den USA ist diese Gesellschaftsschicht bedeutend grösser als in den meisten europäischen Staaten. Das erklärt auch die Unterschiede in Wahlergebnissen: Trump haben etwa 47,5 Prozent der Wählenden die Stimme gegeben (Clinton etwas über 50 Prozent). Bei den Landtagswahlen dieses Jahres in Deutschland hat die AfD mit Trump-Programmen im durchaus etwas speziell aufgestellten Bundesland Sachsen-Anhalt etwa 24 Prozent der Stimmen erhalten, also bloss die Hälfte wie Trump in den USA.

Schliesslich: Wer abgehängt wird, ist vorher irgendwo angehangen oder war passiv an- oder aufgehängt. Wer so tut, als würden ihm «Fremde», «Asylanten» oder «Städter» das gewohnte Leben «stehlen», weshalb man dieses «Pack» «verjagen» müsse, weist erst einmal Verantwortung für sich selber von sich.

Rassismus wie Trump ihn vorgeführt hat, ist ein gut eingeschmiertes Mittel, um in einer Demokratie an die Macht zu kommen.

Ich denke, im Bereich dieser Unterordnungsgewöhnungen muss man die Wahlerfolge eines Trump oder eines Blocher suchen. Der gefährlich ins gesellschaftliche Leben eingreifende und lautstark in die TV-Medienlandschaft herbeigerufene intolerante Rassismus, der von gewissen Politikerkreisen als «normale» Reaktion auf alle sozialen und deshalb auch politisch zu behandelnden Probleme ausgegeben wird, ist, wie Trump es vorgeführt hat, ein gut eingeschmiertes Mittel, um in einer Demokratie an die Macht zu kommen.

Die grosse Gefahr für alle, die da nicht einfach mitmachen und vor allem für alle, welche anders aussehen, anders orientiert sind, besteht darin, dass einer wie Trump diese Dinge, einmal an der Macht, nicht mehr los wird, sondern die angedrohten Rechtsverletzungen und menschenverachtenden «Aktivitäten», um an der Macht bleiben zu können, gegen die «Minderheiten» anzuwenden beginnt. Das würde die heutigen, auf demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen zugleich aufgebauten «westlichen» Gesellschaften, welche alle vielfältig und vielfach heterogen zusammengesetzt sind, zerstören.

Trumps Arbeiter? Blochers Arbeiter?
Solche Begrifflichkeit will einlullen und ablenken. Als Realität existiert dieser Wählertypus kaum.

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