Der Bevölkerung stinkt das Geschäft mit dem Müll aus Italien

Mit dem Import von Abfall aus Italien könnte in Albanien Geld verdient werden. Doch bei einer Recyclingquote von 17 Prozent glaubt kaum jemand daran, dass Müll aus Italien wiederverwertet würde. Ausserdem steht kurioserweise immer nur diejenige Partei hinter dem Vorhaben, die gerade an der Macht ist.

«Die albanische Nation ohne den Abfall der Politik», hat dieser Demonstrant auf seine Qeleshe geschrieben, die traditionelle Filzkappe. Auf dem Schild steht die Ankündigung: «Protest ohne Ablaufdatum».

(Bild: Giannis Mavris)

Mit dem Import von Abfall aus Italien könnte in Albanien Geld verdient werden. Doch bei einer Recyclingquote von 17 Prozent glaubt kaum jemand daran, dass Müll aus Italien wiederverwertet würde. Ausserdem steht kurioserweise immer nur diejenige Partei hinter dem Vorhaben, die gerade an der Macht ist.

Lavdosh Ferruni sitzt vor dem Computer und verschickt Mails. Sein Laden, in dem er albanische Spezialitäten verkauft, sei auch sein Büro, sagt er, während er weiter auf die Tasten haut. «Es ist ohnehin nicht viel los, allzu viele Kunden habe ich nicht.» Die Wirtschaftskrise hat auch in Albanien ihre Spuren hinterlassen. Ferruni macht das Beste daraus: So habe er immerhin genug Zeit, sich um seinen anderen Job zu widmen. Der Ökonom ist auch Umweltaktivist. 

Ferruni strahlt eine Ruhe und Zufriedenheit aus, die man nicht bei einem Aktivisten erwarten würde. Die Verbissenheit der jungen Jahre ist einer stoischen Gutmütigkeit gewichen, die nur im Alter erreicht werden kann. Dieser Eindruck soll aber nicht über die Unermüdlichkeit des knapp Sechzigjährigen hinwegtäuschen: Ferruni ist einer der dienstältesten Umweltaktivisten Albaniens, einem Land, in dem die Zivilgesellschaft noch immer rudimentär ausgebildet ist und in dem Umweltfragen erst langsam an Bedeutung gewinnen.

Ein Stapel Flyer liegt auf seinem Schreibtisch, das Telefon klingelt ununterbrochen. Zusammen mit Mitstreitern hat Ferruni für den 24. November eine Demonstration vor dem albanischen Parlament organisiert. Der Stein des Anstosses: ein Gesetz, das den Import von Müll zu Recyclingzwecken erlauben würde. Ein Witz, sagt Ferruni. Offiziell würden gerade mal 17 Prozent des gesamten einheimischen Mülls wiederverwertet; «offiziell», wiederholt er mit ironischem Unterton. Wieso wolle man noch zusätzlich Müll aus dem Ausland importieren, wenn man nicht einmal seinen eigenen Dreck entsorgen könne? 

Immer wieder Müll, immer wieder Protest

Es ist nicht sein erster Kampf gegen die Einfuhr von Müll. Im Jahr 2004 einigte sich Albanien mit Italien auf den Import und die Verbrennung von 300’000 Tonnen Abfall – was die albanische Regierung aufgrund massiver Proteste jedoch umgehend wieder absagen musste.

2011 erliess die damalige konservative Regierung von Sali Berisha ein Gesetz, das ebendiesen Import erlaubte. Zusammen mit anderen Aktivisten gründete Lavdosh Ferruni darauf die Allianz gegen die Einfuhr von Abfall (Akip: Aleanca Kunder Importit te Plehrave), die den Protest dagegen organisierte. «Es war eine eindrückliche Zeit», erinnert er sich. Sie hätten viele Leute mobilisieren können, hätten die Gesellschaft im Rücken gespürt. Die Zivilgesellschaft regte sich. Die Kampagne schien zu wirken: «Trotz dem gültigen rechtlichen Rahmen wurden nur kleine Mengen Abfall importiert.»

Der derzeitige Ministerpräsident Edi Rama wurde vor drei Jahren ins Amt gewählt. Im Wahlkampf hat er das Versprechen abgegeben, das Müll-Import-Gesetz zu annullieren. Der Sozialist hielt sein Wort, der Import von Abfall wurde verboten. Umso mehr befremdete nun der neuerliche Vorstoss, der im September von einem Parlamentarier von Ramas Partei eingereicht wurde. Damit würde der Import gewisser wiederverwertbarer Wertstoffe wie Plastik, Papier, Aluminium und Holz erlaubt, explizit um die Recyclingindustrie des Landes wirtschaftlich anzukurbeln.

Der Widerstand formierte sich umgehend, es kam zu Demonstrationen. Bürger zeigten den Politikern symbolisch die rote Karte und machten ihnen deutlich, was sie vom neuen Vorstoss hielten. Der Präsident Bujar Nishani lehnte den Gesetzesentwurf ebenfalls ab und schickte ihn zur Überarbeitung zurück ans Parlament. Dort sollte er am 24. November nochmals besprochen werden.



Giannis Mavris

Am 24. November haben sich Hunderte Demonstranten vor dem Parlament versammelt, um gegen des umstrittene Müllgesetz zu protestieren. (Bild: Giannis Mavris)

An diesem Morgen finden sich wenige Hundert Leute vor dem Parlamentsgebäude in Tirana ein. Ferruni ist enttäuscht, er erwartete zumindest Tausend Teilnehmer bei der Demonstration. Die Regierung habe ein paar Tage zuvor an die Medien durchsickern lassen, dass das Gesetz wohl doch nicht an diesem Tag behandelt würde. Ein geschicktes Manöver, gibt Ferruni zu, das offensichtlich viele Leute davon abgehalten habe, an der Demonstration teilzunehmen – das Problem erscheine ja plötzlich nicht mehr so dringend. Zudem, gibt Ferruni zu bedenken, sei in einem Land, in dem Armut so verbreitet sei, zivilgesellschaftliches Engagement ein Luxus, den sich nicht jeder leisten könne. 

Fluch und Segen offener Grenzen

Die Abfallbewirtschaftung hat sich in Albanien zu einem riesigen Problem entwickelt. Unter dem isolationistischen Kurs des langjährigen, paranoiden Diktators Enver Hoxha war der Müll noch zu bewältigen. Es wurden kaum Waren aus dem Ausland importiert. Erst nach dem Regimewechsel 1992 wurden die Grenzen geöffnet, nicht nur für die Menschen – die scharenweise der Armut entflohen –, sondern auch für all jene kapitalistischen Konsumgüter, die jahrzehntelang verteufelt worden waren. Nun konnten sie plötzlich importiert werden. Das Land war auf die mit der Konsumflut anfallenden Müllberge nicht vorbereitet.



People search a garbage dump outside Albania?s capital Tirana October 27, 2011. A law by Albania?s government to allow imports of waste from abroad is meeting with increasing opposition from youth groups and the political opposition. REUTERS/Arben Celi (ALBANIA - Tags: SOCIETY) - RTR2TAJ5

Auf einem Abfallberg vor den Toren Tiranas suchen Menschen nach Verwertbarem. Die Foto stammt von 2011, das Problem mit dem Müll ist seither nicht kleiner geworden. Reuters/Arben Celi (Bild: © Arben Celi / Reuters)

Zuständig für die Müllentsorgung sind in Albanien die Kommunen. Sie vergeben Konzessionen an Privatfirmen, welche die Abfallbewirtschaftung übernehmen sollen – theoretisch. Denn ein grosser Teil des Mülls verschwindet unkontrolliert in illegalen Deponien, wo er verbrannt wird, oder wird einfach am Stadtrand abgeladen oder in die Flüsse gekippt. Strukturelle Probleme, Geldmangel und fehlendes Umweltbewusstsein seien die Hauptprobleme, sagt Ferruni: «Die Situation ist äusserst bedenklich.»

Laut Umfragen sind über 90 Prozent der Bevölkerung gegen den Import von Abfall.

Am 24. November ist der Lärmpegel vor dem Parlament trotz der überschaubaren Menge der Demonstranten hoch. Einer nach dem anderen übernehmen die Aktivisten von Akip das Mikrofon, bringen ihre Anliegen vor, stimmen die Umstehenden auf Parolen ein. Laut Umfragen sind über 90 Prozent der Bevölkerung gegen den Import von Abfall.

Einige der Teilnehmer sind vor allem vom Opportunismus der Politiker angewidert: Jede Partei sei gegen den Import, so lange sie sich in der Opposition befinde. Kaum würde sie Regierungsverantwortung übernehmen, würde sie aber versuchen ein neues Gesetz durchzusetzen, sagt eine Demonstrantin. Das stimmt: In den letzten Jahren haben beide grossen Parteien sich mal gegen den Import gestellt oder diesen gutgeheissen – auch bei Abstimmungen im Parlament. 

Italienischer Müll als albanisches Problem

Rein rechtlich gäbe es vermutlich nicht einmal viel gegen das Importgesetz einzuwenden: Der Handel mit Abfall fällt unter den EU-Grundsatz des freien Warenverkehrs – und da die derzeitige Regierung in der Hoffnung einer künftigen Aufnahme in die Union ihre Gesetzesvorschriften dem EU-Recht anpasst, wähnt sie sich auf der sicheren Seite.

Die inneralbanischen Querelen zum Müllimport sind ohne die Rolle Italiens aber nicht zu verstehen: Dass das Bel Paese seit Jahren Probleme mit seiner Müllentsorgung hat und regelmässig im eigenen Abfall versinkt, ist allgemein bekannt. Dass kriminelle Organisationen kräftig im Handel mit dem Müll mitmischen, ist kein Geheimnis.

Für viele Gegner ist klar, dass mit dem Import von rezyklierbarem Material auch gefährlicher Müll importiert würde.

Das weiss man auch in Albanien. Skandalöse Enthüllungen über in Süditalien illegal verbrannten Giftmüll haben auf der anderen Seite der Adria jedenfalls kaum zu einem Meinungsumschwung zugunsten des Imports beigetragen.

Für viele Gegner ist klar, dass mit dem Import von rezyklierbarem  Material auch gefährlicher Müll importiert würde. Zu niedrig ist das Vertrauen in die staatlichen Institutionen, die umfassende Kontrollen zusichern. Entsprechend oft fällt das Stichwort Korruption. Demonstranten reden von Politikern, die sich von der Mafia kaufen liessen, von Recyclingfirmen, die blosse Scheinfirmen seien.

Ferruni mag nicht von Korruption sprechen. Wer wisse schon, was die Beweggründe hinter dem geplanten Import seien. Vielleicht habe Italien Hilfe bei den EU-Aufnahmegesprächen in Aussicht gestellt, vielleicht haben die Recyclingfirmen diesmal gut lobbyiert. Egal sei es ohnehin. Ein armer Staat mit schwach ausgeprägten Institutionen und geringer Expertise in Recycling, der es nicht schaffe, seinen eigenen Müll richtig zu entsorgen, müsse schlicht keinen zusätzlichen Abfall importieren.

Auf dem Podest übernimmt ein Aktivist das Mikrofon und liest aus einer langen Liste die Namen von Kommunen vor, die keine offiziellen Angaben machen, wo ihr Abfall landet. Darunter sind kleine Gemeinden, aber auch Städte. 

Proteste und taktische Manöver

Fürs Erste scheint der Protest gewirkt zu haben: Das Parlament hat am Morgen der Demonstration die Behandlung des Gesetzes auf unbestimmte Zeit verschoben. Ferruni ist vorsichtig optimistisch: «Das ist zumindest ein Zeichen, dass sich die Parlamentarier ihrer Sache nicht mehr so sicher sind.» Im nächsten Jahr stehen immerhin Parlamentswahlen an, da möchte man es sich nicht mit den Wählern verscherzen. Dennoch bestehe die Gefahr, dass es sich um ein taktisches Manöver handle, um Gras über die Sache wachsen zu lassen und das Gesetz später unbemerkt durchzuwinken, gibt Ferruni zu bedenken.

Für ihn ist das kein Grund zur Aufregung. Er hat die kommunistische Isolation erlebt, den Umsturz, die Transition zu einer imperfekten Demokratie. Nach der Öffnung der Grenzen machte er als erster albanischer Ökonom weiterführende Studien im Ausland, setzte sich daheim für biologische Landwirtschaft ein, als sich noch niemand dafür interessierte. Hindernisse haben ihn noch nie besonders beeindruckt. «Wir sind immer noch hier», sagt Ferruni, «auch dieses Problem werden wir lösen.»

Er erinnert an 2013, als die Regierung von Ministerpräsident Rama den USA anbot, die syrischen Chemiewaffen aus dem Depot von Baschar al-Assad in Albanien zu vernichten. Das löste Proteste aus, die Regierung musste zurückrudern. Ferruni war natürlich vorne dabei, organisierte sogar eine Demonstration vor der amerikanischen Botschaft – unerhört im traditionell amerikafreundlichen Albanien! «Ein paar Demonstranten haben sich geweigert, vor die Vertretung des befreundeten Staates zu ziehen», sagt Ferruni lachend. Egal, der Protest habe letztlich gewirkt.

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