Der bittere Kampf um die Grenzgänger

Über 60’000 Grenzgänger bringen Tag für Tag ihre Arbeitskraft in die Region Basel. Bei einer Kontingentierung befürchtet die Wirtschaft massive Verluste, die mit inländischem Personal nicht aufzufangen wären. Darum soll trotz MEI vor Ort über die Grenzgänger bestimmt werden.

Rein oder raus? Die Kantone wollen selbst über die Grenzgänger bestimmen und eine Kontingentierung nicht dem Bund überlassen. (Bild: Nils Fisch)

Über 60’000 Grenzgänger bringen Tag für Tag ihre Arbeitskraft in die Region Basel. Bei einer Kontingentierung befürchtet die Wirtschaft massive Verluste, die mit inländischem Personal nicht aufzufangen wären. Darum soll trotz MEI vor Ort über die Grenzgänger bestimmt werden.

Franz Saladin nennt es «die Quadratur des Kreises» – damit benutzt der Direktor der Handelskammer beider Basel die Floskel, die mittlerweile sprichwörtlich für Kritik an der Masseneinwanderungsinitiative steht. Der Begriff meint: Will der Bund die Initiative der SVP umsetzen, muss er das Unmögliche schaffen. Er muss die Zuwanderung über festgelegte Kontingente begrenzen und gleichzeitig wirtschaftliche Interessen berücksichtigen.

Und ja, er hat es versucht. Vergangenen Donnerstag lief die Vernehmlassungsfrist für das Umsetzungskonzept des Bundes ab. Parteien und Verbände haben das Umsetzungskonzept zur Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) vergangene Woche in der Luft zerfetzt (wir berichten hier). Auch die Handelskammer kritisiert die Vorlage in mehreren Punkten scharf.

Wochenthema Zuwanderung
Wie geht es weiter mit der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative? Welche Position vertritt der Grenzgänger-Kanton Basel-Stadt? Lesen Sie mehr dazu in unserem Dossier.

Für die Region Basel geht es dabei primär um die Grenzgänger: Die täglich über 60’000 Personen, die aus dem grenznahen Raum in die Region Basel kommen, um hier zu arbeiten, hier Geld zu verdienen und gleichzeitig die hiesige Wirtschaft anzukurbeln.

Der Bund will neben den Aufenthaltsbewilligungen auch Kurzaufenthaltsbewilligungen von vier bis zwölf Monaten kontingentieren. Das soll verhindern, dass die Kontingente für einen dauerhaften Aufenthalt durch eine Bewilligung für einen Kurzaufenthalt unterlaufen werden können.

Die Kantone sollen bestimmen – nicht der Bund

Doch besonders Kantone aus grenznahen Gebieten wollen die Kontingentierung selbst regeln. So hat sich der Kanton Basel-Stadt dezidiert geäussert, so äusserten sich auch die regionalen Wirtschaftsverbände. «Diese beiden Gruppen sind für unsere KMU in der Grenzregion Basel enorm wichtig», sagt etwa der Basler Gewerbedirektor Gabriel Barell.

Der Gewerbeverband teilt zwar die Haltung des Schweizerischen Gewerbeverbands, der die Umsetzungsvorschläge grundsätzlich unterstützt, fordert aber zusätzlich: Kurzaufenthalter sollen erst ab zwölf Monaten kontingentiert werden. Und bei den Grenzgängern sollen die  Beschränkungen nur in jenen Grenzkantonen vorgenommen werden, welche tatsächlich negative Konsequenzen aus dem Grenzgängertum erleiden. Darüber hinaus sollen einzig die Kantone über die zahlenmässige Begrenzung und weitere mögliche Einschränkungen im Bereich der Grenzgänger befinden. 

Während die SVP das Umsetzungs-Regelwerk des Bundesrates als Schlaumeierei geisselt, fordern Wirtschaftsverbände Anpassungen zugunsten der Zuwanderung.

Die Handelskammer von Direktor Saladin sieht es gleich: Wenn, dann sollen die Kantone selbst über die Grenzgänger bestimmen. Und darüber hinaus den sogenannten Inländervorrang aushebeln können. So können die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Grenzkantone der ganzen Schweiz individuell den lokalen Bedürfnissen angepasst werden, schreibt die Handelskammer.

Doch es bleibt eine Quadratur des Kreises: Während die SVP das Umsetzungs-Regelwerk des Bundesrates als «Schlaumeierei» und «Missachtung des Volkswillens» geisselt, fordern Wirtschaftsverbände weitere Anpassungen zugunsten der Zuwanderung.

«Wir hoffen immer noch auf eine Schutzklausel», sagt Saladin. Für eine derartige Klausel plädieren auch die meisten Parteien, wie die NZZ schreibt: Sie soll aktiviert werden können, wenn die Zuwanderung während mehrerer Jahre ein bestimmtes Mass überschreitet. «Es wäre eine Begrenzung nach innen nötig statt nach aussen», sagt Saladin. Das heisst: Es sollen im Inland Massnahmen getroffen werden, damit der Bedarf nach ausländischen Arbeitskräften sinkt. Im Gegensatz zu restriktiven Varianten, die Massnahmen nach aussen verlangen. Und damit also keine radikale Deckelung der Zuwanderung, wie es die Initianten gefordert hatten.

Bloss kein bürokratischer Moloch

Der Bund sieht derzeit vor, dass die Zulassung von Angehörigen der EU- und Efta-Staaten weniger restriktiv geregelt wird als die für Personen aus Drittstaaten. Im Unterschied dazu sollen Personen aus EU- und Efta-Staaten auch dann zugelassen werden können, wenn es sich nicht um Spezialistinnen oder Spezialisten handelt.

Die Schlüsselstelle bei der Umsetzung ist und bleibt aber das Verhältnis zur EU – und damit ist die Masseneinwanderungsinitiative ein Prüfstein sondergleichen. Gewerbedirektor Barell stellt fest: «Wie der Spagat zwischen einer ‹harten› verfassungskonformen Umsetzung und einer für die EU akzeptablen Lösung funktionieren soll, bleibt mit dem vorliegenden Entwurf im Dunklen. Und ein Plan B, für den Fall, dass die EU nicht mitmacht, gibt es auch nicht.» Was der Gewerbeverband auf keinen Fall wolle, sei «ein bürokratischer Moloch für den konkreten Vollzug der Zuwanderungsbeschränkung».

Dass das Stimmvolk noch einmal über die MEI befindet, ist praktisch sicher: Ein mögliches Referendum ist bereits angekündigt. Und auch FDP-Präsident Philipp Müller hat bereits gesagt, dass er mit einer «Variantenabstimmung» rechnet, in der das Stimmvolk zwischen einem Kontingentesystem und der Weiterführung der Freizügigkeit entscheiden könne.

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