Der Bundesrat will alle glücklich machen und erreicht das Gegenteil

Der Bundesrat ruft die Ventilklausel für alle EU-Staaten an. Betroffen sind allerdings nur B-Bewilligungen; Kurzaufenthalte von einem Jahr sind weiterhin möglich. Die Zuwanderung wird damit kaum gebremst.

Eine Massnahme, keine Wirkung. Der Bundesrat ruft die Ventilklausel an. Allerdings nur für B-Bewilligungen. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Der Bundesrat ruft die Ventilklausel für alle EU-Staaten an. Betroffen sind allerdings nur B-Bewilligungen; Kurzaufenthalte von einem Jahr sind weiterhin möglich. Die Zuwanderung wird damit kaum gebremst.

Es war eine unmögliche Entscheidung, die der Bundesrat in den letzten zwei Wochen vor sich her geschoben hatte. Und, wenn man ehrlich ist, konnte es die Landesregierung in Sachen Ventilklausel nur falsch machen. Bei einem Verzicht auf die Ventilklausel hätte der Bundesrat ein fatales Signal im Hinblick auf die verschiedenen Zuwanderungs-Abstimmungen gesendet. Bei einer Anrufung der Ventilklausel ist die EU «not amused» – und das obwohl die Drosselung der Zuwanderung explizit im Freizügigkeitsabkommen vorgesehen ist.

Die Ventilklausel
Die Kontingentierungen der B-Bewilligungen für die alten (EU-17) und neuen (EU-8) EU-Mitglieder beginnt ab dem 1. Mai. Die Beschränkung beträgt 2180 Bewilligungen für EU-8-Staaten und rund 53’700 Bewilligungen für die EU-17-Staaten und gilt für ein Jahr. Der Bundesrat kann bis spätestens Ende Mai 2014 zum letzten Mal die Ventilklausel anrufen. Danach gilt die volle Personenfreizügigkeit.

Der Bundesrat hat sich diesen Mittwoch für eine Zwischenlösung entschieden: Er aktiviert die Ventilklausel – aber er aktiviert sie so, dass sie keine Konsequenzen hat. Mit der Ausweitung der Klausel auf die alten Staaten der EU beseitigt der Bundesrat die von Brüssel kritisierte Ungleichbehandlung von westlichen und östlichen EU-Staaten. Gleichzeitig verzichtet die Schweizer Regierung darauf, die Ventilklausel auf die Kurzaufenthaltsbewilligungen (L-Bewilligung) anzuwenden, obwohl die Bedingungen dafür bei den EU-8-Staaten, den «neuen» EU-Mitgliedern, erfüllt wären.

Wirkungsloser Entscheid

Als vor einem Jahr die Ventilklausel zum ersten Mal aktiviert wurde, zeigte sich rasch, dass die Zuwanderer von der B-Bewilligung auf die L-Bewilligung auswichen – die Zuwanderung in die Schweiz ging in gleichem Masse weiter. «Wir wissen, dass Umgehungen möglich sind. Und wir wissen, dass die Ventilklausel die Zuwanderung nur stabilisiert und nicht bremst», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga vor den Medien. Die Ventilklausel sei nur ein Instrument unter vielen, um mit den Folgen der hohen Zuwanderung umzugehen.

Was Sommaruga nicht sagte, auch nicht auf entsprechende Nachfragen von Journalisten, war, warum der Bundesrat die Klausel auf die B-Bewilligungen anwendet und explizit nicht auf die Bewilligungen für Kurzaufenthalte. Der Bundesrat habe migrationspolitische und aussenpolitische Aspekte des Themas abgewogen, sagte Sommaruga vage – und nichts weiter.

Kritische Reaktionen von links und rechts

Zusammenfassend: Der Bundesrat hat einen Entscheid gefällt, auf alle Rücksicht genommen und doch niemanden richtig glücklich gemacht. Zwar legten verschiedene Sprecher von FDP und CVP Wert auf die Konsequenz des Entscheids, aber richtig euphorisch waren die Reaktionen nicht. Harsch waren sie aus dem linken und rechten Lager: «Das ist Valium fürs Volk», lässt sich SP-Präsident Christian Levrat via Mediendienst zitieren. «Der wahrscheinlich dümmste Entscheid des Bundesrats seit langem», twittert SP-Nationalrat Cédric Wermuth, einen «halbherzigen Entscheid» nennt es SVP-Präsident Toni Brunner und die St.Galler Ökonomieprofessorin Monika Bütler meint ebenfalls via Twitter: «Es ist bequemer wirkungsloses Medikament zu verschreiben als grundlegene Therapie anzuordnen.»

Eine Reaktion aus Brüssel steht noch aus, aber sie wird ebenfalls negativ ausfallen. Auch wenn Simonetta Sommaruga an der Medienkonferenz die Freundschaft mit der EU betonte: «Wir sind Freunde und wir bleiben Freunde.»

Update, 25.4.2013: Die Reaktion aus Brüssel kam noch am Mittwochabend. Und sie war: negativ. Cathrin Ashton, Aussenbeauftragte der EU, bedauert den Entscheid der Schweiz: «Diese Massnahmen missachten die grossen Vorteile, welche die Personenfreizügigkeit den Bürgern in der Schweiz und in der EU bringt», liess Ashton per Pressemitteilung verbreiten.

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